14.04.2015

bernd schroeder: wir sind doch alle da

in seinem 16. lebensjahr verunfallt benny und liegt bewusstlos im spital. seine eltern haben sich schon lange getrennt und treffen sich nicht mehr. benny lebt bei den grosseltern, wo die verhältnisse auch nicht so harmonisch sind. auch bei den weiteren verwandten hängt an vielen orten der haussegen schief, insgesamt eine etwas zerzauste familie. jetzt treffen sie am bett von benny aufeinander und es geht kaum noch um ihn, der immer noch im koma liegt.
eine spannende familienanalyse, die manchmal etwas heftig und überzeichnet daherkommt. zu beginn etwas unübersichtlich (wer ist wie mit wem verwandt oder befreundet?) aber spannend und amüsant zu lesen. schlicht ein köstliches buch, das uns aber viel trauriges und tragisches vor augen führt.

12.04.2015

ian mc evan: kindeswohl

als angesehene familienrichterin ist fiona maye mit vielen problemen konfrontiert: scheidungen, sorgerechte, unterhaltszahlungen sind ihre täglichen fälle. privat ist sie seit vielen jahren glücklich verheiratet. dann geschehen beinahe gleichzeitig zwei emotional sehr belastende dinge: ihr mann möchte ihre zustimmung für eine affäre mit einer jungen kollegin und es wird ihr ein dringender fall vorgelegt, in dem sie innerhalb 24 stunden entscheiden muss, ob einem 17-jährigen zeugen jehovas gegen den willen seiner eltern blut transfundiert werden darf, um ihm das leben zu retten. sie begibt sich in gewagte situationen und erlebt schwierige begegnungen. gelingt es ihr sachlich zu handeln und das richtige urteil zu fällen? der spannende und berührende roman lotet nicht nur grenzen ethischen handelns aus sondern kommt manchmal auch etwas utopisch daher.

06.04.2015

arno geiger: selbstportrait mit flusspferd

die beziehung zu judith ist beendet und für julian, den 22-jährigen veterinärstudenten, wird es ein schwieriger sommer. im garten des hauses seines professors verdient er mit der betreuung eines fluss­­pferdes etwas geld. da ist aber auch aiko, die tochter des hauses, in die er sich verliebt. die sache will aber nicht so richtig zum laufen kommen. das jugendleben an der schwelle zum erwachsenwerden bewegt sich zwischen hoffnungen und sehnsüchten, selbstzweifeln und mut. der scheinbar selbstsichere kommilitone tibor trägt zusätzlich zu den selbstzweifeln julians bei. einzig die stoische ruhe und zufriedenheit des flusspferdes gibt ihm eine gewisse sicherheit.
mit einem guten blick in das denken und handeln dieser jungen menschen versteht der autor es, ein subtiles bild des erwachsenwerdens zu zeichnen. ein roman, der einen in eigene jugenderinnerungen sinken lässt und in dem man sich hie und da wiedererkennt.

03.04.2015

peter stamm: ungefähre landschaft

kathrine ist 28, geschieden, alleinerziehende mutter und lebt in einem dorf an der küste nordnorwegens. sie lernt thomas kennen und heiratet ihn als zweiten mann. von aussen sieht alles gut aus: thomas ist vermögend, fürsorglich und nimmt sich dem stiefkind an. aber nach einer etwas seltsamen hochzeitsnacht schläft er nicht mehr mit ihr und belügt sie. sie scheint trotz zweifeln an seiner ehrlichkeit das schicksal zu akzeptieren. als thomas' eltern sie öffentlich anschuldigen, verreist sie und kommt erst nach ein paar wochen zurück, um sich dann mit ihrem jugendfreund morten zusammenzutun und sich letztlich von thomas scheiden zu lassen.
eine unruhige geschichte, die vor allem davon lebt, dass immer wieder neue protagonisten auftreten. das eigentlich gleichförmige und etwas langweilige leben von kathrine bleibt an der oberfläche. während die handlung eher etwas gesucht und konstruiert scheint, bringt aber die karge und knappe sprache kathrines stimmung und empfinden zum tragen.

01.04.2015

ismail kadaré: der schandkasten

in der hauptstadt des osmanischen reiches steht der schandkasten, bewacht von einem aufseher. darin werden die köpfe von hingerichteten aufrührern ausgestellt, was bei den touristen nicht nur ekel und abscheu, sondern auch faszination hervorruft. von überall her aus dem reich werden die köpfe herbei gebracht, spezielle konservierungsmethoden tragen zu deren erhalt bei.
dem albanischen wesir ali pascha wäre es beinahe gelungen sein land von der fremdherrschaft zu befreien, aber eben nur beinahe. so erfahren wir die geschichte der reise seines kopfes in den schandkasten.
eine art orientalisches märchen, das gut und gerne aus tausendundeiner nacht sein könnte. all die unwahrscheinlichkeiten und unwägbarkeiten dieser etwas mystischen geschichte lassen einen teilhaben an der denkweise der damaligen herrscher und gesellschaft.