23.03.2023

tom wolfe: ich bin charlotte simmons

hochbegabt schliesst charlotte die schule mit bestnoten ab. sie ist die erste aus ihrem abgelegen ort in den bergen, die ein stipendium für die renommierte dupont-universität erhält. sie freut sich, an einem solchen ort des wissens und der bildung zu studieren. bald nach ihrer ankunft wird sie aber mit einer unerwarteten realität konfrontiert, denn hier zählen geld, schöne kleider, partys, alkohol und sex. zunächst hält sie sich -- geprägt von ihrer religiösen erziehung -- fern von ausschweifenden gelagen, aber drei männer werben um sie. zunächst entscheidet sie sich für den falschen. sie stürzt in eine existenzielle krise und gefährdet damit auch ihr studium. erst nach einer schweren zeit findet sie zurück ins leben und zum wahrscheinlich richtigen mann. so wird sie wieder zur alten, starken charlotte simmons.
charlottes persönliche geschichte ist der rote faden, dem entlang viele gesellschaftliche und soziale gegebenheiten der us-amerikanischen gesellschaft zur sprache kommen. studierende mit unterschiedlichen sozialen hintergründen treffen aufeinander, was schon gleich zu beginn einiges an konflikten erahnen lässt. die kontraste zwischen dem anspruch der bildungsinstitution und dem alltag könnten nicht grösser sein. studiert und gelehrt wird nur nebenher. reich illustriert werden die menschen und deren verhalten beschrieben. der versuch, durch die oft derbe, ordinäre, manchmal ans pornografische grenzende sprache den studentischen slang zu vermitteln, scheitert ziemlich. wenig subtil wird das von neid, gewalt und exzessen geprägte leben vermittelt. leider vermag der roman nicht immer die spannung zu halten, einzelne kapitel verlangen sachkenntnisse (z.b. über basketball) um sie zu verstehen. immer wieder vorkommende wörtliche textwiederholungen irritieren. die sich über beinahe 800 seiten erstreckende geschichte dürfte durchaus etwas weniger lang sein.

12.03.2023

charles lewinsky: der halbbart

zu beginn des 14. jahrhunderts ist das leben in der innerschweizer talschaft geprägt von aberglaube und teufelsgeschichten. in dieser gesellschaft lebt der sensible sebi als jugendlicher, der ein inniges und enges verhältnis zu seinem ältesten bruder hat. das geschehen um ihn herum verleitet ihn zu vielen gedanken über das reden und handeln der menschen. sein untrügliches gespür für gerechtigkeit lässt ihn ahnen, wie manches nicht zusammenpasst. er freundet sich mit halbbart an, einem fremden, von dem niemand wirklich weiss, wo er herstammt. sebi lernt von ihm menschenkenntnis und moralische werte. da der grosse teil der bevölkerung arm und abhängig vom kloster ist gibt es unruhe in der gegend, das volk lehnt sich auf. immer wieder gibt es neid, diebstahl, brandschatzung und mord, bis alles in eine historische schlacht mündet.
der parabelhafte roman ist eine weise und berührende geschichte, die viele gesellschaftskritischen parallelen zur heutigen zeit hat. in einer wunderbaren, lebendigen sprache erfahren wir vom schwierigen leben zu jener zeit. eingestreute dialektausdrücke vermitteln der handlung farbe und intensität. das ganz besondere ist die beschreibung der gedanken von sebi, der manches beobachtet, zu verstehen versucht und sich einen eigenen reim auf ereignisse macht. beim lesen dieses buches wünscht man sich, es nähme nie ein ende.

01.03.2023

catalin dorian florescu: wunderzeit

sie stehen an der grenze und warten auf die ausreise aus rumänien. der vater von alin kehrt mit seiner familie dem land, in dem er keine perspektive sieht, den rücken. hier beim warten erinnert sich alin an ihre erste reise ins ausland. damals fuhr sein vater mit ihm bis nach amerika um für seine krankheit eine bessere therapie zu finden. nach der operation kehrten sie zurück, was niemand verstand, denn wer es einmal geschafft hatte wegzugehen, kehrte nicht mehr zurück.
witzig und leicht sarkastisch wird hier das komplizierte, schwierige leben im sozialistischen rumänien unter ceausescu beschrieben. aus der optik eines kindes, das nicht immer alles versteht, nicht alles einordnen kann, was erwachsene tun und sagen, macht sich alin mit einer bemerkenswerten beobachtungsgabe seinen eigenen reim auf die ereignisse. trotz aller leichtigkeit tritt der ernst des lebens unter diesem regime zu tage und zeigt uns, wie menschen untereinander solidarisch sein können.