komissar kosow wird als ermittler von
moskau nach ostrog, einer kleinen gesichtslosen stadt fernab der
zentren, entsandt. im dortigen kinderheim gibt es eine auffällige
häufung von selbstmorden. kosow soll herausfinden, wer die
jugendlichen dazu anstiftet. die örtlichen behörden haben bereits
einen täter dingfest gemacht. petka, ein junger mann, der ebenso
eine heimkarriere hinter sich hat, scheint mit seiner dna bei allen
fällen spuren hinterlassen zu haben. ihm wird unter folter ein
geständnis abgerungen. bei einem weiteren suizid wird seine dna
wieder gefunden – zu der zeit sass er jedoch in untersuchungshaft.
dies bringt die ganze beweislage ins wanken und gibt kosow, der immer
daran zweifelte recht.
was eigentlich wie ein krimi
daherkommt, ist nichts anderes als eine subtile satire über das
postsowjetische leben in russland. oft kann man zwischen den zeilen
lesen, was nicht eindeutig ausgesprochen wird oder werden darf. mit
den beschreibungen der zustände im kinderheim vermittelt der autor
dagegen unmissverständlich und sehr deutlich die unmenschlichen
verhältnisse, denen die elternlosen jugendlichen ausgesetzt sind.
ein meisterhaft komponierter roman, der einen ahnen lässt, wie die
machtmechanismen in jener gesellschaft funktionieren.
27.06.2025
sasha filipenko: der schatten einer offenen tür
22.06.2025
martin becker: die arbeiter
als jüngstes kind und nachzügler wird
der erzähler in eine bergmanns-familie im ruhrgebiet geboren. der
vater ein stiller, manchmal cholerischer mann, der aus
gesundheitlichen gründen nicht mehr unter tag arbeitet, die mutter,
eine starke frau, die sich nichts gefallen lässt, und drei
geschwister sind seine familie. aus eher prekären verhältnissen
schaffen sie es dank zuverdienst der mutter und sparsamkeit
reihenhaus und auto zu erwerben, doch bleibt geldknappheit immer ein
thema. am wirtschaftlichen aufschwung nach dem zweiten weltkrieg
haben sie nur ganz gering teil, trotzdem erfüllen sie sich – oft
auf ratenzahlung – ihre wünsche. ein schlaganfall der mutter und
eine spätere tumorerkrankung des vaters lädt dem jüngsten einiges
an verantwortung auf. obwohl er darunter leidet und es seine
lebenspläne stört, kann er sich dieser aufgabe nicht entziehen, was
ihm aber auch die versöhnung mit seinen eltern bringt.
so treffend genau können die
lebensumstände einer arbeiterfamilie wohl nur von jemandem
vermittelt werden, der dies selbst erlebt hat. dieser
autobiografische roman, der auch die fiktion nicht scheut, wird zu
einem zeitdokument über lebensumstände, die es in dieser form kaum
noch gibt. viele details illustrieren den alltag dieses lebens
zwischen realität und träumen, zwischen kleinen freuden und
schicksalsschlägen. aus jedem tief arbeiten sie sich wieder hoch.
trotz oder wegen aller schwierigkeiten bleibt der familiäre
zusammenhalt bestehen. der autor liefert damit einen spannenden
sozialgeschichtlichen beitrag.
14.06.2025
dulce maria cardoso: die rückkehr
nach der unabhängigkeit angolas wird das leben im
beginnenden bürgerkrieg für die angehörigen der
ehemaligen kolonialmacht gefährlich. ihre jahrzehntelange herrschaft
und ihr verhalten gegenüber der einheimischen bevölkerung hat
folgen. auch die familie von rui sitzt auf gepackten koffern in ihrer
villa in luanda. doch statt ihres onkels, der sie zum flughafen
fahren soll, fährt eine militärische einheit vor um den vater zu
verhaften. ohne ihn kommt die familie in portugal an und wird – wie
viele rückkehrer – in einem hotel untergebracht. im von der
nelkenrevolution erschütterten mutterland werden sie mit ablehnung
und vorurteilen empfangen. auch mit den anderen zurückgekehrten, mit
denen sie auf engem raum untergebracht sind, ist es nicht einfach.
das unwissen über das schicksal des vaters beherrscht den alltag.
rui, der die rolle des familienoberhauptes übernehmen zu müssen
meint, leidet unter dieser verantwortung. es dauert lange, bis sich
die lage normalisiert und sie aus der provisorischen unterbringung in
eine eigene wohnung ziehen können.
neben der entkolonialisierung und deren
folgen stehen die gefühle des jungen rui – aus dessen sicht
erzählt wird – im zentrum der handlung. der verlust seiner freunde
in der alten heimat, die ersten verliebtheiten, die ersten sexuellen
kontakte sind ebenso thema, wie seine schuldgefühle und das
zurechtfinden in einem land, das er bisher nur von der landkarte
kannte. die menschen in seiner umgebung, ihr verhalten, ihre
ablehnung und ihre vorurteile, geben ihm viel zu denken. ein
eindrücklicher roman über ein geschichtliches ereignis, das
ausserhalb portugals kaum wahrgenommen wurde.
08.06.2025
joachim b. schmidt: ósmann
hinten im skagafjord lebt jón
magnússon, genannt ósmann. mit seiner seilfähre setzt er menschen,
tiere und waren über den fluss, lebt aber auch vom robbenfang. hier
gross geworden, hat dieser hünenhafte mann immer da gelebt.
ósmann ist aber auch philosoph, denker und dichter. seine hütte, die
ihm als rückzugsort und schutz vor regen, schnee und kälte dient
ist auch ein ort der gastfreundschaft, wo er seine fahrgäste mit dem
wenigen, was er hat, bewirtet. von schicksalsschlägen nicht
verschont, muss er mehrere seiner kinder zu grabe tragen, muss
zusehen, wie menschen ertrinken, die er nicht retten kann. mit
veränderungen und neuerungen, die seine heimat erreichen tut er sich
auch schwer. immer mehr setzt ihm die schwindende lebenskraft im
zunehmenden alter zu, was seinen entscheid reifen lässt, irgendwann
die erde zu verlassen.
die zu beginn des 20. jahrhunderts
handelnde biografische geschichte ósmanns wird aus der perspektive
eines nicht genauer definierten beobachters erzählt. im zentrum
stehen sein alltag, seine gedankenwelt und das harte leben in einer
gegend, in der die sommer kurz, die winter lang und unwirtlich sind.
neben der realität findet auch die welt der geister und mythen ihren
platz. die detaillierten beschreibungen von landschaft, witterung und
menschen berichten bildhaft vom harten leben im alten island und
tragen einen beim lesen in diese raue welt mit ganz besonderen
menschen.