29.12.2017

alain claude sulzer: privatstunden

martha, die frühere lehrerin und mittlerweile mutter und ehefrau erteilt dem jungen flüchtling leo aus osteuropa deutschunterricht. doch bald entwickelt sich mehr daraus: ein heimliches liebesverhältnis, das endet, als leo nach kanada zu seinem bruder geht. zurück bleibt eine enttäuschte martha, die aber gereift in der ausgeleierten familienstruktur weiterlebt. jahre später sucht und findet andreas den früheren geliebten seiner mutter um der geschichte nachzugehen.
faszinierend ist die nachzeichnung von ganz unterschiedlichen beziehungen zwischen menschen. ehen, deren ende längst überfällig wäre, wortloses zusammenleben und aufrechterhaltung des scheins. all dies und mehr bringt der autor auf eine art und weise in den roman ein, die das lesen zum vergnügen machen. die ende der 1960er jahre angesiedelte handlung hat kaum an aktualität verloren.

25.12.2017

juli zeh: adler und engel

die karriere von max in einer angesagten anwaltskanzlei endet abrupt, als seine freundin jessie sich das leben nimmt. max verliert den halt im leben, nur regelmässiger kokainkonsum lässt ihn alles aushalten. als er in eine radiosendung anruft, die sich menschen mit grossen lebensproblemen widmet, beginnt etwas neues. clara, die moderatorin bringt ihn dazu, sich mit seiner vergangenheit auseinanderzusetzen.
die spannende sprache mit vielen abenteuerlich beschriebenen alltagssituationen und lustigen vergleichen liess mich beim lesen durchhalten. uebertreibungen, aktionismus und realitätsfremdheit beherrschen immer wieder den text. zu viele nebenhandlungen liessen die spannung nicht aufkommen. die grosse handlungsdichte und eine etwas unübersichtliche zeitfolge mit retrospektiven machten mir das lesen schwer. kurz, ich habe nicht in das buch hineingefunden.

15.12.2017

john von düffel: zeit des verschwindens

zwei von einander unabhängige geschichten laufen parallel durch das buch.
in der einen ist philipp beruflich viel unterwegs. die beziehung zu seiner frau ist eigentlich gelaufen, aber zum geburtstag seines kleinen sohnes fährt er nach hause. er ist unsicher und immer wieder will er umkehren.
in der anderen handlung stürzt christina wegen des todes ihrer schwester in eine tiefe krise. sie kann schlecht darüber reden und ihr freund hendrik ist ihr kaum eine hilfe.
in diesem sensiblen und zeitlosen buch, erfahren wir von den gedanken und nöten dieser beiden letztlich hilflosen menschen, die am schluss unerwartet aufeinander treffen. diese gefühlvolle und trotzdem sachliche geschichte lässt einen sehr berührt zurück.

07.12.2017

édouard louis: im herzen der gewalt

auf dem heimweg von einer weihnachtsfeier wird édouard von einem jungen mann angesprochen und schnell ist klar, dass es eine spontane gemeinsame nacht werden wird: édouard nimmt reda mit zu sich nach hause. was zärtlich und liebevoll beginnt, endet mit der bewaffneten drohung redas, er werde ihn umbringen. édouard kommt mit einer tiefen seelischen verwundung davon, die er in diesem buch zu verarbeiten sucht.
dieses einzigartige werk ist nicht ganz einfach zu lesen und erfordert nicht nur wegen der vielen perspektivenwechsel grosse aufmerksamkeit. die exakt beschriebenen ereignisse sind streckenweise schwer auszuhalten. sein eigenes leiden, die veränderung seiner wahrnehmung und das erstaunen darüber, geben einen tiefen einblick in seine wechselvollen gefühle. treffend beschreibt er das oft hilflose und ignorante verhalten der professionellen helfer und die harte probe, auf die die persönlichen freundschaften gestellt werden. vor allem aber seine eigene ambivalenz dem täter gegenüber macht diesen autobiografischen roman extrem stimmig und hinterlässt eine tiefe betroffenheit.

02.12.2017

eberhard rathgeb: kein paar wie wir

ruth und viktoria emigrieren vor dem zweiten weltkrieg mit ihren eltern nach argentinien. ihr tyrannischer vater und ihre depressive mutter machen den beiden die jugend schwer. zuerst entscheidet sich ruth zur flucht und zieht nach new york, viktoria folgt ihr zwei jahre später nach. dort führen sie ein freies und unbeschwertes leben. als ihre eltern pflegebedürftig werden, kehren sie zu ihnen zurück und bleiben dort. im hohen alter blicken sie zurück auf ihr gemeinsames leben und ihre symbiotische beziehung.
das zentrale thema ist das finden eines gleichgewichtes zwischen dem verantwortungsgefühl der eigenen familie gegenüber und der realisierung der eigenen träume. diese geschichte, die exemplarisch für viele schicksale von töchtern steht, beschreibt nicht nur den weg zum selbstbestimmten leben der zwei, sondern zeichnet auch die ganz besondere beziehung zwischen den beiden frauen.