27.05.2024

milena agus: eine fast perfekte welt

als junge frau verlässt ester ihre heimat sardinien, um ihrem verlobten raffaele nach genua zu folgen, wo er arbeit gefunden hat. doch auf dem festland ist sie unglücklich und sehnt sich nach ihrer heimat. aber auch zurück im heimatdorf, sehnt sie sich nach einem perfekten ort, der immer irgendwo anders ist. ihre tochter felicita ist bei der rückkehr des paares auf die insel noch ein schulkind. zufrieden mit dem leben macht sie – anders als ihre mutter – aus allem das beste. als jugendliche verliebt sie sich in pietro maria, sohn der einzigen reichen familie im dorf, die abgeschottet in einer villa lebt. sie lernen sich kennen und felicita wird schwanger. pietro maria will sie heiraten, sie verweigert sich aber, weil sie weiss, dass er sie nicht wirklich liebt. um die schwangerschaft zu verbergen, zieht felicita in die stadt. hier zieht sie ihren musikbegabten sohn auf, der dann nach new york geht um den traum einer karriere zu verwirklichen.
die generationengeschichte lebt von viel handlung, vielen personen, vielen ereignissen und vermag auf diese weise eine spannung zu halten. was bleibt sind die bildhaft-realistischen beschreibungen des lebens in sardinien in den 1950er-jahren, als diese insel noch von archaischen strukturen geprägt war und industrialisierung und tourismus von der bevölkerung noch feindlich betrachtet wurde. sonst fehlt mir etwas die tiefe in der auseinandersetzung mit den zahlreichen vielschichtigen problemen.

24.05.2024

yusuf yesilöz: nelkenblatt

für elsa, die kritische und eigenwillige mutter von luzia, ist es nicht einfach eine pflegerin zu finden, die rund um die uhr da ist. in pina wird nun jemand gefunden, die auch von elsa akzeptiert wird. während elsa mit dem leben weitgehend abgeschlossen hat und bereit ist zu sterben, wird sie von ihrer tochter immer wieder aufgefordert zu essen oder an die frische luft zu gehen. pina steht schnell zwischen den ansprüchen der tochter und den verweigerungen der mutter. sie findet ihren weg, damit umzugehen und baut eine nahe und gute beziehung zu elsa auf. gleichzeitig wird sie immer wieder an den tod ihrer eigenen mutter erinnert, vor der sie sich – als aus ihrem heimatland geflohene – nicht verabschieden konnte. zum schluss stirbt elsa und hinterlässt bei pina eine lücke.
es ist eher wieder ruhig geworden um die thematik der 24-stunden-betreuung. dieser roman ist ein beitrag aus einer anderen sicht und konzentriert sich vor allem auf die pflegebeziehung der beiden frauen und auf das heimweh und die verlassenheit pinas im fremden land. die auseinandersetzung mit den oft schwierigen arbeitsbedingungen fehlt völlig. das buch beschreibt einen eher kurzen zeitraum. für mich ist das loyalitätsproblem pinas das zentrale moment, das einfühlsam beschrieben wird. die eher traditionelle familiensituation und das begüterte umfeld haben zeitweise etwas clichéhaftes, was manches etwas zu unproblematisch erscheinen lässt.

18.05.2024

fien veldman: xerox

ausdrucken und versenden von briefen ist ihre eintönige büroarbeit. während sie zu ihren kolleginnen und kollegen ein eher distanziertes verhältnis hat, ist das zu ihrem wichtigsten arbeitsgerät, dem drucker, ein beinahe menschliches. sie kommuniziert mit ihm wie mit einem freund und versteht seine sorgen. auch der drucker kommt mit seinen beobachtungen zu wort. in zeiten der elektronischen uebermittlung wird ihre tätigkeit aber immer unwichtiger: sie verliert ihre stelle, das gerät kommt zunächst in eine abstellkammer. später wird es zur entsorgung auf die strasse gestellt. doch die beiden kommen auf wunderbare weise wieder zusammen.
die autorin versteht es auf eine geniale weise in dieser parabelhaften geschichte den heutigen büroalltag zu beschreiben. alle auftretenden und handelnden personen werden nur über ihre funktion benannt, was eine kühle atmosphäre vermittelt. der roman ist eine kritische auseinandersetzung mit den heutigen bedingungen in der arbeitswelt. der verhaltene humor birgt eine wohltuende komponente, das buch hat etwas märchenhaftes.

11.05.2024

jon fosse: ein leuchten

einem mann ist es etwas langweilig, er setzt sich ins auto und fährt ziellos umher. einmal rechts abbiegen, dann wieder links, die strasse wird immer schmaler. als es zu schneien beginnt, bleibt er auf einem waldweg stecken. langsam wird es dunkel und er macht sich auf, hilfe zu suchen. dabei verirrt er sich im wald. er sieht ein licht, gestalten scheinen auf ihn zuzukommen, er hört stimmen. er wird müde, die verlockung ist gross, sich hinzusetzen und etwas zu schlafen, er weiss aber, so könnte er erfrieren. er folgt den gestalten in eine unbestimmte richtung.
in dieser mystischen novelle kommen alle gedanken und aengste vor, die man in solch unwirtlichen situationen hat. ein ruhig fliessender, scheinbar endlos sich im kreis drehender text vermittelt ohne unterbrechung die gedanken des irrenden in einer stillen und sinnlichen art. es ist eine eigenartige erzählung, die mich trotz der kaum vorhandenen handlung irgendwie fasziniert.