26.02.2018

cédric prévost: liebesschwindel

eine junge schauspielerin findet bei den castings keine arbeit. immer wieder bleibt sie ohne rollenangebot. dann trifft sie auf eine anzeige, in der schauspieler gesucht werden, die für einsame menschen herbeigesehnte personen darstellen sollen. bald ist sie gut im geschäft, spielt liebhaberinnen von ehemännern, zurückkehrende verlorene töchter und beste freundinnen. dies alles läuft gut, bis sie sich in den mann verliebt, für den sie seine schwangere verlobte spielt.
die vermischung von realität und fiktion stellt sich nicht nur beim lesen ein, sie wird auch zum problem der figuren in diesem roman. diese zwei ebenen werden hier unterhaltsam und leicht erzählt, aber es gelingt nicht, ihnen ganz auf den grund zu gehen. illusion und realität sind so nahe beieinander und erscheinen als eine art literarisches tromp-l'œil. das macht das buch irgendwie einzigartig.

25.02.2018

kazuo ishiguro: alles, was wir geben mussten

das internat in hailsham macht auf den ersten blick einen völlig normalen eindruck. freundliche klassenzimmer, gute sportanlagen und eine schöne umgebung bieten den von der aussenwelt völlig abgeschirmten jugendlichen eigentlich alles. die lehrer sind freundlich und aufmerksam, es irritiert etwas, dass sie aufseher genannt werden. die schülerinnen und schüler haben eine ganz besondere bestimmung in ihrem leben, von der sie zunächst nur ahnen, bald aber gewissheit erlangen.
der eher eintönige, mit jugendproblemen durchsetzte alltag wäre nicht eigentlich stoff für einen spannenden roman. doch immer mehr entwickelt sich die geschichte in eine utopische, etwas unheimliche richtung. ueber weite strecken erahnt man unfassbares und unerklärliches, das sich ganz langsam konkretisiert und zum schluss zu einem sciencefiction-artigen ende kommt. das brillante daran ist die entwicklung der handlung, die sich immer mehr zu einem kongruenten ganzen fügt.

14.02.2018

monika held: der schrecken verliert sich vor ort

als lena heiner kennenlernt, weiss sie gleich, dass dies der mann ist, mit dem sie ihr weiteres leben verbringen will. aber heiner zögert, ist nicht sicher, ob er sich auf eine beziehung einlassen kann. er ist ein auschwitz-ueberlebender, seine geschichte und seine erlebnisse lassen ihn nicht mehr los. trotz aller schwierigkeiten, wagen es die beiden und schaffen es, eine tragfähige beziehung zu gestalten. immer wieder holt heiner seine lebensgeschichte ein, schon nur einzelne zufällige worte erinnern ihn an ereignisse während seiner gefangenschaft. viel und oft muss er darüber reden. später machen sie sich auf nach polen um die gedenkstätte in auschwitz zu besuchen und um unterwegs ehemalige mithäftlinge heiners zu treffen. deren besondere beziehung zueinander lässt lena beinahe eifersüchtig werden. sie realisiert, dass diese andere erfahrung eine ihr fremde welt ist, die ihr trotz all ihres wissens und ihres verständnisses fremd bleibt. heiner muss sich fragen, ob seine erlebnisse sich überhaupt vermitteln lassen.
trotz einer gewissen distanz gelang es der autorin ein sehr eindringliches buch zu schreiben. beim lesen der ungeschönten schilderung dieser unvorstellbaren grausamkeiten gab es momente, in denen ich beim weiterlesen stockte und das buch weglegen musste. immer wieder stellte sich die frage, wie menschen so handeln und wie menschen das aushalten konnten. heiner wollte unbedingt überleben, um später zeugnis ablegen zu können, wenn die täter zur rechenschaft gezogen werden. sein eigenes ueberleben hat jedoch bei ihm auch schuldgefühle ausgelöst, weil er irgendwie auf kosten der toten überlebt hat. dies alles macht diese geschichte zu einem ganz besonderen denkanstoss.

10.02.2018

wolfgang herrndorf: bilder deiner grossen liebe

isa flieht aus einer anstalt und ist zu fuss auf dem weg nach einem unbestimmten ziel. unterwegs trifft sie immer wieder auf menschen ganz unterschiedlicher art, wie auf einen lastwagenfahrer, der sie mitnimmt und ihr letztlich zu nahe kommt, einen binnenschiffer, auf dessen schiff sie gerne weitergereist wäre, dann aber fliehen muss oder auf die zwei jungen, die sie auf einer müllhalde trifft. der schüchterne blonde gefällt ihr ...
in diesem letzten und unvollendeten roman herrndorfs folgen wir einer etwas ungewöhnlichen jungen frau, deren beobachtungen, stimmungen und begegnungen auf ihrem «roadmovie»-artigen weg wunderbar beschrieben sind und dadurch so spürbar werden.

01.02.2018

lizzie doron: who the fuck is kafka

nadim, ein palästinensischer journalist aus ost-jerusalem und lizzie, eine autorin aus tel aviv, lernen sich an einer friedenskonferenz in rom kennen und beginnen ein gemeinsames buch- und filmprojekt zu planen. zurück in der heimat stellen sich sofort viele probleme, die ihre nicht ganz einfache freundschaft auf schwere proben stellt. schon allein die tatsache, dass ein araber und eine jüdin sich treffen, wird in der oeffentlichkeit vor allem als tabubruch und sicherheitsproblem wahrgenommen. trotz all den schwierig­keiten und missverständnissen geben sie lange nicht auf.
eindringlich und überzeugend werden wir konfrontiert mit dem schwierigen leben zwischen grenzmauern, terrorverdacht, strassensperren, mit zwei völlig getrennten gesellschaften, die neben- und miteinander leben müssen. unerbittlich exakt und mit unverstelltem blick beschreibt die autorin das leben der beiden von vorurteilen geprägten völker, deren wirtschaftlicher status nicht unterschiedlicher sein könnte. der dazwischen immer wieder aufblitzende glaube der beiden protagonisten an ein gemeinsames, friedliches leben erscheint utopischer denn je. als israelin und frau versteht es lizzie doron ausserordentlich gut, ihre eigenen bedenken und vorurteile immer wieder zu reflektieren.
ein bei aller emotionalität trotzdem sachlicher roman. der etwas ungewöhnliche titel, der sich auf eine kurze sequenz im buch bezieht, lässt einen vielleicht etwas ganz anderes erwarten. mich hätte er beinahe von der wahl des buches abgehalten.