05.06.2019

dörte hansen: mittagsstunde


das nordfriesische dorf brinkebüll erlebt seit den 1970er jahren viel veränderung. seit der grossen flurbereinigung ist die landschaft völlig umgestaltet. die kleinbetriebliche landwirtschaft ist untergegangen, nur wenige höfe überleben. die jungen verlassen die dorfgemeinschaft und ziehen in die städte; dorfladen und schule schliessen. in die verlassenen gebäude ziehen junge menschen aus der stadt, die ein anderes leben führen. in diese welt kehrt ingwer feddersen zurück. er lebt seit jahren in kiel in einer wohn­gemeinschaft. seine grosseltern, die ihn anstelle seiner eltern grossgezogen hatten, brauchen hilfe und unterstützung. mit anderen augen betrachtet er die kleine welt seiner kindheit und entdeckt seine liebe zum dorf neu. es schmerzt ihn zu sehen, was alles verloren gegangen ist.
ein heimatroman der ganz besonderen art: als wäre sie selbst darin gross geworden beschreibt die autorin mit grosser genauigkeit das leben und die geschehnisse. in den kapiteln wechselt sie immer wieder die perspektive: gegenwart und vergangenheit. so wird man langsam an die wirklichen geschichten der menschen herangeführt, erfährt langsam all die dinge, über die man im dorf nicht redet, einen mantel des schweigens legt. treffend ist die beschreibung der verschlossenheit und teilweisen rückwärtsgewandtheit der menschen im dorf, die sich doch immer wieder – manchmal freiwillig, manchmal auch eher unfreiwillig – auf neues einlassen. und ausserordentlich berührend zu lesen sind die vielen schwierigen momente der pflege der beiden grosseltern. ganz speziell sind die vielen plattdeutschen dialoge, die zu lesen nach kurzer einübung eigentlich kein problem mehr darstellen und mit denen ein weiterer verlust – der der angestammten sprache – ausgezeichnet skizziert wird.

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