23.12.2022

édouard louis: anleitung ein anderer zu werden

das dorf seiner jugend, in dem er in grosser armut aufwächst ist der ort, den er hinter sich lassen will. er schafft es aufs gymnasium in amiens, der nächstgrösseren stadt. auf der schule findet er in elena eine freundin, mit der er viel zeit verbringt und von deren eltern er wie ein sohn aufgenommen wird. mit aller energie will er seine herkunft abstreifen, verändert sein verhalten und seine sprache, lernt menschen kennen, die ihm neue perspektiven eröffnen. das ihm zunächst als eldorado erscheinende amiens verliert aber seine attraktivität, sein neues ziel ist in paris zu leben. er schämt sich seiner herkunft. getrieben von seinem zwang, der armut zu entfliehen und ein anderer zu werden, verbringt er jahre der unruhe und zweifel. er folgt seinen träumen, will berühmt werden, um es letztlich denen in seinem herkunftsdorf, die ihn verachtet haben, zu zeigen. mit grosser anstrengung und disziplin erreicht er sein ziel. doch bleibt er letztlich seiner vergangenheit verbunden, mit der er sich auch irgendwie versöhnt.
ein weiteres autobiografisches buch von édouard louis mit den bereits bekannten themen seiner herkunft und der damit verbundenen armut, die er hinter sich lassen will. trotzdem ist es wieder spannend und eindringlich zu lesen, weil er meisterhaft versteht nicht nur die zustände zu beschreiben, sondern sich auch immer einer kritischen selbstreflexion unterzieht. trotz aller zielstrebigkeit bleibt er immer bei sich und hinterfragt sein handeln, betrachtet sich von aussen. extrem ehrlich mit sich selbst und authentisch fragt er sich auch, inwieweit er menschen, die ihm begegneten für seinen weg missbraucht hat. auch scheut er sich nicht über seine teilweise misslichen sexuellen abenteuer zu berichten. zutiefst menschlich kommt dieses dilemma eines jungen mannes daher, der nicht nur in armut gross wird, sondern auch seine homosexualität entdeckt.
ob das ganze – wie es der buchtitel verkündet – als «anleitung ein anderer zu werden» taugt, lasse ich dahin gestellt.

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