30.03.2020

roger monnerat: die schule der scham

joris arbeitet bei den vereinten nationen und hat in krisengebieten viel schreckliches gesehen. zwischen zwei einsätzen hält er zuhause unter anderem vorlesungen. das private leben ist eher schwierig und er lässt sich ziemlich glücklos mit verschiedenen frauen ein. während einer vorlesung wird er auf réjeanne, eine seiner studentinnen, aufmerksam. mit ihr beginnt er ein verhältnis, das beinahe ein katastrophales ende nimmt. er sucht hilfe bei seinem freund claude, einem ehemaligen geheimdienstoffizier. joris verschwindet aber und hinterlässt ein manuskript. claude geht den darin vorkommenden orten und personen nach und findet diese teilweise bestätigt.
die mischung aus aktueller schweizer geschichte und psychologischen abgründen eines alternden mannes, der den verlust seiner jugend und seiner kraft fürchtet, bietet die grundlage für diesen etwas kompliziert angelegten roman. während in der erste hälfte vor allem affären und nöte beschrieben werden, widmet sich die zweite hälfte dann dem leben und den geheimdienstlichen tätigkeiten von claude. eine schöne sprache, fundiertes wissen und ein reicher wortschatz zeichnen das buch aus. die nicht übersehbare politische botschaft und die zeitweise ans pornografische grenzenden texte wollen jedoch irgendwie nicht zusammenpassen.

26.03.2020

dror mishani: drei

es geht um drei frauen: die erste ist orna, geschieden; sie erzieht ihren sohn allein und findet auf einer kontaktplattform im internet einen mann mit dem sie sich trifft. die zweite ist emilia, kommt aus lettland und arbeitet in israel als pflegerin, bis nachum, für den sie da ist, stirbt. sie muss eine neue stelle suchen, kennt niemanden und bittet den sohn nachums um hilfe. die dritte ist ella, die eine familie mit drei kindern hat und an ihrer masterarbeit schreibt. um etwas ruhe zu finden, geht sie jeweils am vormittag in ein café. dort lernt sie einen mann kennen. dieser ist bei allen drei frauen der gleiche: gil, ein rechtsanwalt, der die sehnsucht nach liebe und geborgenheit zu erfüllen scheint.
der roman entwickelt sich zu einem krimi. einzigartig zeigt er nicht nur die seelenlage der protagonistinnen auf sondern auch ihre nöte. daneben gibt es einen einblick in den alltag israels. ein spannendes buch, das ein überraschendes ende findet.

23.03.2020

michael köhlmeier: bruder und schwester lenobel

als robert spurlos verschwindet, ist seine frau hanna alarmiert. sie ruft jetti, roberts schwester, an und bittet sie nach wien zu kommen. die beiden frauen haben eine schwierige beziehung. lange bleibt unklar, wo robert sich befindet, bis er sich bei jetti und seinem freund sebastian meldet, mit der bitte es nicht weiterzuerzählen. mit hanna ist das aushalten der situation schwierig und so entscheidet sich jetti wieder heim nach dublin zu reisen. dort warten zwei männer, zu denen sie zwei komplizierte beziehungen hat. hinter allen ereignissen tut sich die geschichte einer ungewöhnlichen familie auf.
viele unterschiedliche beziehungen zwischen sehr verschiedenen menschen dominieren diesen roman. mit einer detailverliebtheit und vielen amüsanten intermezzi führt uns der autor durch eine geschichte, in der er jedes kapitel einem anderen familienmitglied widmet. schwierige situationen und menschen mit unterschiedlichen lebenszielen stehen im vordergrund. irgendwie fehlt eine durchgehende handlung und trotzdem besticht das buch durch seine reiche und spannende sprache mit vielen sätzen, die trotz ihrer komplexität gut zu lesen sind. auch hinterlässt das offene und unbestimmte ende nicht den eindruck des unfertigen.

