22.05.2014

uwe timm: halbschatten

alles andere als gewöhnlich war es zu beginn des 20. jahrhunderts, dass frauen als pilotinnen unterwegs waren. marga von erzdorf war eine der frühen fliegerinnen: als erste flog sie von europa nach japan. bei ihrer ankunft trifft sie auf christian von dahlem, der für die deutsche botschaft als diplomat arbeitet. sie verbringen eine ungewöhnliche nacht gemeinsam in einem zimmer, getrennt nur durch einen vorhang. von dahlem, früher selbst flieger unter anderem im ersten weltkrieg, erzählt in dieser nacht von seiner tätigkeit als pilot aber auch von den ersten fliegerinnen. neben der schönheit und der faszination des fliegens berichtet er auch von gefahren, schrecken und verrat, vom prestige der piloten und deren instrumentalisierung im dritten reich. kurze zeit später bringt sich marga von erzdorf nach einem flug nach aleppo in syrien um. die ganze geschichte erzählt der friedhofsführer auf dem invalidenfriedhof in berlin, wo marga von erzdorfs grab sich befindet, aber nicht nur ihres, sondern auch gräber von männern, die im dritten reich das sagen hatten.
nicht ganz einfach zu lesen, weil die handlungsstränge sich immer wieder abwechseln und man sich immer wieder in einer anderen zeit befindet. aber gerade dies zeigt uns, wie sich die gleichen muster von macht und ohnmacht, liebe und gewalt, hässlichkeit und schönheit zu allen zeiten nicht nur immer wiederholen, sondern auch parallel in erscheinung treten.




10.05.2014

wolfgang herrndorf: arbeit und struktur

ein hirntumor limitiert die lebenserwartung von wolfgang herrndorf ganz massiv. nach seiner diagnose beginnt er einen blog zu schreiben, in dem er seinen alltag, seine gedanken, seine auseinandersetzung mit der krankheit, die reaktionen seiner freunde und seines umfeldes protokolliert. arbeit und struktur helfen ihm, diese herausforderung anzunehmen und sich ihr zu stellen. er schwankt zwischen hoffnung und resignation, ist über weite strecken realist, hat zeitweise aber auch einen nahezu sarkastischen umgang mit der krankheit und dem medizinischen personal. epileptische anfälle bestimmen zunehmend sein leben. gegen schluss gelingt es ihm nur noch mit hilfe seiner freunde, die texte niederzuschreiben.
sein scharfsinn, seine intelligenz und seine beobachtungsgabe ermöglichen ihm bilder zu vermitteln, die man als leser nicht mehr vergessen kann. klarer und realistischer kann man eine solche zeit der krankheit und des bevorstehenden todes kaum vermitteln. mit einer beeindruckenden konsequenz geht er seinen weg.
es war sein wunsch, dass dieser blog als buch herausgegeben wird. dafür werde ich ihm immer dankbar sein, denn, sollte ich je selbst in eine solche lage kommen, werde ich diese texte wieder lesen. ich bin überzeugt, sie werden mir eine grosse hilfe sein.

04.05.2014

klaus merz: jakob schläft

jakob, der älteste sohn, stirbt bei der geburt, der jüngste ist behindert, der vater leidet an epilepsie. aus der perspektive des mittleren sohnes wird die geschichte erzählt. trotz des schweren schicksals der familie geht das leben seinen gang und verläuft über weite strecken so normal wie das leben anderer familien. auch jakob ist in den gedanken immer mit dabei. oft ist – vielleicht etwas unerwartet – leichtigkeit und freude zu spüren.
mit genauen und oft kargen sätzen versteht es der autor uns diese stimmungen zu vermitteln. das buch ist für mich ein kleines wunder.