27.01.2012

pascal mercier: nachtzug nach lissabon

zufällig trifft raimund gregorius, der lehrer für alte sprachen, auf dem arbeitsweg eine portugiesin, die sich – wie es ihm scheint – von der brücke stürzen will. das verändert sein leben, er verlässt das gymnasium, seinen arbeitsplatz, für kollegen und schüler plötzlich und ohne erklärung und lässt sein bisher wohlgeordnetes leben hinter sich. in der sehnsucht, die das wort „português“ in ihm auslöst, stösst er in einer buchhandlung auf ein philosophisches buch des portugiesischen arztes amadeo inácio de almeida prado. er fährt mit dem nachtzug nach lissabon und geht den spuren des autors nach, trifft auf wegbegleiter, freunde, verwandte, die ihm langsam das leben dieses mannes erschliessen. nach seiner endgültigen rückkehr, fünf wochen später, ist vieles anders.
ein nicht ganz einfach zu lesendes buch. der stetige wechsel zwischen der weitgehend spannenden handlung und den philosophischen betrachtungen des amadeo prado in seinem buch und seinem nachlass von briefen fordert beim lesen aufmerksamkeit und zeit. die handlung kommt streckenweise etwas utopisch und unwahrscheinlich daher. bei seinen nachforschungen trifft er immer gerade auf die richtigen leute, die ihn ohne grossen widerstand, ohne grosse zweifel in ihre häuser und wohnungen einlassen und ihm von ihren erinnerungen berichten, ihm dokumente überlassen und sich ihm gegenüber öffnen, auf eine art, die fremden gegenüber nicht unbedingt die regel ist. auch lernt er mit beinahe atemberaubender geschwindigkeit portugiesisch, eine weitere, eher störende unwahrscheinlichkeit. ein wenig portugiesisch zu verstehen hingegen, macht das lesen leichter, nicht alles ist verständlich übersetzt. das ende des buches lässt alles offen und das erscheint gut so.
nicht nur der schauplatz – portugal, den meisten ein wenig vertrautes land, das sehnsucht und fernweh auslöst – ist gut gewählt, der autor, ein philosophieprofessor, schafft es auch auf eine besondere art, philosophisches zu vermitteln. schon alleine das essay „solidão furiosa – wütende einsamkeit“ lohnt, das ganze buch nicht nur zu lesen, sondern auch zu haben.

15.01.2012

göran tunström: der mondtrinker

nachdem die mutter kurz nach der geburt bei einem vulkanausbruch spurlos verschwunden ist, fällt dem vater die aufgabe der alleinigen erziehung zu. ernsthaft und verantwortungsvoll umsorgt er seinen sohn, lässt ihm eine einzigartige erziehung angedeihen, während er selbst – als nachrichtensprecher und damit öffentliche person – ein nicht immer einfaches leben führt. sein sohn verlässt ihn als student und kehrt nach jahrelanger trennung erst viel später zurück ins dorf.
sein rückblick auf kindheit und jugend und die beziehung zum vater kommt in unterschiedlich langen texten daher. es ist nicht ganz einfach sich in diese collageartige abfolge von erinnerungen einzulesen. die zeitlichen sprünge und die wechselnden orte der handlung haben etwas abruptes. die einzelnen sequenzen beschreiben dichte und emotional schöne momente, die zunächst etwas isoliert da stehen. erst gegen den schluss, als die verhältnisse sich ändern, der vater abhängig und bedürftig wird, erschliesst sich die geschichte dem leser, der leserin vollständig.
nicht ein buch, dass sich als schöner roman einfach von vorne nach hinten lesen lässt. ein schönes buch, das viel konzentration und ruhe zum lesen braucht.

08.01.2012

jonas jonasson: der hundertjährige, der aus dem fenster stieg und verschwand

was haben stalin, truman und mao tse tung gemeinsam? jeder sass schon einmal mit dem hundertjährigen zu tisch. dies ist nur ein detail dieser phantasievoll erzählten geschichte, in der die unwahrscheinlichkeiten sich die hand reichen und sich zu einem spannenden fiktiven roman finden.
an seinem hundertsten geburtstag flüchtet allan karlson – beneidenswert rüstig und geistig vital – aus dem fenster seines zimmers im altersheim, um der für ihn ausgerichteten feier zu entgehen. am busbahnhof passt er kurz auf den koffer eines anderen reisenden auf, schon kommt sein bus und da er auf der flucht ist, gilt es keine zeit zu verlieren, also nimmt er den koffer mit. darin befinden sich, wie sich später herausstellt, 50 millionen kronen in banknoten, was der flucht- und verfolgungsgeschichte einen ganz anderen schub gibt. nicht nur polizei und sozialbehörden sondern auch die drogenmafia sind nun hinter ihm her.
neben der aktuellen handlung, geben andere kapitel dazwischen einen detaillierten rückblick auf des hundertjährigen leben, in dem er rund um den globus immer wieder in aussergewöhnliche situationen gerät. dies kommt genau so utopisch daher.
ein buch, das von der ersten bis zur letzten seite spannend und lustig ist. die brillant in reale geschichtliche ereignisse eingebettete fiktion ist nie kitschig und geht gerecht mit allen darin vorkommenden personen um. ihre unwahrscheinlichkeit kommt extrem real daher.

02.01.2012

christoph keller: alamor drei tage

als ehefrau des direktors einer schweizerischen firma, lebt barbara kaltbrunner nun in lima. sie hat zwei kinder, eine hausangestellte, einen chauffeur und verbringt ein offensichtlich relativ langweiliges leben in einem der besser situierten quartiere der peruanischen hauptstadt. empfänge, repräsentationspflichten und cocktailpartys liegen der ehemaligen schuhverkäuferin nicht; launisch und unberechenbar wird ihre stimmungslage. nur der gegenüber wohnende general – ein minister der gegenwärtigen regierung – weckt ihr fortdauerndes und beständiges interesse. ein putsch spült die regierung weg und enthebt damit auch den general seiner funktion. die etwas abenteuerliche geschichte über das dreitägige verschwinden barbaras lässt offen, ob sie wirklich mit dem general nach alamor unterwegs oder sonst abgetaucht war.
die ganze geschichte wird von einem vom sohn beauftragten chronisten erzählt. alte dokumente und die aussagen der ehemaligen bediensteten lassen nicht nur ein bild über das leben der señora entstehen sondern beschreiben auch die verhältnisse und den alltag der späten sechziger jahre in lima.
ein faszinierendes buch, das sich mit der sozialen ungerechtigkeit und der politischen realität perus von einer unerwarteten seite nähert. eine bestechend schöne sprache zeichnet den roman ganz besonders aus.