29.10.2013

andrea conrad: gefährliche liebe unter dem hakenkreuz

heinrich lebt in den 1930er jahren in berlin, ist schwul und nazifeindlich, sein vater reich und nazifreundlich. als der vater von der homosexualität erfährt, nötigt er seinen sohn in die sa einzutreten und sorgt dafür, dass er weit weg von zuhause im rheinland eingesetzt wird, wo er als fahrer für sa-grössen zur verfügung stehen muss. mit seinem auto verursacht er einen unfall, bei dem richard, sohn jüdischer eltern, verletzt wird. er sorgt sich um den verletzten und verliebt sich in ihn. seine liebe wird erwidert. nun beginnt eine versteckte liebesgeschichte, der es nicht an dramatik fehlt. schliesslich wird es für die juden auch hier zu gefährlich und heinrich verhilft seinem geliebten und dessen familie zur flucht. im letzten moment scheitert diese beinahe, doch es gelingt richard und seiner schwester nach england zu kommen. hier bricht bald der kontakt zu heinrich ab, er erfährt nur von dessen versetzung an die ostfront und geht davon aus, dass es kein wiedersehen gibt. aber es kommt anders.
schwierige lebensläufe in einer schweren zeit, die zu einem spannenden weitgehend leicht zu lesenden text verarbeitet sind. bis zu einen gewissen grad ist der roman trotz der zeitweise plakativen handlungsführung gelungen. die ereignisse kommen hin und wieder etwas gesucht daher und es finden sich einige ungenauigkeiten bei orts- und personenbeschreibungen. der stil erinnert über gewisse strecken an groschenromane. trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ein lesenswerter versuch zu einer noch selten thematisierten auswirkung des dritten reiches.

27.10.2013

henning mankell: vor dem frost

linda, die tochter kurt wallanders, des bekannten kommissars, tritt in die fussstapfen ihres vaters und hat die polizeischule absolviert. sie kehrt zurück, um in ihrer heimatstadt ihre erste stelle anzutreten, arbeitet also zukünftig am gleichen ort wie ihr vater. die hier beschriebene geschichte findet noch vor ihrem ersten arbeitstag statt.
lindas langjährige freundin anna glaubt ihren seit jahrzehnten verschwundenen vater gesehen zu haben und verschwindet später selbst unauffindbar. linda macht sich sorgen und beginnt schon mal zu ermitteln, ohne offiziell dazu berechtigt zu sein. tiere werden angezündet, kirchen brennen und ein paar morde geschehen. alles deutet auf rituelle oder religiöse taten hin. als dann zebra, ihre andere langjährige freundin verschwindet und anna wieder auftaucht und so tut, als wäre nichts gewesen, wird der verlauf der geschichte dramatisch.
zentral in diesem roman ist nicht nur die handlung der kriminalgeschichte sondern auch das verhältnis zwischen linda wallander und ihrem vater, bei dem sie noch wohnt, was nicht immer ganz einfach ist. zudem verliebt sich linda in einen jungen polizeibeamten aus dem team ihres vaters.
insgesamt spannend, manchmal etwas zu viel handlung und parallel laufende geschichten. linda kommt manchmal etwas plump daher und ihre fehler als anfängerin sind etwas drastisch dargestellt.

