30.12.2012

per olov enquist: das buch von blanche und marie

zwei frauenschicksale sind die zentrale geschichte dieses buches. marie curie, die bekannte physikerin, chemikerin und zweifache nobelpreisträgerin und blanche wittmann, ihre freundin, die uns weniger bekannt ist. beide frauen sind in für jene zeit unmögliche liebesgeschichten verstrickt, die ihren leben entscheidende wendungen geben. ueber alle konventionen weg, gegen alle vernunftargumente leben sie ihre lieben und gefährden damit ihre existenzen.
blanche beginnt, nach ihrer erkrankung tagebuchartig ihr eigenes schicksal und das ihrer freundin zu beschreiben. auf diesen texten basierend besteht enquists roman, der die konflikte einer in die moderne aufbrechende zeit und den sie noch stark beeinflussenden traditionen aufzeigt. den beiden frauen setzt er damit ein ungewöhnliches denkmal.

10.12.2012

andreas altmann: das scheissleben meines vaters, das scheissleben meiner mutter und meine eigene scheissjugend

dieser ungewöhnlich grauenhafte buchtitel übertreibt nicht. andreas altmann beschreibt seine grauenhafte jugend in der nicht nur er, sondern seine ganze familie unter seinem vater leiden musste. jeden tag gewalt, schläge und psychischer terror verschlechterten seine schulischen leistungen, er erlebte sich nur noch als versager.
sein vater, der im dritten reich bei der ss war, kam aus dem krieg zurück um den ererbten devotionalienhandel in altötting wieder aufzunehmen. seine frau und seine kinder wurden nun zum ziel seiner machtausübung und seines absoluten herrschens. mit an konzentrationslager erinnernden methoden wie arbeitsdienst und nahrungsentzug regierte er zuhause. schliesslich wies er seine frau aus dem haus, fortan waren die kinder ihm alleine ausgeliefert. gegen aussen mimte er den erfolgreichen geschäftsmann und guten familienvater, so dass im dorf niemand wirklich erfuhr, was in seinem haus los war.
im verlauf seiner jugend entwickelt andreas altmann strategien, diese hölle zu überleben und ihr als achtzehnjähriger zu entkommen. seine jugenderlebnisse haben folgen für die nächsten zwanzig jahre seines lebens, bis er nach einigem suchen und langer therapie endlich zu sich selbst und zu seinem beruf findet, der ihn erfüllt.
andreas altmann beschreibt in einer direkten, harten und unmissverständlichen sprache die damaligen ereignisse. nichts wird beschönigt, selbst seinen manchmal aufkeimenden wunsch seinen vater umzubringen, spricht er aus. aber trotz aller unbill und allem leid, das er erleben musste, kommentiert er mit einer grossen abgeklärtheit und distanz die damaligen ereignisse differenziert, ordnet sie ein und stellt sie in einen zusammenhang. erst nach dem tod seines vaters, den er nach seinem auszug nie mehr gesehen hatte, setzt er sich nachts neben die aufgebahrte leiche und versöhnt sich auf eine besondere art mit ihm.
manchmal hält man die beschreibungen beim lesen kaum aus. ein beeindruckendes, hartes aber auch sehr berührendes buch, das ungeschminkt eine geschichte erzählt, die man sich kaum vorstellen kann.

