30.08.2013

franz hohler: der neue berg

was als feiner erdriss im wald die aufmerksamkeit eines joggers auf sich zieht, ist das erste zeichen einer sich ankündigenden katastrophe. weitere und tiefere erdrisse, erderschütterungen, ein umgestürzter baum und aus den rissen aufsteigender rauch beunruhigen viele menschen, die hier in der gegend wohnen. die behörden reagieren schleppend, der gemeindepräsident ist erfüllt von angst um den ruf seiner gemeinde und hält informationen zurück, während seine politischen gegner das gegenteil einfordern. die mittel und fähigkeiten der menschen, auf ein sich kaum vorstellbares ereignis richtig einzustellen, bleiben äusserst beschränkt.
parallel dazu zeigen die geschichten beziehungen und familienleben der einzelnen akteure, trennungen und scheidungen in bestandenen ehen, verliebtheiten und neue lieben, kurz die unbeständigkeit des lebens.
und die katastrophe bricht über die menschen in einem kaum vorstellbaren ausmass herein.
immer wieder wird die menschheit von naturkatastrophen heimgesucht und immer wieder erfahren wir, wie schwierig in solchen momenten das richtige reagieren und ergreifen von massnahmen ist. treffend und sehr anschaulich ist davon zu lesen. ein buch voll von menschlichen regungen, voll von machtspielen und konkurrenzverhalten, voll von gefühlen mit denen jeder und jede fertig zu werden versucht, mit mehr oder weniger grossem erfolg.

28.08.2013

giorgio bassani: die brille mit dem goldrand

von auswärts zugezogen eröffnet dr. fadigati seine arztpraxis in ferrara. schnell wird er zu einem geachteten bürger und beliebten arzt. er weiss sich zu benehmen, ist zu allen freundlich und rücksichtsvoll. nur dass er noch immer ledig ist und keine anstalten macht eine frau zu suchen, lässt erste gerüchte über seine sexuelle orientierung aufkommen. als er eines sommers in rimini, wo viele ferrareser familien ferien am meer machen, mit einem jungen sportlichen studenten auftaucht, mit dem er auch das hotelzimmer teilt, beginnt der skandal. erzählt wird die geschichte von einem jüdischen mitstudenten, der im aufkommenden faschismus selbst zum aussenseiter wird.
eine erzählung über die fragilität menschlicher beziehungen und über die unbeständigkeit gesellschaftlicher werte, subtil geschrieben und trotz der tragik der geschichte, leicht und schön zu lesen.

20.08.2013

monica cantieni: grünschnabel

als adoptiertes kind wächst die erzählerin bei eltern auf, deren weitere familie die adoption nicht oder nur schlecht akzeptiert. dies muss sie hin und wieder spüren. ihr grossvater, zu dem sie eine sehr innige beziehung hat, kennt aber keine vorbehalte ihr gegenüber. sie erlebt sein aelterwerden und seine beginnende demenz. als kind geht sie damit viel selbstverständlicher um als die erwachsenen. im haus ihrer eltern leben weitere zum teil sehr spezielle menschen, unter anderem auch toni, der aus italien kommt und bei dem sie ein und aus geht. in seinem schrank entdeckt sie eines tages tonis tochter, die illegal im land lebt.
in einer eigentümlich direkten sprache, in oft kurzen und trockenen sätzen, erzählt uns „grünschnabel“, das adoptivkind, seine geschichte. es ist nicht immer leicht, beim lesen die zusammenhänge ganz zu erfassen, weil viele ereignisse nur angedeutet und im unbestimmten belassen werden. viel witz und teilweise groteske beschreibungen alltäglicher situationskomik lässt das buch aber zu einem vergnüglichen leseerlebnis werden, nicht ohne dem ernst der geschichte gerecht zu werden.