30.05.2019

alessandro baricco: seide

auf seiner ersten reise nach japan begegnet hervé joncour, ein seidenraupenhändler, einer frau von seltener schönheit und verliebt sich in sie. die konventionen erlauben keine nähere begegnung. einzig ein paar blicke und eine kleine mitteilung auf einem zettel lassen seine leidenschaft erstarken, so dass er jahr für jahr die beschwerliche reise in den osten auf sich nimmt. eine kriegerische auseinandersetzung beendet die möglichkeit zu reisen und erst viel später erfährt und begreift er die zusammenhänge.
sanft, zart, beinahe mystisch kommt die geschichte daher. der reiche, distinguierte und eigentlich realistisch im leben stehende handelsmann erlebt etwas ihm unbekanntes und unerklärliches, das er vor den seinen zuhause verbirgt. in 65 kurzen, teilweise nur ein, zwei seiten langen kapiteln eröffnet sich hier eine welt, deren gefühle zart wie seide sind.

22.05.2019

philip roth: mein leben als sohn

als der vater des autors an einem hirntumor erkrankt, ist dies für die ganze familie eine herausforderung. vor allem die entscheidung, ob der tumor operiert werden soll, fordert allen viel ab. trotz der gesichtslähmung scheint der tumor den vater aber nicht so sehr zu beeinträchtigen und zu beschäftigen. für ihn ist es viel wichtiger, an dem noch sehenden auge den grauen star operieren zu lassen, damit er wieder sehen und vor allem lesen kann. doch plötzlich wäre der autor beinahe vor seinem vater gestorben, nur eine notfallmässige herzoperation bewahrte ihm das leben. der gesundheitszustand des vaters nimmt ab und der sohn wird zu seinem pfleger.
mit viel gefühl und persönlichem engagement beschreibt der autor hier dieses vater-sohn-verhältnis, dessen machtverhältnisse sich zu wenden beginnen. die konfrontation mit sinnfragen des lebens und schwierigen entscheidungen, die über leben und tod entscheiden können und die frage nach der qualität des lebens stellen die familie vor grosse herausforderungen. wie unsicher auch plötzlich wird, wer wen überlebt, zeigt, wie relativ alles ist. wie wenig wir als menschen diesen fragen gewachsen sind und wie viel die liebe zwischen vater und sohn diese schwierigen lebenssituationen beeinflussen, das ist ein kern dieses buches.

10.05.2019

uwe timm: kopfjäger

aus einfachen verhältnissen stammend ist peter walter heute als anlageberater für warentermingeschäfte in der finanzwelt tätig. mit grossen renditeversprechen versteht er es, viele seiner kunden zu bewegen mit grossen summen zu spekulieren. dabei kommt er selbst auf abwege: das schnelle geld verlockt ihn, kapital seiner kunden auf eigene konten umzuleiten. nun ist er wegen millionenbetrugs angeklagt und setzt sich nach spanien ab. dort aufgespürt beginnt seine flucht, während der er auf sein leben und seine taten zurückblickt. sein völlig anderes interesse gilt der geschichte der osterinseln über die er – als ausgleich – ein buch zu schreiben versucht und wohin ihn seine flucht zuletzt führt.
die handlung wird in einer retrospektive erzählt. in der welt der finanzbranche geht es beinhart zu und her, protz und bluff sind allgegenwärtig. die geschichte berichtet aber auch vom leben und der gefühlswelt dieses anlageberaters. trotz allem erfolg ist es ihm nicht immer wohl, wenn er darüber nachdenkt, wie er menschen um ihre ersparnisse bringt, doch weiss er diese skrupel immer wieder beiseite zu wischen. die auseinandersetzung mit der geschichte der osterinseln und deren kolonialisierung wird zu einer interessanten parallele über vertrauen und vertrauensmissbrauch.

01.05.2019

anuschka roshani: komplizen

der vater ist in den 1960er-jahren aus dem iran nach deutschland gekommen um zu studieren. die mutter arbeitet als model. das verhältnis der eltern von anuschka roshani ist ein kompliziertes. die beiden führen ein mondänes, hedonistisches leben, aber die ehe hält nicht allzu lange. der inzwischen als chirurg arbeitende vater hat eine neue freundin, bleibt in berlin, während die mutter mit ihren töchtern nach hamburg zieht. als der vater alt wird und unter parkinson leidet, verliert er seine unabhängigkeit. die autorin beschreibt ihr verhältnis zum vater, dessen körperlicher zerfall und sein leiden in immer wieder anderen facetten. so entsteht ein bild über jahre voller elternliebe, scheidungskämpfe, verletzungen und versöhnungen.
eher journalistisch berichtet die autorin über ihre familiengeschichte, die ich einer rezension folgend gelesen habe. diese fragmentiert dargereichte auto- und fremdbiografie wäre jetzt nicht gerade das buch gewesen, auf das ich gewartet hätte, wenn nicht die vielen berührenden momente es letztlich doch lesenswert gemacht hätten.