31.10.2011

juri rytchëu: polarfeuer

die russische revolution erreicht den äussersten osten der sowjetunion und damit auch das volk der tschuktschen. sie haben unter den polaren lebensbedingungen der arktis über jahrhunderte eine kultur entwickelt, in der das ueberleben aller das wichtigste ziel ist. gemeinsames bewirtschaften der ressourcen, gemeinsame jagd und gerechtes teilen der beute sind selbstverständlich, also gar nicht so verschieden vom genossenschaftlichen gedankengut der neuen lehre. mit dem bau von schulen zur alfabetisierung beginnt sich aber für die tschuktschen ebenso etwas zu ändern, wie mit dem anspruch der neuen macht, den frauen die gleichen rechte zu geben.
im kleinen dorf enmyn lebt ein weisser seit jahren mit den ureinwohnern und hat deren bräuche, sprache und gewohnheiten vollständig übernommen, ist einer von ihnen geworden. für die aus petersburg kommenden bolschewiken ist die lebens- und handlungsweise dieses kanadiers schwer zu verstehen und einzuschätzen. so sind nicht nur er und seine familie gefährdet, es bringt auch die dorfbewohner in schwierige situationen und loyalitätskonflikte. in der zeit um 1920 werden die traditionellen werte von aussen in frage gestellt.
wir lernen die leute im dorf kennen. durch ihr verhalten und handeln erfahren wir viel über eine ferne landschaft und eine kultur, die heute vom untergang bedroht ist. bis zur letzten seite hält die spannung an und wir frieren, leiden, trauern und freuen uns mit ihnen.
in einer schönen und klaren sprache vermitteln der autor und die uebersetzerin diese welt, die fernab von allem ist, was uns täglich beschäftigt und trotzdem so viele werte des zusammenlebens vermittelt, die auch in unserer gesellschaft ihre gültigkeit haben und hatten.

26.10.2011

esmahan aykol: hotel bosporus

eine deutsche filmcrew reist nach istanbul um dort einen film zu drehen. noch vor drehbeginn wird der regisseur ermordet aufgefunden. die hauptdarstellerin hat eine frühere freundin, die seit jahren in istanbul einen buchladen für kriminalromane betreibt. diese beginnt auf eigene initiative in diesem fall zu ermitteln, um den hintergrund der tat und den mörder zu finden.
dieser erste roman von eshmahan aykol lässt sich leicht lesen, auch wenn die handlungsführung oft etwas unübersichtlich ist und zu viele akteure zu viele dinge tun. ueber weite strecken fehlt der geschichte, die ja eigentlich ein krimi sein will, die spannung. die einzelnen figuren und geschehnisse sind oft überzeichnet, ohne dass es wirklich gelänge witz und satire zu vermitteln. der schluss ist so skurril wie abrupt.

16.10.2011

leonie swann: glennkill

am morgen entdecken die schafe ihren schäfer mit einem spaten in der brust tot auf der weide liegen. sie rätseln, wer ihn umgebracht haben könnte und beginnen der sache nachzugehen. mit ihren ermittlungen läuft eine art krimi an, der ein überraschendes ende nimmt.
jedes schaf, jeder widder und jedes lamm der herde hat ein persönliches, menschliches profil. trotzdem ist das ganze keine fabel. den schafen gegenüber steht die dorfgemeinschaft, deren charaktere unterschiedlicher nicht sein könnten und deren partikularinteressen weit auseinander liegen. der handlungsverlauf kommt manchmal etwas konstruiert daher und ist nicht immer ganz nachvollziehbar. auch vermag die geschichte nicht durchgehend die spannung zu halten, aber es ist ein köstlich unterhaltendes buch, das uns menschliche und tierische verhaltensweisen nahe bringt. und... man muss diese schafherde einfach ins herz schliessen.

07.10.2011

steve tesich: abspann

in einem sehr amerikanischen ambiente, vorwiegend in new york und los angeles, spielt sich diese geschichte um den reichen, übergewichtigen und kettenrauchenden „scriptdoctor“ ab. ein scriptdoctor ist einer, der missglückte filmdrehbücher umschreibt und flickt. er lebt getrennt von seiner frau, von der er sich eigentlich scheiden lassen will. als er die leibliche mutter seines adoptivsohnes kennenlernt und mit ihr eine beziehung beginnt, bringt er die zwei zusammen und es beginnt noch komplizierter zu werden.
die extrem phantasievolle geschichte, in der geld keine rolle spielt und fast alles möglich macht, ist so rasant und spannend, dass es schwierig ist, das lesen zu unterbrechen. sie ist witzig, lustig und unterhaltsam geschrieben und hat trotzdem viel tiefgang. die auseinandersetzung mit substanziellen fragen des lebens und persönlichen nöten begleitet einen durch das ganze buch und lässt einen nicht los.
einzig das letzte kapitel ist schwer zu lesen und ebenso schwer zu verstehen.