27.11.2018

alois bischof: das verhängnis

der mann hat den gleichen vater wie seine mutter. gezeichnet von dieser schande des inzestes hat er ein schwieriges leben, das letztlich in alkohol- und gewaltexzessen endet. seine frau hält dies alles aus, trägt ihr leiden als schicksal, das ihr – der strenggläubigen katholikin – von gott auferlegt ist. ihr gemeinsamer sohn, der erzähler, verlässt das elternhaus früh, bewegt sich in der 68er-jugendbewegung, taumelt durch verschiedene sexualbeziehungen und findet letztlich seinen lebensweg als fotograf. aber seine familiengeschichte lässt ihn nicht los.
vor dem hintergrund faszinierend schöner beschreibungen von wetter, dämmerung oder landschaft geht es um abhängigkeit und abstürze, um macht, sexualität und gewalt. der kontrast zwischen grosser sensibilität und beinahe gefühllosem handeln zeigt die zerrissenheit und das leiden eines menschen. letztlich stellt sich die frage, ob suizid die lösung wäre, allem zu entkommen. spannend ist, wie der autor mit stilistischen mitteln die düstere geschichte mit einer für den lesenden wohltuenden distanziertheit zu erzählen vermag.

24.11.2018

angelika waldis: aufräumen

luisa ist mittlerweile siebzig und es ist zeit aufzuräumen. drei männer, die ihr das leben vergällen, müssen weg. zunächst alfred, seit vier jahrzehnten ihr ehemann, dem seine familie egal ist und der nur auftaucht, wenn er geld braucht. weiter will sie auch ihren ekligen schwiegersohn aus dem weg räumen, der ihrer tochter mirjam das leben zur hölle macht. der dritte ist doktor hausammann, dessen berufliche unfähigkeit ihrer anderen tochter zum verhängnis wurde. sie macht sich auf den weg zu alfred, den sie in genua vergiften will. aber so einfach ist das alles nicht.
abgründe des täglichen familienlebens tun sich auf und man versteht kaum, dass diese frau solches über jahre ausgehalten hat. die bitterböse geschichte ist nicht ganz frei von clichés, aber so liebevoll erzählt, dass sie zu einem ganz besonderen lesevergnügen wird. schnell beginnt man zu hoffen, dass luisa ihre vorhaben gelingen und stellt sich emotional ganz auf ihre seite.

20.11.2018

vincenzo todisco: der bandoneonspieler

pablo, sohn italienischer einwanderer, entdeckt eines tages im keller des luxushotels, in dem die eltern arbeiten, andere jugendliche, die ebenso fremd sind in diesem land. die jungen leute – der bandoneonspieler und seine geschwister – finden sich regelmässig zum tangotanzen. pablo, erblich etwas vorbelastet, verfällt dieser musik und diesem tanz: sein grossvater, ein rückkehrer aus südamerika war einst ein gefeierter bandoneonspieler. später scheitert pablos ehe mit nadja, nicht zuletzt, weil sie kein verständnis für seine leidenschaft hat.
die schöne, fantasievolle handlung ist etwas unüblich strukturiert, was beim lesen zunächst ein wenig eingewöhnung erfordert. der autor nähert sich der geschichte in kapiteln, die er personen, orten, dingen oder begriffen widmet und bewegt sich damit zeitweise ausserhalb der chronologie. zuletzt ergibt sich aber ein kompletter und in sich stimmiger roman mit vielen handlungssträngen. gut wenn man etwas spanischkenntnisse hat, um den unübersetzten aussagen und textfragmenten folgen zu können.

11.11.2018

patrick modiano: place de l'étoile

die collageartig zusammengefügten biografieteile des jungen raphaël schlemilovitch öffnen den blick auf viele verschiedene jüdische lebenssituationen. schonungslos und fulminant bedient der autor jüdische und antijüdische clichés um aengste, realitäten und intrigen zu beschreiben und zeigt auf, wie schnell sich die machtverhältnisse und damit die vermeintliche sicherheit eines menschen verändern können.
fernab von larmoyanz und selbstbeschränkung ist dieser roman spannend und provokativ geschrieben, aber nicht ganz einfach zu lesen.


03.11.2018

reinhard kaiser-mühlecker: der lange gang über die stationen

theodor lebt als einziger sohn mit seinen eltern auf einem kleinen, wirtschaftlich schwachen bauernhof – abgelegen auf dem land in einer konservativ geprägten gesellschaft. er heiratet eine frau aus der stadt, die sich gut einlebt und auch zu arbeiten weiss. zunächst scheint alles einfach und klar. aber langsam realisiert theodor immer mehr veränderungen, die er schlecht einordnen kann.
der roman ist ein bericht voll von sensiblen gefühlen und gedanken in einem rauen umfeld. auch wenn die personen auf eine besondere art ungenau dargestellt werden, erscheinen sie doch klar. beim lesen bleibt aber eine distanz zu ihnen. in einer einzigartig stillen sprache wird hier nicht nur ein stück des lebens eines rechtschaffenen mannes erzählt, der sich wünscht, ein bescheidenes glück zu finden und nicht alleine zu sein, sondern auch subtil über probleme junger bauernsöhne und hoferben berichtet.