17.09.2019

lars mytting: die glocke im see

im ausgehenden 19. jahrhundert lebt astrid, eine junge, wissbegierige frau in einem abgelegenen dorf. sie träumt von einem anderen leben, als dem auf dem armseligen bauernhof, wo sie zuhause ist. bald steht sie mit ihren gefühlen zwischen kai, dem neuen pfarrer in der gemeinde und gerhard, einem deutschen architekten, der den abbau und abtransport der alten kirche organisiert. doch kann sie zulassen, dass mit der alten kirche auch die beiden glocken verschwinden, die von ihren vorfahren gestiftet worden waren?
eine wunderbare geschichte aus dem alten norwegen, die viele aspekte des damaligen lebens beinhaltet. dieser an mystik und dramatik reiche roman, hätte durchaus das potential ins kitschige abzugleiten. seine stärke ist, dass er gerade das nicht tut. facettenreich und spannend wird das leben einer frau in einer gesellschaft am anfang eines grossen sozialen umbruchs erzählt. alte bräuche und sagen haben hier ebenso platz wie die auseinandersetzung mit einer neuen zeit.

09.09.2019

inger-maria mahlke: archipel

ein kanarisches familienepos, das sich über ein jahrhundert hinzieht, ist das gerüst dieses romans. rosa, die junge kunststudentin kehrt aus madrid nach hause zurück. die erzählte zeit beginnt mit der geburt von rosas grossvater julio, der immer ein bescheidenes, wenig privilegiertes leben geführt hat. ueber mehr als vierhundert seiten entwickelt die autorin eine spannende, farbige und weitverzweigte geschichte, die sich nicht nur den einzelnen menschen und deren unterschiedlichen sozialen verhältnissen widmet, sondern auch immer wieder den bezug zu den politischen ereignissen in spanien herstellt.
viele einzelne kurze kapitel, die zunächst wenig bezug zueinander zu haben scheinen, fügen sich mit der zeit zum gesamten bild. die handlung wird rückwärts erzählt, beginnt also in der gegenwart und endet vor etwa hundert jahren mit der geburt julios. dies erschwert immer wieder die orientierung; das vorangestellte personenregister mildert diese schwierigkeit etwas. obwohl die etwas eigenwillige sprache einen beim lesen ziemlich fordert, ist es insgesamt ein lesenswertes buch, das der wahrnehmung der kanarischen inseln als feriendestination einen unerwarteten kontrast entgegensetzt.

01.09.2019

raja alem: sarab

unter den geiselnehmern, die im jahr 1979 die grosse moschee in mekka stürmen, befindet sich auch eine junge frau. sarab kämpft in männerkleidern seite an seite mit ihrem bruder. als dieser umkommt und sie aus diesem inferno flüchtet, trifft sie auf einen bewusstlosen französischen elitesoldaten. ihr bisher unbekannte gefühle für diesen mann bringen sie dazu, ihn zu retten. zwischen ihnen beginnt eine komplizierte und schwierige beziehung, die das weltbild beider beeinflusst und ihr leben dramatisch verändert.
die harten und grauenhaften schilderungen des kampfes um die heilige stätte stehen in einem starken kontrast zu den subtilen und gefühlvollen beschreibungen der emotionen von sarab und raphael. ein roman, in dem die autorin es mit grosser sicherheit versteht die spannung zu halten und gleichzeitig den unterschied der rolle der frau in diesen beiden unterschiedlichen kulturen zu beschreiben. zeitweise wirkt die handlung etwas unwahrscheinlich, überzeichnet oder auch etwas kitschig. aber schliesslich wird die geschichte zu einem stimmigen ganzen, das tief in erinnerung bleibt.