05.12.2012

hubert giger: la stria da dentervals

l'onna pintga, ina dunna veglia viva cun sia beadia en petra paupradad. l'anna haveva piars ses geniturs en ina lavina. ellas ein aschi paupras, ch'ei tonscha buca pils pli pigns basegns dil mintgadi. ei resta ad ellas nuot auter che dad ir a rugar tiels vischins per in toc paun ni in migiel latg.
sil santeri vegn engulau ossa ord ina fossa. il sacristan lai protocolar, ch'el hagi viu l'onna pintga el medem temps leu. quei ha tunschiu per suspectar ella dad esser ina stria. ei vegn aunc vitier ch'ella ei stada per schabetg sin viseta sin in bein puril, ch'ei vegnius satraus dad ina lavina cuort suenter. e che l'onna pintga veva strihau sur il dies d'ina vacca, ch'ei crapada pli tard. adina dapli suspects ed aviras meinan ella avon dertgira. paucs emprovan da defender ella. ei dat negina schanza da salvar ella avon la peina da mort. l'onna ei buca la suletta, era auters, oravontut dunnas vegnan suspectadas da far striegn.
quei roman historic dat in ferm maletg dalla veta e dallas relaziuns da pussonza viers la fin dil 17. tschentaner. da quei temps ch'ils carstgauns ella surselva vivevan en cuminonzas ruralas, per part fetg isoladas. per paucs fuv'ei pusseivel da survegnir ina buna scolaziun, biars eran nunscolai ed ignorants. cardientschas blauas eran extrem derasadas. la baselgia catolica veva quasi tut la pussonza ed era omnipresenta. ella era pli datier als rehs e beinstonts che als paupers. glieud debrastgada ch'era d'in auter meini e che s'engaschava pil dretg dallas accusadas, vegneva suspectada da far sezza striegn.
ina descripziun impressiunonta, plein da maletgs da cuntradas e carstgauns, muossa la veta da gliez temps e lai prender part a sorts individualas. in maletg da quella societad rurala, ch'ei interessants e plein tensiun da leger dall'emprema tochen la davosa pagina.

01.12.2012

christoph schlingensief:
so schön wie hier kanns im himmel gar nicht sein!

nach der diagnose eines lungenkrebses ist nichts mehr wie vorher. christoph schlingensief erfährt im alter von 47 jahren mitten in seinem aktiven leben diese zäsur. er beginnt seine gefühle und erfahrungen in ein diktiergerät zu sprechen, daraus ist dieses buch entstanden.
dieser sehr persönliche erfahrungsbericht ist sowohl voll von hoffnung als auch verzweiflung. er beschreibt seine stimmungsschwankungen, seine begegnungen mit freunden, mit seiner mutter, mit seinen mitarbeitern und dem gesundheitspersonal und erinnert sich oft an seinen verstorbenen vater. das fortführen seiner projekte und seiner arbeit ist in frage gestellt, er muss sich auf seine krankheit konzentrieren und sich auf sich selbst zurückbesinnen. er setzt sich mit religiösen fragen auseinander und findet immer wieder zu sich selbst. auch eine innere ruhe stellt sich immer mehr ein.
ein extrem berührendes buch, das eindringlich und ungeschönt zeigt, was in der zeit seiner krankheit mit ihm geschieht. seine fähigkeit sich exakt und authentisch auszudrücken, stimmungen und begegnungen genau zu beschreiben, lässt einen fühlen, wie gerne er lebt und diese liebe zum leben neu definieren muss.
ein ganz wichtiges buch für mich, das ich mir bewahre, um es erneut zu lesen: falls ich selbst einmal in eine solch lebensbedrohliche situation komme, wird es mir eine wichtige stütze sein.

23.11.2012

yoko tawada: ueberseezungen

nichts könnte das buch treffender beschreiben als sein titel. dieses wortspiel ist bezeichnend für den inhalt dieses erfrischenden werkes. die autorin bewegt sich zwischen ihrer japanischen muttersprache und deutsch mit leichtigkeit. deutschland, japan, die usa und südafrika sind stationen linguistischer betrachtungen einer ganz besonderen art. land, leute und deren sprache stehen immer im zentrum der betrachtung und vermitteln uns einblicke in unerwartete gesprächssituationen und dialoge. dies alles nicht ohne poesie und spielerische schönheit. ein muss für alle deren beschäftigung mit sprache nicht nur aus grammatik besteht, oder eben gerade auch für diese, weil es so einen ganz anderen zugang vermittelt.

