31.07.2013

jochen schmidt: schneckenmühle

der schauplatz der geschichte, die schneckenmühle, ist ein ort in der ddr. kurz vor deren ende im sommer 1989 fährt jens in eines der vielen fdj-jugendlager, in dem er als 14-jähriger seine erste liebe entdeckt. so einfach ist es aber nicht: er weiss so wenig über den umgang mit mädchen und ist auch sonst in vielem unsicher. in diesen ferientagen lernt er von den anderen jungs einiges und kommt auch etwas unverhofft und ungewöhnlich zu seiner ersten freundin. der hintergrund des sich bereits in auflösung begriffenen staates führt zu viel situationskomik.
nicht gerade ein buchtitel, der einen anspringt. die geschichte hat einige längen und setzt beim lesen eine gewisse kenntnis der verhältnisse in der ddr voraus. jedoch schafft es der autor sich in das denken und handeln der jugendlichen zu versetzen und bringt den lesenden deren spezielle welt sehr nahe. ein glossar einiger begriffe der ddr-welt wäre für viele sicher hilfreich.

29.07.2013

frank geerk: die rosen des diktators

der diplomat wird zu einer konferenz in ein von einem diktator regiertes land geschickt. jeder überwacht jeden, jeder misstraut jedem. dort lernt er andrea kennen und verliebt sich. auch sie scheint seine gefühle zu erwidern. er kennt sich selbst nicht mehr, ist bereit seine familie und seine karriere aufs spiel zu setzen. der kontakt der beiden ist aber nicht einfach: zu viel ueberwachung, zu viele spitzel, polizisten und funktionäre hindern die beiden, sich frei zu treffen. aber auch sein misstrauen ihr gegenüber wächst und als er nach hause reist, trennt er sich von ihr. zuhause wird ihm schnell klar, er kann sie nicht vergessen und beschliesst hier alles aufzugeben, um noch einmal zu ihr zu reisen. er findet sie zunächst nicht, erfährt hingegen, dass andrea die tochter des diktators ist und die begegnungen nicht zufällig waren.
eine schöne und einfühlsame liebesgeschichte im umfeld einer totalitären diktatur. die mechanismen des staatsapparates und die daraus resultierende lethargie des volkes, die mangelwirtschaft und ungerechtigkeiten, die gegenseitigen abhängigkeiten und die ueberwachungs- und kontrollmechanismen sind realistisch beschrieben. es wird beim lesen bewusst, wie beinahe unmöglich es für den einzelnen ist, sich dagegen aufzulehnen und seinen eigenen weg zu gehen.

21.07.2013

uwe timm: morenga

zu beginn des 20. jahrhunderts kämpfen die eingeborenenstämme der herero und der hottentotten in deutsch-südwestafrika, dem heutigen namibia, gegen die vertreter der deutschen kolonialmacht. joseph morenga ist einer der wichtigen anführer der einheimischen, wird auch „napoleon der schwarzen“ genannt. während die kolonialherren mit militärischen formationen das land zu besetzen versuchen, führen die einheimischen stämme ihren verteidigungskrieg mit ihren vorteilen. sie kennen das land und sind die hitze und trockenheit gewöhnt. es geht nicht gerade zimperlich zu und den deutschen militärs ist das leben der schwarzen ureinwohner nicht mehr wert als das der tiere. unter dem deutschen kolonialpersonal ist auch gottschalk, ein armeeveterinär. immer mehr zweifelt er an der richtigkeit des handelns gegenüber den eingeborenen und empfindet die landnahme als eine grosse ungerechtigkeit. die geschichte, die im ersten jahrzehnt des letzten jahrhunderts stattgefunden hat, wird aus seiner sicht erzählt.
auf der basis von dokumenten und archivalien hat der autor einen collageartigen bericht geschrieben, der historische tatsachen mit fiktiven geschichten verwebt. ein spannendes buch über ein stück deutscher kolonialgeschichte, von der wir nur allzu wenig wissen. ein schöner roman, in dem die einzelnen figuren beider seiten lebendig und klar gezeichnet werden, ohne dass die einen oder anderen besser dargestellt wären
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07.07.2013

leon de winter: serenade

nach langen jahren alleinstehenden witwendaseins verliebt sich anneke in fred, einen älteren und rüstigen herrn, der ihrem leben eine neue wendung gibt. doch plötzlich verschwindet anneke auf unerklärliche weise, zuvor hat man bei ihr ein karzinom diagnostiziert und nur eine kurze lebenserwartung vorausgesagt. auf wunsch der familie lässt man sie über die diagnose im ungewissen, ihr verschwinden ist zunächst unerklärlich. ihr sohn bennie und fred beginnen die suche nach ihr. sie finden sie an einem ungewöhnlichen ort und die geschichte klärt sich ebenso ungewöhnlich auf.
witzig und traurig, nachdenklich und fröhlich ist dieser roman. langsam wird man an den grund des verschwindens und die hintergründe dazu herangeführt. in kurzer folge wechseln stimmungen und ereignisse, die sich letztlich zu einem bericht über ein früheres trauma und dessen heutige folgen formen.

04.07.2013

arthur honegger: freitag oder die angst vor dem zahltag

in den jahren vor dem zweiten weltkrieg herrscht nicht nur in deutschland krise und arbeitslosigkeit. auch in der schweiz ist die wirtschaftliche situation kritisch. das aufkommen des nationalsozialismus in deutschland hat auch in der schweiz seine auswirkungen. hier formiert sich der frontismus, deren vertreter mit dem nationalsozialismus sympathisieren und stimmung machen. am geschehen in einem dorf im zürcher oberland, das stark von der textilindustrie abhängig ist, zeichnet der autor die ereignisse jener zeit nach. da stehen sich gewerkschafter, bauern und fabrikbesitzer gegenüber. die nationale front beginnt zunächst im hintergrund, später immer offensichtlicher, in die geschehnisse einzugreifen. gegenseitige abhängigkeiten, gewalt und intrigen bringen die weitgehend verarmten arbeiter gegen die fabrikbesitzer und die bauern auf. je länger es dauert, je dreister die „fröntler“ werden, umso mehr beginnen aber auch andere kräfte zu wirken. der anfang zur ueberwindung dieser schwierigen krise klingt an und der zweite weltkrieg bricht aus.
ein grossartiges buch, das genau beschreibt und nie wertet. es zeigt auf, wie totalitäre systeme zu wirken beginnen, gibt uns einen blick auf ein stück schweizer geschichte, von der selten gesprochen wird, und die eine genauere betrachtung verdient.

03.07.2013

alessandro baricco: novecento

auf einem ozeandampfer von auswanderereltern geboren und zurückgelassen, wird er als säugling von matrosen gefunden und nach seinem geburtsjahr novecento genannt. eine unfassbare lebensgeschichte entrollt sich. novecento entdeckt den flügel, beginnt mit dem klavierspielen und bringt es zu einer einzigartigen virtuosität und wird berühmt. zeit seines lebens verlässt er das schiff nie. während des ersten weltkrieges als lazarettschiff, kommt der dampfer ziemlich beschädigt zurück und soll gesprengt und versenkt werden. damit verliert novecento seine heimat.
ein märchenhaftes, subtil geschriebenes buch. trotz aller darin enthaltenen wehmut schön zu lesen und zu geniessen.