28.06.2022

jakub małecki: saturnin

saturnin ist dreissig jahre alt und lebt alleine in warschau. als ihn seine mutter anruft, weil sein 96-jähriger grossvater tadeusz verschwunden ist, nimmt er urlaub und fährt nach hause ins dorf, wo er seine kindheit verbracht hat. zwei tage dauert die suche, bis der vermisste kilometerweit entfernt am ufer eines flusses im schlamm liegend gefunden wird. was hat dieser ort zu bedeuten? langsam erfährt der enkel die von kriegsereignissen gezeichnete lebensgeschichte seines grossvaters, der vieles wollte und konnte, nur nicht in den krieg ziehen.
es ist nicht nur die geschichte einer familie über drei generationen, die von einem krieg geprägt wird. beispiellos tritt in diesem an gewissen stellen auch etwas gruseligen roman zutage, wozu ein mensch in einer solchen krisensituation fähig ist und wie dies sein weiteres leben verändert und zerstört. nicht nur wegen der zeitweise hervorgerufenen gänsehaut, sondern auch wegen der mehrschichtigen und teilweise fiktiven erzählweise ist die zweite hälfte nicht immer ganz leicht zu lesen. aber dieses ganz besondere buch über ganz besondere verhältnisse ist in einer eindringlichen sprache geschrieben.

23.06.2022

sofi oksanen: hundepark

nach dem ende der sowjetunion entscheiden olenkas eltern von tallinn in die ostukraine, die heimat des vaters, umzuziehen. als jugendliche will olenka so schnell wie möglich weg aus dieser armen gegend. eine kleine anzeige an einem strommast weist ihr den weg: als eizellenspenderin beginnt ihr neues leben. bald steigt sie auf, wird koordinatorin in der firma, die kinderwünsche von unfruchtbaren paaren aus westeuropa erfüllt. ein jahrzehnt später lebt olenka in helsinki, wo sie eines tages daria begegnet, die sie damals als spenderin angeworben hat. jetzt plant daria ein aus ihrer eizellenspende gezeugtes kind zu entführen. olenka muss dies verhindern.
der roman handelt in einer zeit, in der sich vieles im halblegalen oder illegalen bereich zugetragen hat. gewalt, korruption und erpressung sind allgegenwärtig. direkt und ohne beschönigung erfahren wir exemplarisch über die ausbeutung von frauen durch die fortpflanzungsindustrie. die vielschichtige aber auch komplizierte geschichte, mit ihren zeitsprüngen und den detailliert beschriebenen persönlichen schicksalen, ist nicht immer ganz übersichtlich, was dem ganzen aber keinen abbruch tut. prägnant, detailliert, leicht sarkastisch und mit etwas schwarzem humor führt uns die autorin in die unvorstellbare zeit der auflösung eines politischen systems und dessen folgen. durch den krieg in der ukraine erhält das buch eine zusätzliche aktualität.

06.06.2022

assia djebar: die schattenkönigin

die eher westlich orientierte isma, mutter von zwei kindern, sucht für ihren mann eine zweite frau, um sich selbst aus den verpflichtungen der ehe zu befreien; etwas, das in der tradition ihrer gesellschaft durchaus vorgesehen ist. in hanja, einem jungen, bescheidenen mädchen aus einer armen familie findet sie die frau, die fortan ihre stelle einnehmen und ihren kindern eine gute mutter sein soll. aber auch hanja sucht sich mit phantasie und list ihre freiheiten.
hier tut sich ein blick in werte einer völlig anderen kultur auf. der tiefe einblick in die rolle der arabischen frau fördert für uns beinahe unverständliches und doch irgendwie logisches zu tage. mit viel geschick werden diese frauen den gesellschaftlichen ansprüchen gerecht und behalten sich dabei trotzdem ihre freiheit. das soziale gefälle ist unübersehbar und hat einen starken einfluss auf den grad der abhängigkeit. die autorin versteht es meisterhaft, gefühle und gedanken zu beschreiben. sie bringt uns damit eine fremde welt und denkweise auf faszinierende art nahe.