22.08.2012

leena lehtholainen: ich war nie bei dir

auf einem familienausflug auf eine kleine insel, verschwindet rikku, der familienvater. er ist schwimmen gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. unfall, selbstmord, mord... alles ist möglich. jaana und ihre beiden kinder bleiben zurück, während die polizei den vermissten erfolglos sucht. im verlauf der geschichte stellt jaana fest, wie wenig sie mit ihrem mann noch gemeinsam hatte und wie wenig sie einander noch verbunden waren, während die kinder den verlust des vaters kaum akzeptieren können. doch dann kommt ein unerwartetes ereignis, das das leben erneut verändert.
in form einer reportage mit zitierten tagebucheinträgen der beiden eltern und eigenen kommentaren erzählt die autorin eine ungewöhnliche geschichte. nicht nur die unterschiedliche betroffenheit der einzelnen familienmitglieder und deren bewältigungsstrategien, sondern auch die reaktionen des umfeldes werden ineinander verflochten dargestellt. gedankengänge, denen zu folgen nicht immer einfach ist, rückblenden in die gemeinsame geschichte und blicke auf die weiteren familenstrukturen ergänzen die handlung und zeigen vermeintliche schuld und unschuld an den geschehnissen. das buch bringt ein thema zur sprache, über das zu denken geschweige denn zu sprechen, sich viele nicht wagten.
die ungenaue abgrenzung von tagebuchzitaten und kommentaren lässt den text  machmal etwas unübersichtlich erscheinen, aber die geschichte vermag die spannung zu halten und ist trotz all der nicht immer einfachen finnischen namen gut zu lesen.

14.08.2012

abdel sellou: einfach freunde

die lebensgeschichte von abdel sellou berichtet viel von seiner jugend und seinem selbstverständnis als chancenloser sohn algerischer eltern in einem pariser banlieue. ein leben, das vielen jugendlichen in vielen grossen städten der welt gemeinsam ist. abdels leben nimmt dann aber einen ganz anderen verlauf. die begegnung mit dem tetraplegischen superreichen, der ihn als betreuer und pfleger anstellt, verändert alles; aus dem anstellungsverhältnis wird letztlich eine freundschaft. ein geschichte, die man für fast nicht möglich hält.
letzten sommer kam «les intouchables» in die kinos. der film, der diese geschichte aufgenommen hat, wurde zu einem der meistbesuchten des jahres, weckte viele emotionen und liess kaum jemanden unberührt. als ich im abspann gelesen hatte, dass die grundlage zu diesem film eine wahre geschichte ist, weckte dies meine neugier. eigentlich habe ich es mir zur gewohnheit gemacht keine bücher zu lesen, von denen ich bereits den film gesehen habe: zu sehr werden die eigenen bilder vom bereits gesehenen beeinflusst. diese biografie zeigt aber einen teil des lebens von abdel sellou, der im film nur wenig gestreift wird: viel von seiner jugend und einiges aus dem späteren leben, also dem teil, der nach dem filmende geschieht. philosophische betrachtungen und seine eigeneinschätzung sind zentrale elemente des buches. so gesehen ist es eine ergänzung dieser ganz ungewöhnlichen geschichte im film.

12.08.2012

jordi soler: das bärenfest

im spanischen bürgerkrieg verschwindet der grossonkel des autors auf der flucht über die pyrenäen nach frankreich, während seine familie ins exil nach mexiko auswandert und dem verschwundenen ein ehrendes andenken bewahrt, das mythen um ihn entstehen lässt und seine verehrung steigert. auf der suche nach seinen spuren entdeckt sein grossneffe ein ganz anderes bild des vermeintlich toten: aus dem einstigen musiker und familienmitglied ist in seinem ueberlebenskampf ein verrohter mensch geworden, der arme leute ausraubt und selbst seinen einstigen retter den verfolgern ausliefert. am ende steht der autor nach langen nachforschungen seinem noch lebenden grossonkel gegenüber.
in einer komplexen und bildreichen sprache geschrieben ist diese geschichte ausserordentlich fesselnd. was aus menschen unter extremen bedingen werden kann, was sie antreibt zu taten, die sie sich selbst zuvor nie hätten vorstellen können – das zentrale thema – wird hier eingebettet in eine sehr persönliche familiengeschichte und löst gerade deswegen mehr betroffenheit aus. trotz der ausgedehnten charaktervollen beschreibung von landschaft, menschen und gesellschaft vermag der roman die spannung zu halten und fördert schritt für schritt schreckliches zutage. ohne zu werten und zu kommentieren lässt uns der autor nicht nur an einem stück seiner familiengeschichte teilnehmen, sondern berichtet uns auch darüber, was in ihm selbst bei diesen entdeckungen vorgeht. das ende kommt abrupt und als lesender bleibt man einen moment etwas unzufrieden, aber nur, bis man entdeckt, dass es da gar nichts mehr zu sagen gibt, dass gerade dieses ende einen zum weiterdenken und zur auseinandersetzung mit dem stoff antreibt.

02.08.2012

angelika overath: flughafenfische


er arbeitet auf dem grossen flughafen und betreut das grosse meerwasseraquarium in der transithalle, sie ist eine um die welt reisende, erfolgreiche magazinfotografin, die hier umsteigt und im transit warten muss. die beiden treffen sich und beginnen ein vorsichtiges gespräch, nehmen unsicher kontakt zueinander auf und kommen sich näher. während der gleichen zeit denkt im raucherraum ein mann rauchend und trinkend über die trennung von seiner frau nach. zwei handlungsstränge, die gleichzeitig stattfinden und einander inhaltlich entgegenlaufen.
diese eigentlich spannende anlage der handlung lässt einiges erwarten. leider mäandert die autorin aber durch diese beiden geschichten, die sie sehr ungleichgewichtig nebeneinander stellt, so dass man sich bald zu fragen beginnt, ob sie überhaupt miteinander zu tun haben. gemeinsam ist ihnen eigentlich nur das durchsetztsein mit seitenlangen nebensächlichlichkeiten. genaue beschreibungen über das oeffnen und ausnehmen von austern, endlose anleitungen über das einrichten und unterhalten von meereswasseraquarien, seitenlange abhandlungen über die aufzucht von seepferdchen unterbrechen die an sich schon dünne handlung. man wird beim lesen den verdacht nicht los, dass uns die autorin ihr spezifisches wissen vermitteln – uns belehren – will. auch gelingt es ihr schlecht die stimmungen einzufangen und zu vermitteln. sätze wie: «sie sah auf die abflugtafel, die monumental über dem menschenhoch belebten bodenraum aufstieg» oder «der raum hatte einen beruhigend dröhnenden sound, ein umwälzendes schaufeln, ein gewaltiges strömen und brausen», tragen nicht wirklich zur lesefreude bei. endgültig vergeht die lust am lesen aber dann im neunten kapitel:« ...und heimlich beuge ich mich über fraktale. das wissen sie nicht. seltsame autodidaktische affinität zu diesen sich selbst organisierenden monstern, zu diesem auswuchern notwendiger freiheit und freier notwendigkeit die unendlichkeit sich selbst konstituierender figuren, in sich symmetrisch und unvorhergesehen wandelbar...».
vielleicht wäre es besser gewesen ein kochbuch, eine anleitung zum betrieb von meerwasseraquarien und ein buch über geometrische oder biochemische erkenntnisse zu schreiben, der rest der handlung zwischen den menschen hätte dann in einem kleinen fotoromanzo platz gefunden.