edmond und jules de goncourt,
wohlhabende brüder, die alles teilen und lebenslang zusammen wohnen,
bewegen sich mitte des 19. jahrhunderts in pariser künstlerkreisen
und sind selbst schriftstellerisch tätig. ihr haushalt wird durch
rose geführt, eine treue, dienstfertige und diskrete angestellte.
die beiden brüder – so lange steht sie schon im dienst der familie
– kennt sie schon als kinder. als rose sich in den sohn der
benachbarten ladenbesitzerin verliebt, tut sie alles um in seiner
gunst zu stehen. der jedoch nutzt sie schamlos aus und zerstört
zunehmend ihre existenz. mit sich selbst beschäftigt nehmen die
beiden brüder dies aber nicht wahr, bis rose schwer erkrankt stirbt.
die geschichte entführt einen in die
welt des damaligen paris und zeigt etwas vom sozialen gefälle dieser
gesellschaft. so unterschiedlich und fremd die lebenswelten der
beiden brüder und ihrer bediensteten sind, zeigen sich fein und
treffend beschrieben, die aufflackernden menschlichen regungen. eine
spannend geschriebene und trotz des tragischen themas schön zu
lesende art sozialstudie, die über eine vergangene welt berichtet.
31.10.2023
claude alain sulzer: doppelleben
21.10.2023
marco balzano: ich bleibe hier
das
leben in graun, einem kleinen bauerndorf im obersten teil des
vinschgaus, ist karg und es sind schwierige zeiten. hier lebt die
dorfschullehrerin trina. seit jahren bestehen pläne für einen
staudamm, der die existenz des dorfes gefährden würde. als nach der
machtübernahme mussolinis die lange stillstehenden arbeiten wieder
aufgenommen, die deutschsprachigen schulen verboten und durch
italienische ersetzt werden, nehmen viele einwohner die option ins
deutsche reich zu ziehen an. trina verliert ihre stelle und
unterrichtet die verbleibenden kinder in verbotenen katakombenschulen. ihr mann
erich wird einberufen. als er verwundet heimkehrt, wird er zu
einer der führenden personen im widerstand. trina bleibt an seiner
seite und unterstützt ihn.
basierend
auf historischen tatsachen wird hier ein stück geschichte über
macht und ohnmacht lebendig. berührend und spannend werden
persönliche sorgen und aengste, aber auch mut und kraft der menschen
beschrieben, denen weltgeschichtliche ereignisse ihre besten jahre,
den geringen besitz und die heimat nehmen. das buch berichtet von
einer staatlichen machtdemonstration und macht auf eine subtile art
bewusst, wie schnell sich alles verändern kann und nichts auf sicher
ist.
19.10.2023
paolo giordano: in zeiten der ansteckung
ein kleines schönes buch mit einem schwierigen aber faszinierenden inhalt. darin setzt sich der physiker paolo giordano mit dem phänomen der beginnenden covid-pandemie auseinander. in kurzen aufsatzartigen kapiteln beleuchtet er verhalten, aengste, reaktionen und vieles mehr. er versucht einen rationalen zugang zum ereignis selbst und dessen auswirkungen und folgen zu erläutern. mit seiner klaren, kritischen stellungnahme über das handeln der menschheit und dessen folgen, beschreibt er undogmatisch und eindringlich zusammenhänge, die uns eigentlich bekannt sein müssten. das buch hat auch einige jahre später nichts von seiner aktualität verloren und lässt uns vielleicht erahnen, dass diese pandemie nur ein vorbote von dem war, was noch auf uns zukommen wird.
10.10.2023
dmitrij kapitelman: das lächeln meines unsichtbaren vaters
spontan
beschliessen vater und sohn eine gemeinsame reise nach israel. der
vater ein nicht gläubiger – nach seinem weggang aus der ukraine
nach deutschland – heimatloser jude, ist verheiratet mit einer
nichtjüdin. deshalb stellt sich für ihren sohn dima, die frage nach
seiner jüdischen identität. so reisen sie nun gemeinsam und treffen
alte freunde von früher, die nach dem zerfall der sowjetunion nach
israel ausgewandert sind. bald stellen sich jedoch sehr
unterschiedliche bedürfnisse heraus. während des vaters ziel der
besuch des grabes eines alten freundes ist, will der sohn auch das
westjordanland besuchen. so macht er sich allein auf den weg dahin,
lernt junge leute kennen, darunter dina, eine junge palästinenserin,
in die er sich auch verliebt. das ganze wird nicht nur zu einem
versuch, seinen vater besser kennenzulernen, sondern auch zu einer
schwierigen identitätssuche für dima über sein verhältnis zum
judentum und zu israel.
diese
spannende auseinandersetzung mit seinem leben als junger mensch
jüdischer herkunft, der weder religiös ist, noch sich mit seiner
religion wirklich auseinandergesetzt hat, lässt einen kaum los beim
lesen. vor dem gut beobachteten hintergrund des komplizierten dortigen
alltags beschreibt der autor dazu das dilemma einer liebevollen, aber
nicht ganz einfachen vater-sohn-beziehung. viele versöhnliche
momente lassen auch ein wenig hoffung auf eine bessere zeit
aufkommen. streckenweise sehr emotional, spannend und schön zu
lesen. es ist ein wohltuend differenziertes buch, ja eine aktuelle
israel-reiseliteratur.