26.04.2014

catalin dorian florescu: der blinde masseur

mit teodors reise zurück in seine ursprüngliche heimat rumänien, aus der er mit seinen eltern geflüchtet war, beginnt die geschichte. in einem abgelegenen kurort trifft er auf ion. der blinde masseur ist ein ausserordentlicher mann, der sich der literatur verschrieben hat. in ihm findet er einen freund, dem er vertraut und dies veranlasst ihn hier zu bleiben. aber das blatt wendet sich unerwartet: teodor wird getäuscht und betrogen.
während man beim lesen in diese etwas seltsame gesellschaft eintaucht und sich darin wohlzufühlen beginnt, ereignen sich unerwartet dinge, die den wunsch aufkommen lassen wegzugehen. erzählungen der alten bauern und die entlegene, fast mystische landschaft bringen eine eigenartige stimmung auf.
ein sprachlich reiches buch, das zu lesen eine reine freude ist.

23.04.2014

daniel zahno: die geliebte des gelatiere

der ich-erzähler alvise wird als einzelkind in venedig gross. mit seinen mitschülern hat er es nicht leicht, aber noëmi, ein mädchen in seiner klasse, ist seine jugendliebe. das glück ist von kurzer dauer: noëmi zieht mit ihren eltern weg. alvise muss seinen weg ins leben finden. auf umwegen wird er ein bekannter und erfolgreicher gelatiere. seine erste liebe kann er aber nicht vergessen. erst eine schwere erkrankung macht ihm klar, dass er noëmi suchen muss. er macht sich auf den weg und findet sie!
eine eigentlich schöne geschichte, die einen sehr bewegen kann. während die gefühle und empfindungen klar und berührend beschrieben sind, scheinen die umgebende handlung, die orte und ereignisse etwas konstruiert daherzukommen. trotzdem ein liebevolles und unterhaltsames buch.

10.04.2014

fjodor dostojewskij: verbrechen und strafe

der arme student roskolnikow erschlägt die alte pfandleiherin aljona iwanowna, um an ihr geld und ihre habe zu kommen. deren schwester überrascht ihn bei der tat und erleidet das gleiche schicksal. nur viel glück und zufälle lassen den täter unerkannt entkommen. die grosse schuld, die er sich aufgeladen hat, lässt ihn nicht mehr zur ruhe kommen, macht ihn krank. zwei wochen, in denen vieles geschieht, treiben ihn um zwischen schuldbewusstsein und verdrängung. schliesslich legt er ein geständnis ab und wird verurteilt. die ganze handlung findet im st. petersburg der 19. jahrhunderts statt. wenige reiche und viele arme bevölkern die stadt, die hierarchien des zarenreichs tragen das uebrige dazu bei, den status quo zu erhalten.

die neue uebersetzung von swetlana geier bringt uns dostojewskijs „schuld und sühne“ in einer zeitgenössischeren und flüssigeren sprache näher und macht das lesen leichter, ohne dass inhalt und botschaft leiden.

06.04.2014

alissa ganijewa: die russische mauer

in dagestan ändert sich nach dem ende der sowjetunion vieles, wie überall in russland. westliche einflüsse, neue machtverhältnisse, aufleben alter traditionen und der erstarkende einfluss der bislang marginalisierten und aus dem öffentlichen leben verbannten religionen beginnen das leben zu bestimmen. verschiedene politische strömungen halten versammlungen ab und demonstrieren. trotz der zunehmenden unruhe im land versucht schamil sein leben zu leben, widmet sich seinem krafttraining, liebt schnelle autos und geht in die disco. doch als seine freundin madina sich von ihm trennt, weil sie den schleier nimmt und einem islamischen freiheitskämpfer in die berge folgt, bleibt für ihn die welt stehen und er verliert die orientierung. assja, seine cousine, will weg aus diesem land, nach georgien und noch weiter westwärts, weil sie hier keine zukunft sieht. schamil zaudert, kann sich nicht entscheiden, mit ihr zu gehen, und bleibt. die ereignisse überstürzen sich, eine katastrophe bahnt sich an.
dieses buch bringt uns eine welt nahe, die im westeuropa der 1990er-jahre kaum wahrgenommen worden ist. am beispiel dieses staatlichen umbruchs erfahren wir von den schwierigkeiten der neuorientierung, des machtvakuums, das von allen möglichen strömungen oft mit gewalt gefüllt werden will. vor allem die darunter leidenden menschen, deren oft einzige chance es war, zu schweigen oder zu fliehen, stehen im zentrum dieser geschichte. mit unmittelbaren beschreibungen lässt uns die autorin in diese welt eintauchen, der wir uns während des lesens nicht entziehen können.

05.04.2014

albert camus: der erste mensch

in algier während und nach dem ersten weltkrieg wächst jacques als kind im ärmlichen haushalt seiner beinahe tauben mutter und seiner analphabetischen grossmutter auf. von seinem grundschullehrer gefördert sind seine schulischen leistungen so gut, dass er ins weiterführende lyzeum übertreten kann. mit seinem freund pierre, der aus dem gleichen armenviertel stammt, fährt er täglich durch die halbe stadt in eine völlig andere welt. waren bisher seine mitschüler und spielkameraden zum grossen teil kinder arabischer familien, trifft er hier beinahe nur auf kinder der vertreter der französischen kolonialmacht. in diesem spannungsfeld erlebt er seine adoleszenz und beginnt sich existenzielle fragen zu stellen.
mit jacques zeichnet albert camus seine autobiografie und berichtet über seine ureigenen erlebnisse und gedanken, über eigene abgründe und wertehaltungen. einzigartig beschreibt er traditionen, die vom kolonialismus bedrängt werden, von konflikten, aber auch vom friedlichen zusammenleben unterschiedlichster menschen. feinfühlig und detailliert berichtet er über jacques entwicklung und erwachsenwerden.
das unvollendete manuskript zu diesem buch wurde bei camus' tödlichem autounfall gefunden.