23.08.2020

francesca melandri: alle, ausser mir

ilaria ist vierzig und lehrerin in einer staatlichen schule in rom. als sie eines tages nach hause kommt, sitzt ein junger flüchtling aus aethiopien vor ihrer wohnungstüre und behauptet, mit ihr verwandt zu sein. laut seinem ausweis ist sein name auch der name ihres vaters. nachdem sie ihn in ihrer wohnung aufgenommen hat, beginnt sie gemeinsam mit ihrem halbbruder atilio nachforschungen anzustellen. ihren vater können sie nicht mehr fragen, seine demenz lässt kaum erinnerungen zu. doch entdecken sie, dass ihr vater in den 1930er-jahren als militär im damaligen italienisch-ostafrika stationiert war. der blick auf eine weit verzweigte familie und auf die kolonialzeit italiens tut sich auf.
mit einer spannenden und breit angelegten familiengeschichte, die sich über mehrere generationen hinzieht, wird hier nicht nur ein stück neuerer italienischer geschichte, sondern auch der heutige umgang damit präsentiert. drastisch und schonungslos erfährt man von den gräueltaten der faschisten an der afrikanischen bevölkerung. auf kosten der detailgetreuen beschreibung kolonialen wirkens verliert der roman zeitweise etwas an spannung und fordert einem beim lesen einiges an geduld ab. geschickt wechselt die autorin zwischen realität und fiktion, zwischen der vergangenheit und der gegenwart und bringt einen immer wieder zurück ins aktuelle geschehen. verbandelungen innerhalb der familie, abhängigkeiten und klientelismus sind ebenso realistisch dargestellt wie die untergeordnete rolle der frauen bis zum heutigen tag. leider verliert die zentrale handlung zunnehmend an bedeutung und verkommt beinahe zum nebenschauplatz.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen