16.12.2025

res brandenberger: einer wie erik

schon im kindergarten tauscht erika mit herbert die kleider. sie kommt mit seinen nach hause, er mit ihren, was von beiden elternpaaren auf unterschiedliche weise nicht goutiert wird. erika ist schnell klar: sie ist ein junge in einem mädchenkörper, ihr ziel ist als mann, als erik zu leben, was sich in dem bürgerlichen milieu von nidau, ihrem wohnort, schwer umsetzen lässt. es heisst warten bis zur volljährigkeit. dann beginnt ein neuer lebensabschnitt an einem neuen ort als kehrrichtmann. so verrichtet erika als erik täglich im team mit seinen kollegen die arbeit. als er eines tages mit bauchschmerzen notfallmässig ins spital gefahren wird, erfahren seine wartenden kollegen von seiner niederkunft mit einer tochter. was zunächst unerklärlich und skandalös ist. erik, dessen geheimnis nun nicht mehr zu halten ist, flüchtet während der nacht mit dem neugeborenen aus dem wochenbett und verschwindet. mit der unterstützung seines alten freundes herbert, der mittlerweile in paris lebt, landet er in venedig, wo ihn niemand kennt. viele wundersame begegnungen und ereignisse beginnen sein leben zu verändern – endlich findet er ruhe, frieden und gute freunde.
eigentlich besticht diese schöne geschichte schon alleine durch ihr wertfreies, offenes daherkommen ohne einen wissenschaftlichen anspruch auf korrektheit. streckenweise durchaus etwas unwirklich und phantasievoll, hat der autor trotz des nicht einfachen themas etwas märchenhaftes, leichtes geschaffen, das das lesen zu einer richtigen freude macht. ein überraschender aufbau und eine 
 ihnen aufmerksam zugewandte  liebevolle zeichnung aller figuren prägen dieses buch ebenso wie der manchmal durchscheinende berner witz oder die milieubeschreibungen der bürgerlichen gesellschaft nidaus. venedig als schöne kulisse zu wählen ist nicht nur dankbar, sondern hier sehr stimmig, auch – oder vielleicht weil – das geografische nicht so genau genommen wird. dass zwischenhinein auch möbel und andere gegenstände zu worte kommen, macht alles noch vielgestaltiger. ob der name, erika/erik, bewusst gewählt wurde? mich erinnert es gleich an die damalige österreichische skirennfahrerin, die zwar aus einem anderen grund von erika zu erik wurde. es könnte ein aufklärungsbuch sein, aber nicht alles muss gelöst oder analysiert werden. so wird es zu einer art ode an die freiheit, diversität einfach zu leben.

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