25.10.2021

ta-nehisi coates: der wasserträger

hiram walker ist ein versklavter junger mann mit ganz besonderen begabungen. sein vater ist der weisse besitzer einer langsam untergehenden tabakplantage in virginia, seine mutter hat er nicht gekannt, sie wurde als sklavin weiterverkauft. die wirtschaftlich schwierigen zeiten bekommen vor allem auch die rechtlosen menschen, die besitz der gutsherren sind, zu spüren. hiram ist auf der suche nach seinen verlorenen erinnerungen und flüchtet mithilfe eines netzwerkes, das sklaven zur flucht verhilft, in die nordstaaten, wo er zum ersten mal seinesgleichen als freie menschen sieht. aber nicht nur das heimweh treibt ihn zurück, sondern auch die liebe zu sophia, einer frau, die im süden zurückgeblieben ist. die ganze handlung bildet den vordergrund zur geschichte des langen freiheitskampfes in den südstaaten amerikas.
eine unvorstellbare sozialgeschichte tut sich beim lesen auf. mit einer ausgesprochenen differenziertheit integriert der autor all die ungerechtigkeiten der damaligen verhältnisse. mit kraftvollen bildern und teilweise spannenden handlungsverläufen weiss er sicher viele lesende zu fesseln. die mystischen passagen waren für mich etwas schwer verständlich, liessen sich aber ins gesamtwerk einordnen. ein informativer roman über die damaligen verhältnisse in den südstaaten, der auch eine art geschichtsbuch sein kann. sprachlich meint man das amerikanische englisch in der deutschen uebersetzung zu spüren.

14.10.2021

per petterson: männer in meiner lage

arvid ist geschieden. seine frau hat ihn verlassen und lebt mit den drei töchtern zusammen. arvids leben ist seither nicht mehr das gleiche wie vorher. er ist allein und einsam, sucht nach dem sinn des lebens, geht abends aus und betrinkt sich ab und zu. er lernt andere frauen kennen, lässt sich mit ihnen ein, aber keine dieser beziehungen will glücken. seine drei töchter kommen jedes zweite wochenende zu besuch, so wie dies in der scheidungsverhandlung geregelt worden ist. aber eines tages erklären sie ihm, dass sie ihn noch ein letztes mal treffen wollen, dann nicht mehr.
ohne eine durchgehende handlung fasziniert dieses buch mit einer traurigen und leidvollen geschichte ohne wirkliche perspektive. nicht spannend und trotzdem fesselnd versteht der autor die gefühlslage des ich-erzählers einzufangen und liefert damit einen beitrag zu einem thema, das zu selten literarisch verarbeitet wird.

01.10.2021

alem grabovac: das achte kind

alem wird in würzburg in eine gastarbeiterfamilie geboren. die mutter arbeitet ein volles pensum und weil sie den sohn ihrem mann – einem kleinkriminellen und gewalttätigen alkoholiker – nicht unbeaufsichtigt überlassen will, gibt sie ihn in eine pflegefamilie. der vater verschwindet endgültig und landet letztlich in jugoslawien im gefängnis. die mutter lernt den ebenso gewalttätigen dušan kennen, mit dem sie fortan zusammenlebt. so bleibt alem ganz bei seinen pflegeeltern, die ihn, neben ihren eigenen sieben kindern wie einen eigenen sohn grossziehen. als er älter wird, realisiert er, dass sein pflegevater ein geschichtsleugnender nazi ist; irgendwann kommt es zum bruch mit ihm. alem entdeckt das lesen und beginnt sich in seine eigene welt der bücher zurückzuziehen. viel später, als erwachsener, macht er sich auf die suche nach der geschichte seines leiblichen vaters und dessen familie.
ohne zorn und ohne wertung berichtet der autor in diesem buch über seine kindheit und jugend. in drei teilen widmet er sich dem leben seiner mutter, dem seines vaters und seinem eigenen in der pflegefamilie. geschickt gelingt es ihm so, die menschen und milieus zu kontrastieren und zu beschreiben wie seine jugend zwischen diesen beiden welten verläuft, die unterschiedlicher nicht sein könnten. der alltag der mutter, der von armut, gewalt und abhängigkeit dominiert wird und das leben der wohlhabenden pflegeeltern, die sich mit viel liebe und sorgfalt um alem kümmern, aber andere leichen im keller haben. früh schon beginnt er sich um seine mutter sorgen zu machen, trotz der vielen trennungen bleibt seine liebe zu ihr und seinen grosseltern unverändert stark. dieser versöhnliche bericht über eine schwierige jugend mit vielen schrecklichen momenten lässt einen staunen, was ein kind aushalten kann und macht irgendwie auch hoffnung.