28.08.2022

annina haab: bei den grossen vögeln

schon in jungen jahren ist ali eine frau, die ihren eigenen weg geht. früh verlässt sie gegen den willen ihrer eltern das heimatliche kleine dorf in den bergen um nach london zu gehen. später kommt sie zurück. das leben im dorf ist nichts mehr für die freiheitsliebende ali, sie sucht sich wohnung und arbeit in der stadt. nach einem langen und für jene zeit unkonventionellen leben zieht sie als grossmutter ins altersheim. sie redet nun oft vom sterben. ihre enkelin, die eine nahe und besondere beziehung zu ihr hat, besucht sie oft. es fällt ihr aber schwer sich mit dem bevorstehenden abschied auseinanderzusetzen. erfolglos fordert sie ali auf, ihre erlebnisse, ihre lebensgeschichte niederzuschreiben. nun tut es die junge frau stellvertretend für sie. als ali stirbt, ist die geschichte unvollständig.
in diesem wunderbaren «generationenbuch» bringt uns die autorin nicht nur die beziehung zwischen diesen zwei frauen unterschiedlichen alters nahe, sondern erzählt auch alis leben. die unvollständigen berichte der grossmutter werden mit fiktiven oder erahnten elementen ergänzt. so könnte es damals gewesen sein. die liebevolle erzählweise in einer reichen und subtilen sprache macht den roman zu einem emotionalen und tiefgehenden leseerlebnis.

14.08.2022

elvira dones: kleiner sauberer krieg

während des jugoslawienkrieges greift die nato in den konflikt um den kosovo ein. auf pristina fallen bomben, serbische milizen machen jagd auf die albanischstämmige bevölkerung. rea, hana und nita, drei frauen unterschiedlichen alters und lebenshintergrunds sitzen in einer wohnung fest, ohne strom, ohne wasser, ohne telefon. sich auf die strasse zu begeben kann tödlich enden. trotzdem müssen sie immer wieder hinaus, um essen zu beschaffen oder zu telefonieren. nur vage und unsicher sind die informationen über ihre freundinnen und verwandten. parallel erfährt man beim lesen von deren schicksal in ihrem zuhause oder auf der flucht und ist so den drei frauen voraus im wissen um die wirklichkeit. nach über sechzig tagen ist dieser krieg zu ende, die drei haben überlebt, viele ihrer nächsten und freunde aber nicht.
ohne jede rücksicht und zurückhaltung wird hier das grauen eines brutalen kriegsgeschehens beschrieben. unerträglich viel blut fliesst, unvorstellbare gräueltaten, getrieben vom gedanken der ethnischen säuberung machen das einzelne leben wertlos, es gibt kein verlässliches recht mehr. als tröstlicher kontrast leuchten dazwischen momente der solidarität zwischen albanischen und serbischen frauen auf. der eindringliche, schonungslose und ungeschminkte bericht über diese dunklen tage in der geschichte des balkans, lässt sich nicht unberührt lesen. eines der beeindruckendsten und emotionalsten bücher, das ich in den letzten monaten gelesen habe.

03.08.2022

r. o. kwon: die brandstifter

will, der aus einfachen verhältnissen stammt, beginnt an einer renommierten universität im staat new york zu studieren. dort trifft er bald auf die allseits beliebte und attraktive phoebe, die aus einer gutsituierten familie stammt. die beiden werden ein paar. doch phoebe fühlt sich am tod ihrer mutter schuldig und wird damit ein leichtes opfer des jungen, charismatischen john leal, der eine sektenartige gruppe um sich schart, die konservative werte vertritt. phoebe entfremdet sich will, gerät in den sog dieser gemeinschaft, die letztlich mit gewalt ihre anliegen durchzusetzen versucht. will erkennt schnell die gefahr und versucht bis zum ende, seine freundin zurückzugewinnen und aus dem teufelskreis herauszuholen.
mit zunehmender spannung liest sich dieses dramatische buch, über eine liebesbeziehung, die durch einen äusseren einfluss auf eine harte probe gestellt wird und letztlich scheitert. die aus den verschiedenen perspektiven erzählte geschichte handelt vom schmalen grat und den zerbrechlichen grenzen zwischen der normalität und ausnahmemomenten. exemplarisch berichtet der roman über abhängigkeiten und machtausübung. ein aktuelles thema in zeiten von rollbacks und verschwörungstherorien.