14.03.2020

rico tambornino: jakobs gestörtes verhältnis zum schnee

jakobs arbeitstag zieht sich oft bis weit in den abend hinein. dies ist der preis für karriere und aufstieg ins direktorium der bank. und dieses jahr ist es ihm nun aus beruflichen gründen nicht möglich, mit seiner frau marianne wie gewohnt in die winterferien zu fahren. auf seinen rat hin fährt marianne mit ihrer besten freundin zum skifahren. nachdem die beiden frauen an einem morgen zu einer skitour aufgebrochen sind, kehren sie abends nicht wie gewohnt ins hotel zurück. die suche nach ihnen bleibt erfolglos. jakob schwankt zwischen grosser verzweiflung, hoffnung und selbstvorwürfen. lange bleiben die beiden frauen vermisst, bis sich die ereignisse überstürzen.
vor dem hintergrund einer tragischen handlung besticht vor allem die treffende beschreibung der gefühlslage jakobs. ein ereignis, das ihn an den rand des existenziellen treibt, gefährdet sein ganzes sein. auch wenn die handlung manchmal etwas unwahrscheinlich daher kommt, findet der roman ein in sich stimmiges ende. trotz der vielen schweren und emotionalen momente ist er schön und leicht zu lesen.

10.03.2020

linard candreia: der alte russ

mit 17 jahren wandert peter balzer aus dem kleinen bündner dorf alvaneu bad aus. ein engadiner geschäftsfreund seines vaters nimmt den jungen mann mit nach odessa. dort macht er seine ausbildung zum zuckerbäcker und zieht später weiter nach moskau, wo er erfolgreich ein kaffeehaus betreibt. renommiert in der ganzen stadt hat er erlesene kundschaft und trifft sogar den zaren. mit karoline, einer russischen adeligen, hat er nur einen sohn, aber viel zu früh stirbt seine frau und er kehrt zurück in die heimat. dort beschäftigt der vielseitig interessierte sich unter anderem mit homöopathie, und wird im ganzen tal «der alte russ» genannt.
in einer reihe von kurzen kapiteln entfaltet sich ein kaleidoskop der lebensumstände der menschen in den einsamen bergtälern graubündens in der zeit des 19. jahrhunderts. darin eingebettet findet sich exemplarisch die geschichte des protagonisten. die schweiz ist in jener zeit ein auswanderungsland. kinder aus grossen familien sind gezwungen ihr brot im ausland zu verdienen. dieses buch beschreibt nicht nur eindrücklich und farbig die armut der bevölkerung und die emigration aus der schweiz, sondern auch den erfolg eines einzelnen, der dank seines muts und seiner begabung erfolgreich ist. diese faszinierende umsetzung einer geschichtlichen recherche zu einem lebendigen bericht lässt zudem ein bisschen sehnsucht nach dem schwarzen meer und dem alten russland aufkommen.

07.03.2020

anita shreve: stille über dem schnee

nach einem tragischen ereignis ist robert mit seiner tochter nicky vor zwei jahren aus new york in ein abgelegenes haus in new hampshire gezogen. der vater hat diese einsamkeit gesucht, für die tochter ist dies nicht so nicht einfach. an einem nachmittag machen sie einen gemeinsamen spaziergang durch den tiefverschneiten wald. plötzlich vernehmen sie ein wimmern und finden ein ausgesetztes neugeborenes. sie bringen das kind ins spital und retten ihm damit das leben. als einige tage später die mutter des kindes vor ihrer haustüre steht, reagieren vater und tochter sehr unterschiedlich. aber diese begegnung hilft ihnen letztlich, besser über ihr eigenes familienschicksal hinweg zu kommen.
faszinierende detailbeschreibungen des amerikanischen landlebens zaubern beim lesen bilder hervor, in die man richtig eintauchen kann. die 12-jährige nicky erscheint manchmal etwas altklug und das verhältnis zwischen vater und tochter ist nicht immer ganz nachvollziehbar. ein tiefgründiges und trotz der tragischen vorgeschichte schön zu lesendes buch, das zeigt, wie zerbrechlich das leben sein kann.