18.11.2012

oscar peer: das raunen des flusses

zurückgekehrt an die orte seiner kindheit lässt der autor bilder einer vergangenen zeit aufleben: das unterengadin in den dreissiger und vierziger jahren des letzten jahrhunderts. keine übliche, chronologisch angelegte autobiografie, sondern einzelne kapitel mit beobachtungen und beschreibungen von erlebnissen aus seiner kindheit und jugend.
in einer schönen, reichen und bildhaften sprache schaut oscar peer zurück auf die damalige zeit und erinnert sich an seine familie, an leute aus dem dorf, mitschüler, dorforiginale, missetäter und solche, die gutes taten in den schwierigen jahren während des zweiten weltkrieges. immer wieder thematisiert er den gesellschaftlichen umgang mit damaligen ungerechtigkeiten. mit dem kapitel, das vom sterben und tod seiner mutter handelt, setzt er seinen eltern ein liebevolles denkmal. er entführt einen in eine welt, die es so nicht mehr gibt, in der viele traditionen noch unbestritten waren und schon eine reise in den kantonshauptort chur ein grösseres unternehmen war.

06.11.2012

christoph hein: weisskerns nachlass

mit einer 50%-dozentenstelle ohne aufstiegs- und karrieremöglichkeiten, kommt der bald 60-jährige stolzenberg finanziell nur knapp über die runden. neben seiner festen arbeit erforscht er das leben und wirken weisskerns, eines bedeutenden topografen niederösterreichs und librettisten mozarts. er erhält ein angebot zum kauf von alten brieforiginalen weisskerns. dahinter steht jedoch eine betrügerische absicht und stolzenberg kann einer durch die polizei eingeforderten mitarbeit nicht ausweichen, einer rolle, die ihm gar nicht behagt. echte autografen befinden sich jedoch im besitz des onkels eines seiner studenten, der versucht sein diplomzeugnis durch bestechung zu erlangen.

die verlockung sich bestechen zu lassen ist gross, mit nur wenig aufwand könnte er seine finanzielle situation massgeblich verbessern und käme auch in seiner forschungsarbeit wesentlich weiter. eine schwierige innere auseinandersetzung dominiert sein handeln. die geschichte beschreibt ein leben zwischen normalität und prekariat, wie schnell es in der heutigen zeit geht, aus dem mittelstand in die armut abzusinken. die fragen persönlicher würde und ethischen verhaltens sind ebenso das grundthema dieses buches, wie das finanzielle ueberleben und das erhalten eines gewohnten lebensstandards.

18.10.2012

tim krohn: ans meer

zwei ehepaare lernen sich über ihre gleichaltrigen töchter kennen. nach anfänglicher zurückhaltung kommen sie sich näher und leben schliesslich zeitweise gemeinsam in einem haus unmittelbar am meer. diese nahe freundschaft endet abrupt nach dem ertrinken der einen frau. deren tochter verlässt fluchtartig das haus, zieht weg, lernt einen mann kennen und wird von ihm schwanger. als alleinerziehende mutter lebt sie fern ihrer heimat in einer symbiotischen beziehung mit ihrem sohn zusammen. doch die vergangenheit holt sie ein.
die komplexe geschichte rollt eine vielschichtige und dramatische handlung von hinten auf, indem die vergangenheit in fragmenten stück für stück zu tage tritt. aus der sicht der einzelnen protagonisten werden identische ereignisse aus unterschiedlicher optik erzählt und bringen immer mehr zum vorschein. beim lesen fügen sich die einzelnen, teils dramatischen ereignisse fantastisch zu einer geschichte zusammen, deren grundthemen verfehlung, schuld, sühne, verzeihung und vergebung sind. abgesehen vom etwas altklugen und frühreifen auftreten des sohnes, das etwas unrealistisch wirkt und stört, ist es ein stimmiger, tiefgründiger und intensiver roman, der einen beim lesen nicht mehr loslässt.

