28.11.2025

han kang: die vegetarierin

die eigentlich unauffällige yong-hye wird auf grund eines traums von einem tag zum anderen vegetarierin und beginnt sich ihrer umwelt zu verschliessen. ihr mann versteht dies nicht, sucht erklärungen und wendet sich zunächst an ihre familie. weder die eltern noch ihre schwester in-hye können sie umstimmen. es kommt zur scheidung; die zunehmend magersüchtige frau lebt in der folge alleine in einer kleinen wohnung. ihr schwager, ein künstler, heimlich schon länger in sie verliebt, gewinnt sie für ein videoprojekt als darstellerin. dabei kommt es zu einer gemeinsamen nacht, was auch seine ehe mit in-hye gefährdet. yong-hye wird in eine psychiatrische klinik eingewiesen, wo ihr nebst der magersucht eine schizophrenie diagnostiziert wird. in-hye besucht sie regelmässig, fühlt sich trotz der ganzen vorgeschichte, die auch ihre ehe zerstört hat, verantwortlich. ein in der klinik gestarteter versuch der zwangsernährung mit einer sonde endet in einem gewaltakt, der ihr beinahe das leben kostet.
der titel passt nicht ganz: es geht hier eher um magersucht, denn die art wie yong-hye ihr essen und verhalten umstellt hat etwas sehr radikales. was zunächst unverständlich erscheint, lässt schnell an einen psychiatrischen hintergrund denken, und so kommt es dann auch. die schilderungen der vorgänge in der klinik sind alarmierend. sehr treffend sind die beschreibung der sorge um die schwester und die gewissensbisse in-hyes. einige eher an pornografischen text erinnernde passagen passen nicht wirklich in die ernsthaftigkeit der restlichen handlung. eine fremdartige, nicht einfache geschichte, deren botschaft ohne kenntnis kultureller hintergründe schwer zu verstehen ist. trotz aller vorbehalte habe ich das buch zu ende gelesen, dessen ausgang letztlich im ungefähren bleibt und deshalb auch irgendwie enttäuscht.

21.11.2025

edna o'brien: die kleinen roten stühle

in einem dorf an irlands küste taucht ein mann auf, der sich als dr. vladimir dragan, arzt und sexualtherapeut, vorstellt und eine praxis eröffnet. das gibt zu reden, gerüchte machen die runde, er findet aber auch leute, die seine dienste in anspruch nehmen. in wahrheit ist er aber ein gesuchter kriegsverbrecher aus dem jugoslawienkrieg. fidelma konsultiert ihn als heiler, lässt sich mit ihm ein und wird schwanger. während eines ueberfalls durch maskierte männer, die sie foltern, steigt ihre angst. sie verlässt ihren mann und geht nach london. mittellos wird sie dort von einer frau – einer zufallsbekanntschaft – aufgenommen. nur schlecht kann sie fuss fassen: enttäuschung und armut lassen sie letztlich wieder in ihre heimat zurückkehren.
nicht nur das untertauchen eines kriegsverbrechers, sondern auch das abtreibungsverbot in irland und der soziale abstieg eines menschen werden in diesem buch thematisiert, auch sprachlosigkeit und zweifel der hauptprotagonistin sind omnipräsent. die komplexe geschichte mit vielen nur angedeuteten facetten ist nicht einfach und ist spätestens bei der folterszene unerträglich zu lesen. der vielen angesprochenen themen wegen, entsteht zeitweise der eindruck eines überladenen textes. detailliert wird die figur des arztes beschrieben, während von den anderen personen nur eher vage bilder entstehen. viele kurze, einfache sätze haben einen etwas unharmonischen leserhythmus zur folge. der titel des buches bezieht sich auf eine installation in sarajevo zum gedenken der toten während der belagerung der stadt, lässt einen aber ohne weitere erklärung dazu zurück. insgesamt ein anspruchsvolles und herausforderndes werk.

16.11.2025

philippe grimbert: ein besonderer junge

als louis die anzeige sieht, in der jemand zur betreuung eines besonderen jungen gesucht wird, meldet er sich. da sein studium ihn nicht überzeugt, sieht er darin die möglichkeit von den ansprüchen seiner eltern wegzukommen. er wird engagiert und fährt in einen kleinen badeort in der normandie, wo iannis, der zu betreuende autistische junge, mit seiner mutter helena lebt. doch bald versucht diese louis zu verführen, was ihn verunsichert und verwirrt. zu iannis findet er als einziger einen zugang und entdeckt dessen ungeahnten fähigkeiten. als eine institution in belgien endliche einen heimplatz hat, bleibt louis nur noch ihn in diese ungewisse zukunft zu begleiten. doch iannis will da nicht hin – er wählt einen anderen weg.
trotz der schwierigen materie ein spannender, leicht zu lesender roman, der sehr konzentriert die spannungsfelder der betroffenen beschreibt. geschickt werden verschiedene geschichten verwoben und geben am schluss ein abgerundetes ganzes. der offene ausgang gibt uns raum für alle das beste zu wünschen. ein berührendes buch, das menschen gewidmet ist, die anders sind.

10.11.2025

ayelet gundar-goshen: ungebetene gäste

als naomi einen moment nicht auf ihren kleinen sohn uri achtet, klettert er zum fenster. der dort liegende hammer des arabischen handwerkers fällt hinunter und tötet einen zufällig vorbeigehenden jungen mann. schnell wird der handwerker eines attentats verdächtigt und verhaftet. naomi weiss die wahrheit, lässt sich aber drei tage zeit, bis sie auf drängen ihres mannes juval zur polizei geht. wegen ihrer schuldgefühle mag sie den nachbarn nicht mehr begegnen und verlässt das haus kaum noch. juval erhält ein angebot für einen einsatz in nigeria. zunächst scheint ihr der umzug nach afrika eine befreiung. bald erlebt sie aber einen einsamen und schwierigen alltag, der auch die beziehung zwischen ihr und ihrem mann gefährdet.
nach einem fulminanten einstieg und einer packenden ersten hälfte beginnt die spannung nachzulassen. zu viele personen, etliche handlungsstränge, deren inhalte nicht weiterverfolgt werden und einige nebenschauplätze lassen die geschichte irgendwie unwirklich erscheinen. das unglück im ersten teil bleibt nur mittel um das spätere zerbrechen einer beziehung einzuleiten und wird damit den opfern nicht gerecht. ebenso missglückt der versuch die korrupte politische lage in nigeria darzustellen und auch die auseinandersetzung mit rassismus will nicht gelingen. schade, weniger wäre mehr gewesen.