22.08.2021

germano almeida: das testament des herrn napumoceno

nach dem tod von herrn napumoceno, einem angesehenen handelskaufmann, birgt die testa­mentseröffnung etliche ueberraschungen. sein neffe carlos, der sich schon als haupterbe wähnt, wird arg enttäuscht, denn die nachkommen erfahren erst jetzt von der existenz einer unehelichen tochter, der als haupterbin beinahe der gesamte nachlass zufällt. das testament selbst ist ein viele seiten umfassender lebensbericht, der etliche unvermutete geheimnisse aus dem leben des honorigen verstorbenen offenlegt und auch einige rätsel aufgibt.
der roman entführt uns in den alltag der handelsleute auf den kapverdischen inseln. unerwartet unterhaltsam entwickelt sich hier der blick auf das spezielle und bisher nicht vermutete leben dieses mannes. ohne grosse trauer und ohne zu moralisieren, führt uns der autor durch diese lebensgeschichte. die gelungene uebersetzung schafft es durch die sprachliche komplexität die art des portugiesischen erzählens zu bewahren. schön und vergnüglich zu lesen, versetzt es einen in diese andere welt weit draussen im atlantik.


18.08.2021

zora del buono: die marschallin

1919 lernt die slowenin zora den sizilianer pietro kennen, die beiden heiraten, obwohl dies nicht gern gesehen wird, ist doch slowenien in der zeit gerade durch italien besetzt. sie ziehen nach bari, er wird ein renommierter arzt und radiologe, sie führt mit starker hand einen grossen haushalt mit gesellschaftlichen verpflichtungen. ihre dominante aber auch berechnende persönlichkeit trägt ihr bald den uebernamen «marschallin» ein. als überzeugte kommunisten ziehen sie in der schwierigen zeit des faschismus und des zweiten weltkrieges ihre drei söhne gross und schaffen es trotz ihrer politischen einstellung weitgehend unangetastet zu bleiben. die nachkriegszeit bringt neue schwierigkeiten und zora ist indirekt an einem verbrechen beteiligt, was den verlauf ihres weiteren lebens mitbestimmt. als alte frau blickt sie zurück und sieht sich durchaus auch selbstkritisch.
schon allein von der lebensgeschichte dieser frau geht eine einzigartige faszination aus. in einer übersichtlichen handlungsführung gelingt es der autorin ihrer eigenen grossmutter ein denkmal zu setzen, das gleichzeitig auch ein stück geschichtsunterricht ist. eine farbige erzählweise lässt einen eintauchen ins leben dieser grossfamilie und ein vorangestelltes personenregister hilft den ueberblick zu behalten. die hauptprotagonistin steht sehr im zentrum, was den vielen anderen interessanten personen eher nebenrollen zuweist. gerne hätte ich mehr über sie und deren leben erfahren. das lesen des buches wurde zu einem spannenden erlebnis für mich.


14.08.2021

charlotte wood: ein wochenende

jude, wendy und adele treffen sich im strandhaus ihrer verstorbenen freundin sylvie. ueber jahre verbrachten sie ein solches jährliches wochenende zu viert, jetzt geht es darum, das haus zu räumen. ein emotionales treffen der drei frauen, die seit jahrzehnten befreundet sind, die alle ihre mühe mit dem altern haben und jede ihre eigene, schwierige lebensgeschichte mitbringt. während der gemeinsamen arbeit treten wahrheiten zu tage, über die bisher zu sprechen tunlichst vermieden wurde. die so unterschiedlichen charaktere lassen einen wundern, wie sie freundinnen sein können. neid, eifersucht, bewunderung, liebe und hass prägen die wechselnden allianzen der drei. als sich gegen schluss vieles zuspitzt und alle irgendwie zu verliererinnen werden, stärkt dies ihre gegenseitigen beziehungen und irgendwie versöhnen sie sich auch mit dem altwerden.
schnell steht man beim lesen mitten im geschehen, als gehörte man selbst dazu. die sehr detaillierte schilderung des kampfes der protagonistinnen gegen ihren körperlichen zerfall hat manchmal etwas beinahe bösartiges. auch ist die geschichte teilweise etwas dick aufgetragen und hat etwas abgründig skurriles. alles in allem ein leicht zu lesender, amüsanter roman, dem es trotz allem an tiefgründigkeit nicht fehlt und der einen offenen und hoffnungsvollen schluss findet.

09.08.2021

matthias nawrat: wir zwei allein

nach der aufgabe des studiums arbeitet der erzähler als fahrer für gemüselieferungen, eine ruhige und zufriedenstellende arbeit für ihn. dann lernt er theres kennen und verliebt sich. sie ist eine künstlerisch tätige frau mit einer schwer fassbaren persönlichkeit, macht einen manisch-depressiven eindruck und scheint ein unruhiges leben zu führen. nachdem sie sich anfänglich auf eine beziehung einlässt, verschwindet sie plötzlich, um nach ein paar tagen wieder aufzutauchen. sie schmiedet pläne, die sie kurz darauf wieder ändert oder fallen lässt. dies alles sieht er ihr nach und hält er aus. sie mieten ein altes haus auf dem land an. er ist voll von hoffnung und plänen, die sich kaum erfüllen lassen und an ihrem unsteten wesen scheitern. und trotzdem bleibt er bei ihr.
sehr nahe am geschehen wird hier eine beziehungsgeschichte erzählt, von der nie ganz klar wird, ob sie einseitig oder gegenseitig ist. zweifel werden ausgeblendet, schöne momente verklärt und trotzdem erkennt man die gefährliche abhängigkeit. einzigartig treffend sind sehnsüchte und gefühlslagen des mannes und das herausfordernde handeln und reagieren der frau beschrieben, was irgendwie ein ungutes gefühl zurücklässt. der roman macht in seiner dichte und nähe einen autobiografischen eindruck, auch wenn dies nicht so erwähnt wird. ich hoffe, der autor musste dies nicht wirklich selbst erleben.

03.08.2021

odd klippenvåg: ein liebenswerter mensch

als schüler war kjerand heimlich in birger verliebt. nach der grundschule trennen sich ihre wege und sie verlieren sich aus den augen. kjerand bleibt im dorf und übernimmt den hof seiner eltern, arrangiert sich mit dem leben und verheimlicht seine homosexualität. dies ändert sich, als er mit sechzig jahren mit einer krebsdiagnose konfrontiert wird und nach oslo zur strahlentherapie fahren muss. bei der gelegenheit sucht er birger auf, der dort eine kunstgalerie besitzt. birgers leben ist völlig anders verlaufen. er ist ein weltoffener und erfolgreicher mann, der einige weder einfache noch dauerhafte beziehungen zu anderen männern hatte. nach anfänglichem zögern lädt birger kjerand ein, während der therapiezeit bei ihm zu wohnen. langsam kommen sich die beiden männer näher. eine schöne, ruhige und bereichernde beziehung beginnt zwischen den beiden zu wachsen.
die schnörkellose erzählweise steht im starken kontrast zu dem was der inhalt des romans vermittelt. die tiefe und ruhige liebe zwischen zwei nicht mehr jungen menschen, die frei von hektik und leistung, voll von zärtlicher zuwendung und gegenseitiger sorge ist, wirkt nie kitschig oder oberflächlich, sondern hat etwas liebenswertes und stilles, das beim lesen stark fasziniert. die auseinandersetzung mit dem völlig anderen leben des gegenübers bringt in diesem letzten lebensabschnitt nicht nur die auseinandersetzung mit neuem, sondern auch aufbruch und hoffnung. das buch ist mir so nahe gegangen, dass ich es gleich ein zweites mal gelesen habe.