28.11.2019

primo levi: die atempause

die rote armee befreit die noch lebenden häftlinge des konzentrationslagers auschwitz. die freiheit beginnt für primo levi und viele andere italienische häftlinge mit ihrer heimreise, einer abenteuerlichen odyssee. auf vielen umwegen, zunächst ostwärts bis weit hinein nach weissrussland, erreichen sie schliesslich auf vielen umwegen nach neun monaten endlich ihre heimat. es ist nicht nur eine reise quer durch europa, sondern auch einer reise zurück ins leben.
das buch ist ein bericht über diese ungewisse und von vielen entbehrungen gezeichnete zeit. in den autobiografischen aufzeichnungen berichtet der autor nicht nur wortgewandt und mit viel sinn für situationskomik über die nicht enden wollende reise in den güterwagen sondern auch über die teilweise ratlosen russischen bewacher. absurde ereignisse und schillernde beschreibungen von menschen, die seinen weg kreuzen, haben in diesem text ebenso ihren platz wie persönliches leiden, hoffnung, verzweiflung und die erst am anfang stehende verarbeitung der erlebnisse im konzentrationslager.

25.11.2019

raoul schrott: tristan da cunha

tristan da cunha ist die am weitesten vom nächsten festland gelegene dauernd bewohnte insel der welt; ein zerklüfteter, steil aus dem meer herausragender vulkanischer kegel im südatlantik, der nur auf einer seite eine leicht schräge ebene aufweist, auf der sich leben lässt. hier siedeln seit einigen jahrhunderten die nachfahren von schiffbrüchigen unterschiedlicher herkunft. sieben grossfamilien, die alle über die jahrhunderte miteinander verwandt sind, harren in dieser entlegenen gegend aus, deren wetter meist unwirtlich und reich an stürmen und regen ist. ueber die jahrhunderte hat sich eine gesellschaft mit eigenen regeln herausgebildet, die als gemeinschaft ohne geld lebt und allen äusseren einflüssen kritisch gegenübertritt.
vier ganz verschiedene personen aus unterschiedlichen zeiten der letzten jahrhunderte, die alle einen bezug zu tristan da cunha haben, geben das grundgerüst zu diesem buch. christian, ein funker, der im 2. weltkrieg auf der insel stationiert ist; edwin, ein katholischer priester, der die insulaner missionieren will; noomi, eine südafrikanische südpolforscherin, die unterwegs in die antarktis ist und mark, ein briefmarkenhändler, der die insel nur von den abbildungen auf den briefmarken kennt. aus diesen vier perspektiven, die unterschiedlicher nicht sein könnten, wird in einem epischen bogen ein bild der geschichte und des dortigen lebens gezeichnet.
sprachgewaltig und mit eindrücklichen beschreibungen von landschaft, meer und naturereignissen, aber auch jener menschen, zieht einen der autor beim lesen hinein in diese spektakuläre szene und lässt neugier und sehnsucht nach diesem weltverlassenen ort aufkommen. die über 700 seiten sind nicht immer einfach zu lesen, manchmal sehr realistisch, manchmal eher philosophisch, nicht immer spannend, aber als gesamtes werk macht es lust darauf, mehr zu erfahren von diesem flecken erde.

17.11.2019

marlen haushofer: die mansarde

sie ist hausfrau und mutter und hat ihrem mann zuliebe auf eine eigene berufstätigkeit als illustratorin verzichtet. mittlerweile haben die beiden einen erwachsenen sohn und eine halbwüchsige tochter. ihrer hausarbeit entflieht sie immer wieder zum zeichnen in ihre mansarde. anonyme zusendungen von briefen, die ihre früheren tagebuchaufzeichnungen enthalten, bringen unruhe in ihr geordnetes leben. die texte berichten von einer zeit, die die damals junge familie beinahe zum zerbrechen brachte und nach der nichts mehr war wie vorher. die auseinandersetzung damit bringt vieles in bewegung.
schon bald zu beginn des romans wird von dem damaligen gravierenden ereignis berichtet und damit die spannung auf einer zweiten erzählebene aufgebaut. der blick auf das gegenwärtig relativ ereignislose und wohlgeordnete leben beginnt sich zu verändern. ihre beschreibungen der personen, ihre differenzierten beobachtungen vermittelt die autorin in einer einfachen, zeitweise drastisch direkten sprache. es ist nicht nur ein buch über die tiefsten geheimnisse, die jeder und jede in einer beziehung für sich behält, sondern auch ein bericht über die einsamkeit im zusammenleben.