23.11.2020

andreas maier: die familie

mutter, vater und drei kinder, von denen der autor das jüngste ist, haben sehr unterschiedliche vorstellungen vom leben und sehr verschiedene erwartungen und ziele, über die sie aber kaum reden. sie gehören zu den angesehenen familien im ort und leben auf einem grossen grundstück um das es erbstreitigkeiten gibt. auch liegt im dunkeln, wie dieses anwesen in ihren besitz kam.
was für eine treffende und ausgezeichnete beschreibung der verhältnisse in dieser familie in der nachkriegszeit. mit einer akribischen genauigkeit für stimmungen und unausgesprochene dinge lässt der autor die familiengeschichte auferstehen. und nicht zuletzt dreht es sich um die lange tabuisierte frage, wer welche rolle während der zeit des nationalsozialismus gespielt hat. leicht ist es zu lesen, dieses ernste und tiefgründige buch.

21.11.2020

sven regener: herr lehmann

frank lehmann lebt seit jahren in berlin kreuzberg, arbeitet in verschiedenen kneipen und führt ein bescheidenes leben ohne persönliche ambitionen. eigentlich ist er ganz zufrieden, kommt mit den widrigkeiten des alltags gut zurecht und hält alles etwas auf distanz, was seine eigene trägheit stören könnte. als er sich in katrin verliebt, bringt dies seinen bisherigen rhythmus durcheinander. auch der angekündigte besuch seiner eltern aus westdeutschland bringt schwierige tage. und es kommen noch mehr ereignisse, die das leben des herrn lehmann ziemlich aus der gewohnten bahn bringen.
der roman ist der erste teil einer trilogie und handelt von ein paar menschen, die in kreuzberg in ziemlich prekären verhältnissen leben. mit einer virtuosen schnodderigkeit wird hier vom alltag in westberlin kurz vor dem mauerfall berichtet. streckenweise amüsant zu lesen, lebt die geschichte vor allem von immer wieder neuen ereignissen, während die vorhergegangenen oft keinen wirklichen abschluss finden.

14.11.2020

siri hustvedt: damals

eine junge frau zieht aus minnesota nach new york, wo sie ein kleines appartement in einem etwas heruntergekommenen viertel bezieht. ihr ziel ist es, hier ihren ersten kriminalroman zu schreiben. zugleich ist sie – aus der provinz kommend – fasziniert vom leben in dieser pulsierenden metropole. zuhause hört sie durch die dünnen wände den überspannten und rätselhaften monologen ihrer nachbarin lucy zu und macht sich ein bild von ihr. eines nachts taucht lucy in einer bedrohlichen situation als retterin in ihrer wohnung auf. so lernen sich die beiden kennen und viele fragen beginnen sich zu klären.
das vielschichtige buch mit verschiedenen parallelen handlungssträngen erfordert viel konzentration. trotz deren grafisch unterschiedlicher darstellung bleibt es ein schwieriges lesen. wunderbare und stimmige kapitel wechseln mit eher schwierig zu verstehenden ab. der text der starken haupthandlung mit aspekten der frauenbefreiung, verliert sich später in spiritismus und hexenzauber. die ausschnitte aus dem entstehenden krimi bleiben eher blass. so mag der roman nicht immer die spannung zu halten, kommt manchmal etwas skurril daher und bleibt für mich einfach etwas unverständlich.

02.11.2020

josef haslinger: phi phi island

als familie haslinger zu ihren weihnachtsferien nach thailand aufbricht, ahnt niemand, was ihnen bevorsteht. keine zwei tage sind sie in ihrem hotel, bricht der tsunami über die küste herein und bringt tod und verwüstung. auch sie müssen um ihr leben rennen, werden aber von den fluten erwischt und weggespült. im ersten moment wissen weder die eltern noch die kinder über den verbleib der anderen. gross ist die erleichterung und das glücksgefühl, als sich alle – zwar verletzt – wiederfinden. in den ersten tagen danach sind die ueberlebenden aufs existenzielle reduziert, ein unvorstellbares grauen wird schnell sichtbar. erst langsam läuft hilfe an und eine heimreise wird nach tagen grosser ungewissheit möglich. im jahr darauf besuchen die eltern phi phi island erneut, um zu versuchen ihre erlebnisse aufzuarbeiten.
selten habe ich ein buch gelesen, das aus persönlicher betroffenheit entstanden ist und mit so grosser sachlichkeit über ein menschliches drama berichtet. die beschreibung ist eindrücklich, enorm packend und vermittelt auch so viele jahre danach mehr als alle damaligen fernsehbilder. die parallele führung der beiden ein jahr auseinanderliegender zeitebenen im text lässt die ereignisse zwischen unmittelbarkeit und etwas distanzierter betrachtung aufleben. bald 16 jahre nach dieser grossen naturkatastrophe ist dieser exemplarische bericht noch immer aktuell und zeigt nicht zuletzt auch auf, wie die davongekommenen für den rest ihres lebens etwas davon mit sich tragen.