28.09.2015

walter vogt: wüthrich

wüthrich macht chefarztvisite. umgeben von assistenz- und oberärzten und krankenschwestern geht er nach einem eigenen nicht ganz nachvollziehbaren plan durch die patientenzimmer. seine interessen sind nicht nur medizinisch-naturwissenschaftlicher art, er schaut auch hinter die menschen und durchschaut sie.
satirisch, ironisch und humorvoll beschreibt der autor, der selbst arzt und psychiater war, diese szenen, die figuren und deren verhalten lebendig und genau. dazwischen eingestreute allgemeinweisheiten karikieren nicht nur die handlung, sondern werfen auch einen kritischen blick auf das gesundheitswesen, der auch heute noch brandaktuell ist. die sprunghaften wechsel der blickwinkel tragen das ihrige zur leselust bei.

24.09.2015

toni morrison: paradies

ein kleines städtchen, gegründet von ein paar schwarzen familien, die aus ihrer vorherigen heimat weggezogen sind um einen neuen anfang zu machen, unbelastet von der geschichte und rassenfragen, ist schauplatz dieses romans. ausserhalb ihres neuen wohnortes befindet sich ein altes gebäude, ein früheres kloster, in dem in den augen der bewohner fünf frauen ein sündiges leben führen. irgendwann finden sich ein paar männer zusammen, um diesem tun ein ende zu setzen.
in diesem intensiven und komplexen roman geht es um toleranz, aber auch um diskriminierung, nicht nur entlang der rassengrenzen. die unterschiedlichen wertehaltungen stellen viel in frage und lösen konflikte nicht nur innerhalb der dorfgemeinschaft, sondern auch quer durch familien aus. wegen der vielen akteure und komplizierten verwandtschaftsverhältnisse nicht ganz einfach zu lesen.

13.09.2015

ian mc evan: am strand

im prüden england der 1960er jahre lieben sich edward und florence ehrlich, aber sie sind schlecht vor­bereitet auf die bevorstehende hochzeitsnacht. die sehr ungleichen erwartungen, sein verlangen und ihre angst, die unaufgeklärtheit und die schamhafte zurückhaltung führen unweigerlich zum fiasko. die hochzeitsnacht misslingt, zurück bleiben verletzungen, schuldgefühle und aggression. es gelingt ihnen nicht, darüber zu reden und letztlich führt das schweigen zur trennung. beide gehen ihren weg allein durchs leben. was so gut begonnen hat, endet tragisch.
ein einzigartiges buch, das dieses schwierige thema auf eine subtile und feine weise zur sprache bringt.

03.09.2015

audur jónsdóttir: jenseits des meeres liegt die ganze welt

axel fährt wegen seiner arbeit kurz nach westisland und bittet seine freundin sunna, seinen sohn aus erster ehe abends abzuholen; er soll ein paar tage bei seinem vater bleiben. nur, axel kommt tagelang nicht zurück, weil die wetterverhältnisse den flugverkehr lahmlegen.
gleichzeitig erfährt sunna, dass eine frühere freundin als vermisst gemeldet wird. das beschäftigt sie sehr, weil ihr einige rätselhafte gegebenheiten aus ihrer vergangenen gemeinsamen zeit durch den kopf gehen.
die geschichte erstreckt sich über lediglich neun tage in einem dezember und ist eine art mässig spannen­der krimi, der nicht wirklich eine auflösung findet.
fänden sich nicht immer wieder überraschende wendungen und wären alltag, menschen und begegnungen nicht so witzig und manchmal etwas sarkastisch beschrieben, hätte ich das buch kaum zu ende gelesen.