24.05.2023

david grossman: was nina wusste

vera ist schon 90, als ihre enkelin, die filmemacherin gili, vorschlägt ihre lebensgeschichte zu verfilmen. so beginnt die alte frau zu erzählen, gemeinsam mit gilis eltern, rafael und nina, reisen sie nach jugoslawien um die schauplätze zu besuchen, wo vera ihre jugend und jungen lebensjahre verbracht hat. miloš, ihr über alles geliebter ehemann, ist damals vom geheimdienst des tito-regimes verhaftet und umgebracht, sie selbst von ihrer tochter getrennt, jahrelang in einem lager festgehalten worden. warum das alles so gekommen ist, war bisher ein geheimnis, das erst jetzt durch ihre erzählungen der familie bekannt wird.
ueber das handeln von menschen unter druck und in krisensituationen berichtet dieser eindringlich berührende roman, in dessen zentrum die spannende vergangenheit von vera steht. alles konzentriert sich darauf; so lassen die nebenschauplätze einen beim lesen etwas ungeduldig werden. neben der als willensstarke und eigenwillige persönlichkeit dargestellten hauptprotagonistin erscheinen die anderen figuren eher etwas blass. hingegen bleibt die komplexe handlungsführung immer übersichtlich; sehr emotional sind die erinnerungen an ihren ehemann. dem buch liegt eine wahre begebenheit zu grunde, was einen umso mehr betroffen macht.

11.05.2023

doris lessing: das tagebuch der jane sommers

jane ist herausgeberin einer exklusiven zeitschrift und erfolgreiche karrierefrau. sie führt ein luxuriöses leben ohne finanzielle sorgen. als sie zufällig maudie, einer 90-jährigen, eigenwilligen frau begegnet, ändert sich ihr leben. sie, die bisher alte leute gar nicht beachtet hat, ist betroffen von der armut dieser frau und beginnt ihr ein wenig zu helfen. bei den besuchen in ihrem verwahrlosten zuhause entwickelt sich eine besondere beziehung zwischen den beiden. jane erfährt maudies lebensgeschichte, was ihr eigenes lebensmodell in frage zu stellen beginnt. doch dann kommt der tag, an dem maudie gegen ihren willen ins spital eingewiesen werden muss. die besuche in diesem umfeld von krankheit und tod stellt jane erneut vor existenzielle fragen.
es ist ein faszinierender sozialkritischer roman, der mit der beschreibung der beziehung dieser zwei unterschiedlichen frauen einige gesellschaftliche fragen aufwirft. die drastische und damit sehr reale schilderung der zustände in den wohnungen alter, armer menschen, steht dem wohlhabenden, geordneten leben von begüterten personen gegenüber. wie sich durch diese konfrontation die wertehaltung von jane verändert, ist ein weiteres zentrales moment: die beschreibung dieses prozesses ist einzigartig. während der roman mit spannender handlung beginnt, geht er später zu einem eher reflektorischen und emotionalen teil über, der sich mit diesem brisanten, immer aktuellen thema tiefgründig auseinander setzt.