29.11.2015

christoph poschenrieder: mauersegler

fünf in die jahre gekommene jugendfreunde starten das experiment, das für viele im alter ein traum ist: eine alters-wohngemeinschaft. sie leben nach scheidungen und trennungen alle alleine, wollen die verbleibenden jahre noch geniessen und ziehen in eine villa am seeufer. aber schon bald wird ihnen klar, dass es nicht auf ewig so sein wird. sie versprechen einander, sich gegenseitig beim selbstbestimmten sterben zu helfen. als der erste von ihnen pflegebedürftig wird, stellen sie katharina, eine kranken­schwester aus kirgistan ein. sie hat aber noch ganz andere pläne und bringt neues leben ins haus.
eine unterhaltsame geschichte, die sich diesem schwierigen thema auf eine humorvolle und leichte art nähert, ohne die ebene einer ernsthaften und durchaus pietätvollen auseinandersetzung zu verlassen. spannend und reich an bildern kommt der roman daher und führt einen auf eine ganz unerwartete weise an das thema sterbehilfe heran.

24.11.2015

alain claude sulzer: postscriptum

als 1933 die nationalsozialisten in deutschland an die macht kommen, nimmt die karriere des jüdischen filmschauspielers lionel kupfer eine abrupte wende. während eines aufenthaltes im hotel waldhaus in sils erfährt er, dass sein vertrag aufgelöst wird. er sieht sich gezwungen, nach amerika auszuwandern. zurück lässt er nicht nur seinen liebhaber eduard, der sich immer mehr in die nähe der neuen machthaber bewegt, sondern auch walter, den jungen postbeamten in sils, dem er sehr nahe gekommen ist. in amerika vermag kupfer aber nicht richtig fuss zu fassen. viele jahre später holt ihn nicht nur der frühe tod seines bruders ein, sondern walter und er treffen sich auch zufällig wieder, ohne sich das gegenseitige wiedererkennen einzugestehen.
eine phantasiereiche geschichte zwischen geschichtlicher realität und fiktion, die einen auch etwas traurig zurücklässt. das buch beschreibt uns, wie schwer es damals war, nicht nur als jude, sondern auch als homosexueller zu leben und zu überleben. die vielen unterschiedlichen gefühle und regungen sind einzigartig schön und subtil beschrieben, die an sich fast unwahrscheinliche handlung ist in sich stimmig und wird nie kitschig.

20.11.2015

peter henning: die aengstlichen

die achtzigjährige johanna entscheidet sich, ihre wohnung aufzugeben und in ein altersheim zu ziehen – die wohnung, in der sie mit ihrer familie lange jahre verbracht hat und in der ihre kinder gross geworden sind. um allen ihren entscheid kundzutun plant sie eine einladung zum essen. im vorfeld dieses treffens kämpft der eine sohn mit einem krebsverdacht, der andere flüchtet aus der psychiatrischen klinik und die ehe der tochter scheint definitiv zu scheitern. schliesslich erscheinen nur der ältere sohn, ein enkel und die tochter. das sorgfältig geplante essen findet ein katastrophales ende.
die eigentlich spannende familientragödie, die für sich in anspruch nimmt, ein abbild gesellschaftlicher verhältnisse im heutigen deutschland zu sein, verkommt zu einer schwülstigen geschichte. endlose schachtelsätze, voll von drehbuchartigen details, stören dauernd und lenken vom substanziellen im text ab. auch die dichte folge von meist überflüssigen nennungen von markennamen ärgert beim lesen und lässt einen unweigerlich an „product-placement“ denken. dazu sieht man sich am ende unverhofft mit offenen handlungssträngen konfrontiert. weniger wäre eindeutig mehr; die an sich spannende und aktuelle geschichte würde – auf die hälfte reduziert – sehr gewinnen.

11.11.2015

alina rheindorf: nenad

das ist die geschichte von zwei jungen in wien: nenad, der sohn einer montenegrinischen einwandererfamilie, die in beengten verhältnissen lebt, und kristian, der bei vermögenden eltern in einem grossen haus in einem villenviertel aufwächst und dem es materiell an nichts fehlt. die lebenswege der beiden kreuzen sich schon früh, sie gehen zeitweise gemeinsam zur schule, aber es wird nicht wirklich eine freundschaft. nenad hat den eindruck, dass er schon alleine wegen seines fremdsprachigen vornamens weniger chancen hat in der gesellschaft. und da sind noch goran und minerva. das geschwisterpaar sind die besten freunde von nenad. letztlich kreuzen sich die wege dieser vier jugendlichen immer wieder und das ganze nimmt ein erstaunliches, unerwartetes und schwer verständliches, etwas virtuelles ende.
nenad ist ein roman mit einer gesellschaftspolitischen botschaft. die benachteiligung von menschen mit migrationshintergrund, vorurteile der einheimischen bevölkerung und chancenungleichheit in der schule sind die zentralen themen. die geschichte hält ihre spannung vor allem über eine starke ereignisdichte, ist oft etwas plakativ und bedient in diesem kontext beinahe jedes cliché. es ist eher ein jugendbuch, das aber auch erwachsenen lesenden einen anstoss geben kann.

07.11.2015

john williams: butcher's crossing

im verschlafenen ort butcher's crossing tummeln sich vor allem büffeljäger und desperados. auf der suche nach der wildnis und der wahren natur hat william andrews sein bequemes leben an der ostküste hinter sich gelassen und ist hier im «wilden westen» angekommen. er trifft auf miller, einen abenteurer, der von einer riesigen büffelherde in einem abgelegenen tal weiss. er kann andrews gewinnen, diese jagd zu finanzieren und so machen sich vier männer auf den weg dahin. schon zu beginn gibt es ernste probleme, aber letztlich erreichen sie unter aufbietung ihrer letzten kräfte dieses hochtal von einzigartiger schönheit und treffen dort auch auf die sagenhaft grosse büffelherde. nach einer kurzen erholungszeit beginnt die jagd, die in einem richtigen blutrausch endet. noch sind nicht alle büffel erlegt, längst hätte man genügend felle, aber miller kann nicht aufhören. und so bricht der winter ein, an eine rückkehr ist nicht zu denken. unter grossen entbehrungen müssen die vier männer den frühling abwarten. die heimkehr ist verlustreich und als sie schliesslich wieder in butcher's crossing ankommen, erkennen sie diesen ort nicht wieder.
die vier wortkargen, so unterschiedlichen männer als schicksalsgemeinschaft zu erleben, ihr verhalten, ihre träume, ihre werte, aber auch ihre perspektivlosigkeit sind die zentralen themen dieses romans. aus dem, was zunächst manchmal als missstimmung in der gruppe erscheint, wird während der zeit, in der sie aufs existenzielle zurückgeworfen sind und es ums ueberleben geht, eine spannende geschichte, die die grenzen des einzelnen auslotet.