17.10.2013

uwe tellkamp: der turm

die letzten jahre der ddr in einem real existierenden villenviertel dresdens. seine bewohner und bewohnerinnen leben den alltag im sozialistischen staat, der immer weniger die schwierigkeiten des systems zu verdecken und kompensieren vermag. die probleme der versorgung mit gütern des täglichen bedarfs, die beziehungen, die nötig sind um nichterhältliches zu kriegen und die materiellen sorgen, sind ein teil der geschichte. die vorsicht in beziehungen zu unvertrauten menschen, der ideologische druck am arbeitsplatz und in der oeffentlichkeit, die den alltag dominieren, sind der andere teil. die meisten der hauptfiguren führen für die damaligen verhältnisse ein recht privilegiertes leben.
der letzte sommer der ddr wird durch viel neues und undenkbares eine spezielle zeit für alle, der widerstand beginnt sich zu formieren und das volk geht auf die strasse. für christian, den einen sohn, der seinen wehrdienst ableisten muss, kommt es aber ganz hart. in der armee ist er der staatlichen kontrolle viel stärker ausgesetzt und in den letzten tagen steht er als mitglied der ordnungsmacht gegen seinen willen dem demonstrierenden volk gegenüber.
ausführlich und episch breit sind die verschiedenen geschichten der menschen und ihren abhängigkeiten beschrieben. unendlich viele details des alltags in der ddr erstehen hier noch einmal auf. faszinierend sind immer wieder die momente, in denen menschen, die einander nicht trauen, plötzlich aufgrund äusserer umstände aufeinander angewiesen sind. die jeweiligen annäherungen und das abtasten, wie weit man sich seinem gegenüber öffnen kann werden meisterhaft beschrieben. ein werk, das teilweise als geschichte, teilweise collageartig daherkommt und eine gesellschaft beschreibt, die es nicht mehr gibt, aber deren erfahrungen noch heute in deutschland nachwirken.
der turm ist ein buch, das sich nur mit grosser konzentration lesen lässt, keine leichte literatur. ohne etwas ddr-erfahrung ist es wahrscheinlich nicht ganz leicht zu verstehen, gut, dass es in der beilage zumindest eine aufstellung der wichtigsten personen und deren wohnorte gibt.

05.10.2013

mercè rodoreda: auf der plaça del diamant

das leben colometas, die als verkäuferin arbeitet, heiratet, zwei kinder hat und deren mann im spanischen bürgerkrieg stirbt, ist schwer. alleine auf sich gestellt lebt sie in bitterer armut. die ausweglosigkeit lässt in ihr den entschluss reifen, ihre kinder und danach sich selbst umzubringen. im letzten moment kommt es aber anders. eine vernunftheirat nimmt ihr die materiellen sorgen und zum schluss beginnt sie ihren zweiten mann zu lieben.
einfach und direkt beschreibt die autorin dieses leben mit grosser eindringlichkeit. all die existenziellen fragen muss colometa alleine bewältigen, nur eine ältere frau ist ihr eine freundin. colometa geht aber ihren weg. mit geduld und gelassenheit stellt sie sich den unabänderlichen bedingungen ihres lebens und macht bescheiden und pragmatisch das beste daraus.
ein ganz schönes und realitätsnahes buch, das einfach nur erzählt und weder wertet noch kommentiert.

02.10.2013

jessica durlacher: das gewissen

edna lernt samuel kennen und verliebt sich. samuel ist ein schwieriger, verschlossener, eigenartiger, komplizierter und stiller junger mann. zunächst wird nichts aus einer beziehung und edna versucht ihn zu vergessen, was ihr nicht wirklich gelingt, eher verdrängt sie die gedanken an ihn. dann treffen sie sich zufällig wieder und die kurze gemeinsame arbeit bringt sie einander nun doch näher, sie werden ein paar und ziehen zusammen in eine wohnung. die beziehung ist und bleibt schwierig. später nutzt edna einen arbeitsauftrag in südfrankreich um sich abzusetzen. sie kehrt aber noch einmal zurück um samuel die endgültige trennung mitzuteilen. doch samuel ist nicht mehr da.
die geschichte selbst nimmt einen kleinen platz ein. im zentrum stehen die gedanken, ueberlegungen, empfindungen und die selbstreflexion der ich-erzählerin edna, die einen über dreihundert seiten bannen und fesseln. nie hätte ich gedacht, dass dies so spannend und faszinierend geschrieben sein kann. das buch ist nicht – wie man denken könnte – frauenliteratur. auch für männer ist es mit sicherheit ein leseerlebnis.