27.04.2013

lukas hartmann: finsteres glück

den autounfall seiner familie überlebt nur der achtjährige yves, der zunächst in einem kinderspital betreut wird. eliane, die auf solche fälle spezialisierte psychologin beginnt mit dem jungen zu arbeiten. ihre zuneigung zu diesem kind macht es ihr sehr schwer die professionelle distanz zu halten. yves familiengeschichte ist unklar, aussagen der tante, der grossmutter und der nachbarin widersprechen sich und sind nicht frei von eigenen interessen. da der junge zu keiner seiner verwandten will,  nimmt eliane ihn vorübergehend bei sich zuhause auf, was nicht nur auf ihn, sondern auch auf die beziehungen zu ihren beiden töchtern einen positiven einfluss hat. später platziert die vormundschaftbehörde yves dann bei seiner tante. diese lösung gegen den willen des jungen führt nicht zum erfolg, und bald ist er wieder – mittlerweile auch auf wunsch seiner tante – bei eliane. erst jetzt lässt yves es zu, sein trauma zu verarbeiten und es wird klar, wie der unfallhergang war.
eine sehr berührende, schön und subtil geschriebene geschichte, die menschen in schwierigen situationen zeigt und wie existenzielle schwierigkeiten beziehungen verändern können. distanz und nähe verändern sich, das leben der beteiligten verändert sich und kann nicht mehr wie vorher sein.

23.04.2013

kristof magnusson: das war ich nicht

henry findet keinen anfang mit seinem neuen und bereits von ihm angekündigten roman, er taucht ab und ist für seinen herausgeber nicht mehr auffindbar. als er zufällig in einer zeitung ein bild von jasper sieht, weiss er sofort: dieser junge mann wird die inspiration zu seinem neuen roman sein. er macht sich auf die suche nach ihm, wartet vor der bank und im café, wo all die händler ein- und ausgehen. meike lebt von den uebersetzungen der bücher, die henry schreibt. kein neuer roman bedeutet auch, keinen vorschuss vom verlag. kurz vorher hat sie sich von ihrem freund getrennt, ist aufs land gezogen und ziemlich pleite. als sie erfährt, dass henry verschwunden ist, dass es keine hoffung auf einen neuen auftrag gibt, beschliesst sie, nach chicago zu fliegen und henry dort zu suchen. henry findet jasper, jasper lernt meike kennen und sie wiederum findet henry. die gegenseitig entstehenden abhängigkeiten sind ziemlich abenteuerlich und am schluss landen sie alle drei im baufälligen haus bei meike.
ein rasantes buch, das die handlung wechselnd aus der optik der drei protagonisten erzählt. manchmal etwas unwirklich und übertrieben daherkommend ist es aber immer leicht zu lesen. das unrealistische ist durchaus erträglich und bringt einen auch immer wieder zum lachen. die beschreibungen der finanztransaktionen sind ebenso unverständlich wie faszinierend. ein gelungener, witziger und erfrischender roman.

17.04.2013

josé saramago: der doppelgänger

der geschichtslehrer tertuliano sieht in einem film in einer nebenrolle einen statisten, der völlig gleich aussieht wie er. dies verunsichert ihn, weckt aber auch seine neugier. er findet heraus, wer der schauspieler ist und wo er wohnt. sie treffen sich und stellen fest, dass auch ihre stimme und sogar muttermale völlig identisch sind.
tertuliano hat eine freundin, der schauspieler eine ehefrau. es entwickelt sich eine handlung, in der der schauspieler die freundin von tertuliano und dieser des schauspielers ehefrau trifft. beide paare verbringen eine nacht miteinander mit ungeahnten konsequenzen und einem nicht vorhersehbaren ende.
ein phantasievoller roman, der trotz ausführlichkeit und verschachtelten sätzen kurzweilig und fesselnd ist. die beschreibungen von vielen nebensächlichkeiten stören nicht, sondern runden das ganze zu einem werk ab, das nicht nur eine wunderbare geschichte vermittelt, sondern auch viele kritische betrachtungen zu gesellschaftlichen phänomen bietet.

07.04.2013

edgar lawrence doctorow: homer & langley

die zwei brüder homer und langley leben in ihrem haus an der 5th avenue in new york, gegenüber dem central park. von ihren eltern haben sie nicht nur das haus geerbt sondern auch ein ansehnliches vermögen. der ich-erzähler homer wird bereits jung blind, verfügt aber über ein sensorium, das ihm erlaubt sich im haus und in der ihm bekannten umgebung ohne grosse probleme zu bewegen. langley, der eine nicht zu bremsende sammlerleidenschaft hat, füllt das haus mit allem möglichen, bis kaum noch ein durchkommen ist. sie lernen immer wieder andere, sehr unterschiedliche leute kennen, die sich in ihrem haus aufhalten, und mit den besuchern kommen auch die ereignisse des beinahe ganzen 20. jahrhunderts in ihr haus, in dem sie sonst recht abgeschieden leben. im verlauf der zeit verlieren sie aus unterschiedlichen gründen ihre treuen dienstboten. immer mehr verfällt der haushalt und immer mehr schliessen sie sich ab von der welt. der blinde homer verliert langsam auch das gehör. irgendwann ist er allein, kann nicht mehr für sich selbst sorgen und hungert. er weiss nicht, wo sein bruder geblieben ist.
eine interessante und spannende geschichte, die auf einer wahren begebenheit basiert. hier entsteht ein bild von new york in den 30er-jahren und während des zweiten weltkrieges. die handlung selbst scheint nur die grundlage für die beschreibung vieler figuren und geschichten aus dieser zeit.
leicht und trotz der tragik amüsant zu lesen.

01.04.2013

christoph hein: in seiner kindheit ein garten

nach dem tod eines mutmasslichen terroristen und eines polizeibeamten bei einem schusswechsel werden die untersuchungen der staatsanwaltschaft nur schleppend geführt und vieles widerspricht sich in den resultaten. es macht den eindruck, dass die behörden etwas zu verschleiern versuchen. den eltern des jungen mannes lässt dies keine ruhe, geht es doch um die frage, ob ihr sohn mörder oder opfer ist. nur aus einem grund strebt der vater einen prozess an: er will gerechtigkeit für den sohn. zunehmend verändern sich seine werte und ideale und er stellt diesen staat, auf den er als ehemaliger beamter selbst einmal einen treueeid geschworen hat, in frage.
der roman fusst auf den ereignissen im jahr 1993, als auf dem bahnhof in bad kleinen die raf-mitglieder wolfgang grams und birgit hogefeld von der sondereinheit bsg-9 gefasst worden sind. wolfgang grams kam dabei unter bisher ungeklärten umständen ums leben.
eindrücklich schildert der autor die gefühle und die gedanken der eltern, die aufkeimenden zweifel am rechtsstaat, die ueberwachung durch geheim- und sicherheitsdienste und die befangenheit der gerichte. daneben stehen die konflikte, die innerhalb der familie aufkommen, aber auch das verhalten der nachbarn, freunde und bekannten. mut machen nur die wenigen menschen, die den eltern beistehen und ihnen unterstützung und hilfe sind. das buch beschönigt nichts und nimmt kein glückliches ende, so wie es in der wirklichkeit auch gewesen sein dürfte.