auf dem hof seiner familie in der
auvergne lebt paul, mitte vierzig, zusammen mit seinen beiden onkeln,
die jungesellen geblieben sind. so will paul nicht enden und gibt
eine annoce auf. im norden frankreichs an der belgischen grenze lebt
annette mit ihrem 11-jährigen sohn eric. gerade hat sie die ehe zum
vater ihres sohnes, einem gewalttätigen alkoholiker beendet. sie
antwortet auf pauls annonce und die beiden treffen sich ein erstes
mal. nach einem zweiten treffen entscheidet sich annette, mit ihrem
sohn zu paul zu ziehen und mit ihm ein neues leben zu beginnen. der
empfang durch die anderen hofbewohner bleibt trotz der vielen
bemühungen pauls frostig. die beiden alten und auch nicole, pauls
schwester, die ihm bisher den haushalt besorgt hat, lassen sie
spüren, wie wenig willkommen sie hier ist.
in einer subtilen und einfühlsamen
sprache, die vieles nur andeutet, anderes aber sehr klar benennt,
schreibt die autorin diese verwegene geschichte eines paares, das
sich unter schwierigen umständen erst wirklich finden muss. das
fehlen einer chronologischen erzählweise hat mich im ersten moment
etwas irritiert, sich später aber als besonders schöne art die
geschichte zu erzählen erwiesen. das offene ende lässt alles
möglich bleiben.
29.06.2021
marie-hélène lafon: die annonce
22.06.2021
julia von lucadou: die hochhausspringerin
das ist nicht ein einfacher science-fiction-roman. diese genaue und kompromisslose beschreibung einer welt, auf die wir zusteuern, führt uns vor augen, wie unsere zukunft aussehen könnte. trotz allen technologischen fortschritts bleiben dem menschen emotionen und immer wieder leuchten ganz menschliche und persönliche verhaltensweisen auf, die irgendwie nicht zum bestehenden system passen. eine spannende und ergreifende geschichte über macht und ohnmacht zwingt einen zum nachdenken über den technologischen fortschritt und die damit verbundenen gefährlichen folgen.
15.06.2021
elif shafak: unerhörte stimmen
leila wurde ermordet, aber in den
letzten sekunden nach ihrem herzstillstand ist ihr gehirn noch in
funktion und sie denkt zurück an die wichtigen momente ihres
schwierigen lebens: in einer wohlhabenden und konservativen familie
im osten der türkei verlebt leila ihre kindheit. früh schon wird
sie von ihrem onkel missbraucht. als dies in der familie bekannt
wird, soll sie mit ihrem cousin verheiratet werden, um die schande zu
verstecken. aber leila flüchtet und macht sich auf nach istanbul, wo
sie bald als prostituierte in einem bordell landet. trotz aller
schwierigkeiten bleibt sie eine starke frau. sie lernt ein paar
frauen kennen, die ihre wirklichen freundinnen werden. und diese
kümmern sich nun um die leiche, weil es nicht sein kann, dass sie
einfach irgendwo begraben wird. in einer abenteuerlichen aktion
erfüllen sie ihr ihren letzten wunsch.
ein spannendes und leicht zu lesendes
buch, das exemplarisch das schicksalshafte leben einer jungen frau
beschreibt und gleichzeitig ein wunderbares bild über
frauensolidarität zeichnet. das stadt-land-gefälle in der türkei,
die daraus folgende zerrissenheit der gesellschaft und die situation
von frauen, die am rande stehen, bilden den hintergrund dieser
spannenden und interessanten geschichte. eine richtige freude beim
lesen ist die bestechende strukturiertheit des textes, so dass man
beim lesen mühelos den ueberblick behält.
11.06.2021
antónio lobo antunes: portugals strahlende grösse
zur
zeit der portugiesischen kolonialherrschaft in angola heiratet der
ingenieur amadeu die wohlhabende farmerstochter isilda. nebst ihren
zwei gemeinsamen kindern clarisse und rui gehört auch carlos,
amadeus unehelicher mischlingssohn zur familie. carlos wird als
zweitklassiger mensch behandelt und sogar versteckt, wenn besuch
kommt. nach der überstürzten unabhängigkeit angolas, gelingt der
familie noch die flucht nach lissabon. isilda aber bleibt zurück und
lebt verarmt zusammen mit ihren schwarzen dienstboten in der alten
villa. in lissabon wohnt carlos mit seiner freundin lena zusammen,
clarisse lässt sich von alten männern aushalten und rui ist als
epileptiker in einem heim. niemand folgt carlos' einladung zum
weihnachtsessen, aber es löst bei allen eine auseinandersetzung mit
der vergangenheit und der familie aus.
wie
ein kaleidoskop zeigt der text die vielen facetten damaliger
verhältnisse und lebensbedingungen in der kolonie angola auf. der
mangel einer eigentlichen handlung und der von perspektivenwechseln
und unterbrechungen durchsetzte text erfordert beim lesen viel
konzentration. auch wenn ich dem inhalt nicht immer ganz folgen
konnte und die lektüre zeitweise sehr kompliziert und anspruchsvoll
war, hat es sich gelohnt, dieses buch zu ende zu lesen, lässt es
doch einen kritischen blick auf die kolonialgeschichte portugals zu.
der titel des buches hat letztlich etwas sarkastisches.
01.06.2021
arno camenisch: der schatten über dem dorf
vor vielen jahren hat sich über dem
dorf ein unfall ereignet, bei dem drei kinder ums leben gekommen
sind. diese tragödie bleibt den bewohnern und bewohnerinnen
unvergessen. kaum jemand spricht darüber, aber immer wieder wird die
erinnerung geweckt: sei es durch den blick hinauf zum unfallort, den
man noch heute meidet oder durch die kindergräber auf dem friedhof.
ueber diesem dorf, in dem alle sich gegenseitig kennen, viele
miteinander verwandt sind, bleibt ein schatten, der sich in
sprachlosigkeit und schicksalsergebenheit manifestiert.
hierher kehrt der erzähler nach langen
jahren der abwesenheit zurück und beobachtet leben und menschen in
diesem ort. subtil erzählt er von dieser tragik und führt einen mit
aufbauender spannung an das ereignis heran, bis erst gegen ende des
buches erzählt wird, was wirklich geschah.