18.10.2012

tim krohn: ans meer

zwei ehepaare lernen sich über ihre gleichaltrigen töchter kennen. nach anfänglicher zurückhaltung kommen sie sich näher und leben schliesslich zeitweise gemeinsam in einem haus unmittelbar am meer. diese nahe freundschaft endet abrupt nach dem ertrinken der einen frau. deren tochter verlässt fluchtartig das haus, zieht weg, lernt einen mann kennen und wird von ihm schwanger. als alleinerziehende mutter lebt sie fern ihrer heimat in einer symbiotischen beziehung mit ihrem sohn zusammen. doch die vergangenheit holt sie ein.
die komplexe geschichte rollt eine vielschichtige und dramatische handlung von hinten auf, indem die vergangenheit in fragmenten stück für stück zu tage tritt. aus der sicht der einzelnen protagonisten werden identische ereignisse aus unterschiedlicher optik erzählt und bringen immer mehr zum vorschein. beim lesen fügen sich die einzelnen, teils dramatischen ereignisse fantastisch zu einer geschichte zusammen, deren grundthemen verfehlung, schuld, sühne, verzeihung und vergebung sind. abgesehen vom etwas altklugen und frühreifen auftreten des sohnes, das etwas unrealistisch wirkt und stört, ist es ein stimmiger, tiefgründiger und intensiver roman, der einen beim lesen nicht mehr loslässt.

12.10.2012

jakob arjouni: bruder kemal

der privatdetektiv kayankaya ist wieder unterwegs. diesmal hat er zwei aufträge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: eine 16-jährige tochter aus der frankfurter oberschicht, die sich mit einem wesentlich älteren mann abgesetzt hat, soll wieder zu ihren eltern zurückgebracht werden und der personenschutz während der buchmesse für einen schriftsteller, der wegen des inhalts seines romans bedroht wird.
schon bald zeigt sich, dass es bezüge zueinander gibt und es für kayankaya nicht einfach ist, nicht zwischen die fronten zu geraten. mit viel scharfsinn, mut, auch ein paar handgreiflichkeiten und nicht immer ganz gesetzeskonform gelingt es ihm aber, nicht nur seine, sondern auch die haut seiner kunden zu retten.
eine rasante und leicht zu lesende geschichte, die durch die genauen, teilweise bitterbösen beschreibungen der menschen und der milieus in denen sie sich bewegen, besticht. einfach beste unterhaltung.

08.10.2012

anna stothard: pink hotel

in london, wo sie zuhause ist, erfährt sie, dass ihre mutter in kalifornien gestorben ist. die nur vierzehn jahre ältere mutter lily hatte ihre tochter und deren vater verlassen um ihre eigenes leben zu führen. die tochter reist nach amerika, gerät in die etwas spezielle totenfeier, stiehlt dort ein paar kleider, schuhe, briefe, fotos und einen roten koffer. mit diesen gegenständen versucht sie lilys leben zu erforschen. sie trifft auf ihre erste grosse liebe und lässt den geplanten heimflug verfallen. aus den paar geplanten tagen in amerika werden wochen.
die berührende, manchmal etwas raue geschichte mit nicht immer schönen begegnungen zeichnet das leben und die gefühle der tochter treffend und genau. bestechend präzis sind die beschreibungen von menschen, landschaften und gegenständen, spannend und bewegend die handlung. die leichten, zeitweilig bis ans unwahrscheinliche grenzenden uebertreibungen geben der geschichte noch zusätzlich etwas würze ohne diese unglaubwürdig erscheinen zu lassen. ein unterhaltender roman, dem auch ein gewisser tiefgang nicht fehlt.

01.10.2012

martin suter: die zeit, die zeit

wer wünschte sich nicht, hin und wieder in eine frühere zeit zurückzukehren, um glück noch einmal zu erleben oder etwas anders zu entscheiden, um dem leben eine andere richtung zu geben? dies ist das grundthema dieses romans, der von einem alten mann und einem jungen witwer ausgehend, anhand einer gewagten theorie einen früheren moment wieder auferstehen lassen will. zunächst zögerlich, dann immer mehr engagiert, bis zuletzt aber zweifelnd an der sache, lässt sich der jüngere vom aelteren als gehilfe einspannen. die umgebung wird sukzessive und mit aller konsequenz in den zustand zurück verändert, wie sie damals ausgesehen hat. die spannung wie die sache ausgehen wird bleibt bis zum schluss. viel kriminelle energie wird zur erreichung dieses ziels freigesetzt und alles endet in einem unerwarteten, aber irgendwie doch erwarteten drama.
die geschichte bewegt sich zwischen realität und fiktion, die gut ineinander verwoben sind. nicht immer scheint das unmögliche möglich und auch das mögliche lässt die unmöglichkeit erahnen. aber ebenso eine geschichte, die viel menschliche regungen und emotionen im umgang miteinander aufzeigt, unterstützt von trefflich beschriebenen charakteren, die allen von uns im alltag immer wieder begegnen. ein buch für leute, die fantasie und lust haben, sich auf so eine abstruse geschichte einzulassen.