in der zweiten hälfte des 19.
jahrhunderts ist das leben der landleute von viel arbeit und mühsal
geprägt. die katholische kirche hat einen umfassenden einfluss auf
menschen. resl, oder therese, wie sie mit taufname heisst, tochter
eines bauern, wächst zu jener zeit mit einigen geschwistern in der
gegend um den starnberger see auf. sie ist eine fleissige,
strenggläubige junge frau, die eigentlich nur arbeiten und beten
kennt. als max, der junge bäcker aus dem nachbardorf um sie anhält,
wird bald geheiratet. sie wird die mutter von elf kindern, von denen
acht am leben bleiben. bis in die 1930er jahre erlebt sie die
stürmische entwicklung der welt, das ende der monarchie, zwei kriege
und bleibt dabei die treu duldsame, bescheidene mutter. als alte frau
stirbt sie zur zeit der machtübernahme der nationalsozialisten in
deutschland.
der autor dieses buches, das
zweitjüngste kind, setzt nicht nur seiner mutter ein starkes denkmal
mit diesem bericht, sondern beschreibt auch auf eindrückliche weise
die bäuerliche gesellschaft jener zeit und den einfluss, den das
weltgeschehen darauf hatte. der verlust traditioneller religiöser
und gesellschaftlicher werte und die dadurch entstehende entfremdung
zwischen den generationen werden zu einem überaus anschaulichen bild
gefügt. starke, detaillierte personenbeschreibungen lassen einen in
diese ländliche welt eintauchen. der ganze roman übt – obgleich
nicht immer spannend – eine ganz besondere faszination aus.
23.09.2024
oskar maria graf: das leben meiner mutter
15.09.2024
urs widmer: der geliebte der mutter
als sie sich kennenlernen, ist sie die
schöne tochter aus wohlhabendem haus, er ein armer junger von musik
beseelter mann. sie unterstützt ihn als werdenden dirigenten, wendet
ihm mittel zu und arbeitet später ehrenamtlich für sein neu
gegründetes orchester. niemand weiss von ihrer heimlichen liebe zu
ihm, für die er blind ist und die er nie erwidert. lebenslang trägt
sie ihn im herzen. am ende des lebens ist er berühmt, steht auf den
renommiertesten bühnen der welt, sie hingegen ist verarmt, immer
noch von der unerklärten liebe zu ihm umgetrieben.
eine schwierige beziehung zwischen zwei
unterschiedlichen menschen tut sich vor uns auf. mit einer präzisen
beschreibung der gefühlslagen und deren auswirkungen lässt uns der
autor in eine situation blicken, die wahrscheinlich viele zumindest
im ansatz kennen. trotz der abgründigen handlung ist der eine
leichtigkeit ausstrahlende roman spannend und leicht zu lesen. er
vermittelt uns ohne einen belehrenden anspruch ein stück
lebensweisheit.
09.09.2024
tommi kinnunen: das licht in deinen augen
jalhja
und onni führen ihr fotogeschäft und bringen es nach den
kriegsjahren mit entbehrungen wieder zu etwas wohlstand. onni, zurück
aus dem krieg ist aber nicht mehr der gleiche. konflikte mit seiner
frau belasten und verunsichern auch ihre drei kinder. für helena,
die früh erblindet, wollen sie nur das beste: sie schicken sie auf
eine blindenschule in helsinki. sie wird eine selbständige pianistin
und klavierstimmerin. ihr neffe tuomas verlässt viele jahre später
die heimat ebenso, um in der hauptstadt sein leben als schwuler mann
freier führen zu können. dort treffen sich die beiden fern der
heimat wieder. ihre leben sind immer wieder geprägt von rückschlägen
und heimweh nach der familie.
das
familienepos über vier generationen durch eine zeit sozialer und
wirtschaftlicher entwicklung wirft vor allem ein licht auf die zwei
»aussenseiter«, die blinde helena und den schwulen tuomas, deren
leben sich von dem ihrer verwandten im norden stark abhebt. trotzdem
bleiben alle einander verbunden, sorgen füreinander und lernen sich
gegenseitig zu respektieren und akzeptieren. die zeitweise etwas
unrealistisch harmonische geschichte ist in vielen zeitsprüngen
erzählt, was zu beginn die orientierung nicht ganz einfach macht.
ein kleines personenregister hätte den ueberblick vereinfacht.
allein schon die einzigartige beschreibung der räumlichen
orientierung helenas durch geräusche, echos, gerüche und
luftbewegungen lohnt, das buch zu lesen. die karge sprache und das
offene ende machen eine andere stärke dieses romans aus.
06.09.2024
john lanchester: die mauer
ein
blick in die zukunft: joseph kavanagh wird wie alle jungen menschen
in england, zum zweijährigen dienst auf der mauer eingezogen. dies
ist der verteidigungswall entlang der ganzen küste und schützt die
insel vor illegal eindringenden menschen, aber auch vor dem
steigenden meeresspiegel. der wachdienst auf der mauer ist stark
reglementiert, fehler und verstösse werden drakonisch sanktioniert.
als kavanaghs einheit bei einem angriff versagt, werden etliche von
ihnen zur strafe auf dem meer ausgesetzt. in ihrem kleinen
rettungsboot geht es ums ueberleben und die suche nach einer neuen
heimat. so werden die ehemals bewachenden selbst zu flüchtlingen.
eigentlich
gibt es dies heute alles schon: flüchtlinge, mauern,
klimaveränderung, abschottung, brexit. trotzdem wirkt dieser
parabelhafte text utopisch, irgendwie auch unwirklich und bizarr.
beeindruckend aktuell geht der autor den brennenden fragen unserer
zeit nach. das wechselbad zwischen realistischen und unrealistischen
momenten macht das lesen spannender als die handlung selbst. das ende
des romans hätte ich mir anders und offener gewünscht.