im
14. jahrhundert betrachten die verschiedenen herrscher auf dem balkan
das osmanische reich bereits als eine bedrohung. die kunde vom plan
eines brückenbaus über einen grenzfluss weckt nicht nur aengste vor
den türken. auch sind viele der ueberzeugung, dem wasser so etwas
nicht antun zu dürfen, weil sonst die bösen wassergeister dieses
bauwerk wieder zum einsturz bringen könnten. doch der meister
und seine arbeiter beginnen unverzagt mit der arbeit. geschickt
nutzen sie den winterlichen,
niedrigen wasserstand um die pfeiler zu setzen und spannen danach die
bögen darüber. die bewohner der gegend verfolgen den bau kritisch,
die fährleute fürchten die konkurrenz und immer wieder gibt es
nächtliche sabotageakte. nach der fertigstellung will vorerst
niemand darüber gehen. bald aber setzt zunächst zögerlich der
verkehr ein.
von
einem mönch erzählt, der als chronist agiert, wird man in eine von
mythen und aberglauben geprägte gesellschaft entführt, die
jeder veränderung, jedem
aufbruch kritisch
begegnet.
detailliert und präzis berichtet
er über diese längst
vergangene welt, die zwischen technischem
fortschritt und
abergläubischer rückständigkeit steht. die damaligen
machtansprüche
einzelner herrscher und die
drohenden religiösen
einflüsse
betrachtend, lassen
diese geschichte als parabel auf die heutige zeit verstehen.
25.11.2021
ismail kadare: die brücke mit den drei bögen
22.11.2021
eva menasse: dunkelblum
einst mitten in der donaumonarchie, heute hart an der österreichisch-ungarischen grenze, liegt dunkelblum, der ort der handlung. seit dem zweiten weltkrieg am rande westeuropas und etwas verschlafen, ändert sich kaum noch etwas für die hier ansässigen, die beinahe alles voneinander wissen, aber über vieles schweigen. doch die erinnerungen an die nazi-zeit und ein furchtbares verbrechen lassen sich nicht mehr verdrängen, als plötzlich ein fremder auftaucht, man auf einem feld ein unbekanntes skelett ausgräbt und ein junges mädchen verschwindet. die ankunft und beherbergung einer grösseren gruppe von ddr-flüchtlingen bringt unerwartet alte und neue machtverhältnisse an den tag.
mit angemessenem humor und einzigartigen bildern führt uns die autorin durch das biotop einer komplexen dörflichen schicksalsgemeinschaft. menschliche schwächen und unerfüllte wünsche begleiten das leben im ort ebenso, wie all die geheimen vermutungen und unausgesprochenen verdächtigungen. treffende schilderungen der einzelnen personen und deren handeln führen einen ganz nahe an diese menschen heran. sprachlich genial und präzis wird hier jeder stimmung und jedem gefühl rechnung getragen. in diesem roman öffnet sich exemplarisch ein geschichtspanorama, das eine kaum zu glaubende realität beschreibt. spannend von der ersten bis zur letzten seite ist es eines dieser bücher, von denen man hofft, es blieben immer noch ein paar kapitel zu lesen.
15.11.2021
ocean vuong: auf erden sind wir kurz grandios
als zweijähriger kommt der autor mit
seiner mutter und seiner grossmutter aus vietnam in die usa. die
beiden frauen haben den vietnamkrieg erlebt. er, der sohn einer
vietnamesin und eines amerikanischen soldaten, wird als kind wegen
seines aussehens diskriminiert. das leben mit seiner von den
kriegserlebnissen geprägten und geschundenen familie ist nicht
einfach, aber eine innige liebe verbindet mutter und sohn. als er
sich als jugendlicher in trevor verliebt, verändert sich vieles in
seinem leben. die liebe der beiden jungen ist heftig, wild und
versteckt. mit dem frühen tod trevors findet sie ein tragisches
ende. ocean vuong steht zwischen zwei kulturen und muss sich
entscheiden, wohin er gehört.
das buch ist angelegt als brief an
seine mutter, im wissen darum, dass sie ihn nie lesen wird können:
seine mutter ist analphabetin. mit seinem pendeln zwischen prosa und
kurzen eher lyrischen einlagen vermittelt der autor ein
eindrückliches bild dieser in amerika gestrandeten menschen. auch
zeichnet er ein bild vom umgang der amerikanischen gesellschaft mit
dem verlorenen krieg und seinen demografischen nachwirkungen. so
vielschichtig und kompliziert diese autobiografische geschichte ist,
so klar und einfach wird sie erzählt.
10.11.2021
olga grjasnowa: der verlorene sohn
während des kaukasuskrieges im 19.
jahrhundert muss der einflussreiche herrscher schamil seinen ältesten
sohn jamalludin als pfand für die friedensverhandlungen dem zaren
ausliefern. als neunjähriger kommt er also nach st. petersburg und
wird in der feudalgesellschaft des alten russlands gross. seine
herkunft und familie geraten für ihn immer mehr in vergessenheit. er
findet freude am leben und den möglichkeiten in russland, was ihn
aber seiner herkunft entfremdet. die karriere in der armee des zaren
führt ihn letztlich wieder zurück in die alte, von russland
beanspruchte heimat. seine familie hat sich verändert, er findet
sich nur schlecht wieder ein und die frage, welches leben er führen
will und wem seine loyalität gehört, belastet ihn immer mehr, aber
er findet keine antwort.
diese lebensgeschichte eines jungen
mannes ist gleichzeitig auch etwas geschichtsunterricht und lässt
uns die heutigen konflikte im kaukasus besser verstehen. eindrücklich
ist die schilderung, wie die menschen in den herrschaftsverhältnissen
gefangen sind und wie sehr sich das gesellschaftliche leben russlands
von dem von ihm beanspruchten gebieten in dagestan und tschetschenien
unterscheidet. faszinierend ist auch die beschreibung der rolle der
frau, die sich in diesen beiden so verschiedenen kulturen kaum
unterscheidet. diese stimmige geschichte hat manchmal etwas
unmittelbare brüche, bleibt aber bis zum schluss spannend und
bereichernd.
03.11.2021
jean-philippe blondel: ein winter in paris
der in einfachen verhältnissen
aufgewachsene victor kommt aus der provinz zum studium nach paris.
seine mitstudenten und mitstudentinnen stammen alle aus
einflussreichen und begüterten familien. er ist ein aussenseiter,
fühlt sich alleine und nicht wahrgenommen. nur mit mathieu, der in
einer anderen klasse ist und auch von auswärts kommt, raucht und
redet er hin und wieder in den pausen. als mathieu sich das leben
nimmt, gilt victor plötzlich als dessen einziger freund und gerät
ins zentrum des interesses der anderen. der vater des toten sucht das
gespräch mit victor, um mehr über seinen sohn zu erfahren. zwischen
den beiden entwickelt sich eine art vater-sohn-beziehung.
dieser
subtil geschriebene roman gibt einen einblick in die verhältnisse
einer französischen eliteschule und zeigt, wie schwierig der soziale
aufstieg für junge menschen ist, die nicht bereits ein
entsprechendes elternhaus haben. der offizielle umgang mit dem suizid
durch die lehrerinnen und lehrer kontrastiert stark mit den gefühlen
und emotionen victors und der hilflosen trauer des vaters von
mathieu. trotz der ganzen tragik eine schöne und stille geschichte,
die sich einer speziellen realität stellt und wunderbar zu lesen
ist.