26.04.2018

lizzie doron: warum bist du nicht vor dem krieg gekommen?

helena ist eine ueberlebende des holocaust, hat ihre ganze familie und verwandtschaft verloren und wandert nach israel aus. völlig allein und auf sich gestellt führt sie ihr eigenes selbstbestimmtes, manchmal etwas spezielles leben. dies hat zur folge dass sie von nachbarn und freunden immer wieder verstanden wird oder auf ablehnung stösst. sie hat klare vorstellungen von recht und ordnung, hängt aber auch mystischem nach und ihre beziehung zur religion ist gelinde gesagt eine sehr spezielle.
in über zwanzig autonomen kapiteln setzt hier ihre tochter ein denkmal und blickt dabei liebevoll auch auf ihre eigene kindheit zurück, in der sie von ihrer mutter geprägt wurde. schön, manchmal tragisch, aber immer wieder auch lustig zu lesen.

21.04.2018

yvette z'graggen: zeit der liebe, zeit des zorns

die bevorstehende ablösung der heranwachsenden tochter lässt die mutter in einer art tagebuch auf ihr leben zurückblicken. vieles scheint ihr geglückt und sie hat schöne erinnerungen. einiges stellt sie aber auch in frage, vielleicht würde sie heute anders handeln. sie beschreibt beziehungen, rollenmuster, aengste und freuden und stellt sie immer wieder in einen zusammenhang mit geschichtlichen ereignissen. dazu positioniert sie sich auch politisch und gesellschaftspolitisch.
diese wahrscheinlich autobiografische auseinandersetzung mit dem aelterwerden birgt erkenntnisse, die jeder und jede in dieser lebenssituation machen dürfte. es ist nicht nur ein generationen- und frauenbuch, es ist auch eine philosophische aufarbeitung der eigenen vergangenheit.
weil so konkret geschrieben findet man beim lesen schnell eine identifikation mit der autorin.

17.04.2018

katharina geiser: diese gezeiten

lucy und suzanne, zwei stiefschwestern sind aus frankreich nach jersey ausgewandert um sich dort der malerei und dem schreiben zu widmen. als die insel im jahr 1940 von der deutschen wehrmacht besetzt wird, beginnen sie den widerstand mit heimlichen flugblattaktionen. lange geht das gut, doch irgendwann werden sie denunziert und zum tode verurteilt.
diese politische und eigentlich auch berührende geschichte von menschen, die sich dem regime widersetzen und im gefängnis nur überleben, weil ihre aufsichtspersonen sich immer wieder menschlich zeigen, teilt nicht einfach in gut und böse ein. der roman wird in einer etwas distanzierten sprache erzählt, was einen beim lesen immer etwas in einer aussenstehenden betrachterrolle verbleiben lässt.

10.04.2018

philip roth: jedermann

am abend vor der operation, die er nicht überleben wird, denkt «jedermann» über sein leben nach, über die schwierigkeiten des alterns, die einsamkeit, den verlust seiner körperkraft und die fehler, die er in seinem leben gemacht hat. das buch beginnt jedoch mit seiner beerdigung. söhne und töchter, verwandte, freunde und ehemalige arbeitskollegen stehen am grab und denken über ihn nach, über ihre beziehungen zu ihm und über gemeinsame zeiten, die sie mit dem verstorbenen hatten.
eine detaillierte, gnadenlose und reale auseinandersetzung mit dem eigenen zerfall lässt einen trotz der schönen sprache beim lesen zeitweise erschauern. dieser kurze roman, der den kern der furcht umfassend trifft, die wir alle irgendwie vor krankheit und tod haben.

04.04.2018

catalin dorian florescu: jacob beschliesst zu lieben

der roman vermittelt einen einblick in zwei jahrhunderte wechselvoller geschichte des banats, einer gegend am rand europas, dessen bevölkerung sich immer wieder unter wechselnden mächten gegen neue einflüsse behaupten muss.
die geschichte beginnt fulminant mit dem erscheinen eines jungen mannes, dessen ziel es ist, die reiche tochter des gutsbesitzers zu heiraten. machthungrig und rücksichtslos wird er zum wichtigsten mann im dorf. sein sohn jacob ist jedoch ein schwächlicher junge, der vater verachtet ihn und liefert ihn letztlich den neuen machthabern, den kommunisten, aus. jacob entgeht jedoch der deportation durch flucht und fern von der heimat wird aus ihm ein ebenso starker mann, dem seine freundliche und menschen liebende art erhalten bleibt. bei seiner rückkehr nach hause ist sein vater ein alter gebrochener mann – die verhältnisse haben sich umgekehrt.
spannend, unterhaltsam und berührend liest es sich leicht durch diese schwierigen lebensumstände. präzise bilder und bewegende handlung sind die stärken dieses buches, das nebst der schwere auch eine leichtigkeit und hoffnung in sich trägt.