12.10.2012

jakob arjouni: bruder kemal

der privatdetektiv kayankaya ist wieder unterwegs. diesmal hat er zwei aufträge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: eine 16-jährige tochter aus der frankfurter oberschicht, die sich mit einem wesentlich älteren mann abgesetzt hat, soll wieder zu ihren eltern zurückgebracht werden und der personenschutz während der buchmesse für einen schriftsteller, der wegen des inhalts seines romans bedroht wird.
schon bald zeigt sich, dass es bezüge zueinander gibt und es für kayankaya nicht einfach ist, nicht zwischen die fronten zu geraten. mit viel scharfsinn, mut, auch ein paar handgreiflichkeiten und nicht immer ganz gesetzeskonform gelingt es ihm aber, nicht nur seine, sondern auch die haut seiner kunden zu retten.
eine rasante und leicht zu lesende geschichte, die durch die genauen, teilweise bitterbösen beschreibungen der menschen und der milieus in denen sie sich bewegen, besticht. einfach beste unterhaltung.

08.10.2012

anna stothard: pink hotel

in london, wo sie zuhause ist, erfährt sie, dass ihre mutter in kalifornien gestorben ist. die nur vierzehn jahre ältere mutter lily hatte ihre tochter und deren vater verlassen um ihre eigenes leben zu führen. die tochter reist nach amerika, gerät in die etwas spezielle totenfeier, stiehlt dort ein paar kleider, schuhe, briefe, fotos und einen roten koffer. mit diesen gegenständen versucht sie lilys leben zu erforschen. sie trifft auf ihre erste grosse liebe und lässt den geplanten heimflug verfallen. aus den paar geplanten tagen in amerika werden wochen.
die berührende, manchmal etwas raue geschichte mit nicht immer schönen begegnungen zeichnet das leben und die gefühle der tochter treffend und genau. bestechend präzis sind die beschreibungen von menschen, landschaften und gegenständen, spannend und bewegend die handlung. die leichten, zeitweilig bis ans unwahrscheinliche grenzenden uebertreibungen geben der geschichte noch zusätzlich etwas würze ohne diese unglaubwürdig erscheinen zu lassen. ein unterhaltender roman, dem auch ein gewisser tiefgang nicht fehlt.

01.10.2012

martin suter: die zeit, die zeit

wer wünschte sich nicht, hin und wieder in eine frühere zeit zurückzukehren, um glück noch einmal zu erleben oder etwas anders zu entscheiden, um dem leben eine andere richtung zu geben? dies ist das grundthema dieses romans, der von einem alten mann und einem jungen witwer ausgehend, anhand einer gewagten theorie einen früheren moment wieder auferstehen lassen will. zunächst zögerlich, dann immer mehr engagiert, bis zuletzt aber zweifelnd an der sache, lässt sich der jüngere vom aelteren als gehilfe einspannen. die umgebung wird sukzessive und mit aller konsequenz in den zustand zurück verändert, wie sie damals ausgesehen hat. die spannung wie die sache ausgehen wird bleibt bis zum schluss. viel kriminelle energie wird zur erreichung dieses ziels freigesetzt und alles endet in einem unerwarteten, aber irgendwie doch erwarteten drama.
die geschichte bewegt sich zwischen realität und fiktion, die gut ineinander verwoben sind. nicht immer scheint das unmögliche möglich und auch das mögliche lässt die unmöglichkeit erahnen. aber ebenso eine geschichte, die viel menschliche regungen und emotionen im umgang miteinander aufzeigt, unterstützt von trefflich beschriebenen charakteren, die allen von uns im alltag immer wieder begegnen. ein buch für leute, die fantasie und lust haben, sich auf so eine abstruse geschichte einzulassen.

22.09.2012

daniel zahno: rot wie die nacht

zufällig sitzen sie einander im zug gegenüber, sie gefällt ihm, er gefällt ihr. so beginnt diese liebesgeschichte fast ein wenig stereotyp. sie finden sich und lieben sich. er ist alleinstehend. sie hat drei kinder von drei vätern und lebt mit dem vater des dritten kindes zusammen. eine nicht ganz einfache familienkonstellation, mit der alle beteiligten ziemlich verschieden umgehen. die treffen der beiden liebenden sind schwierig zu planen und einige ueberraschungen stehen an, bis das buch zum schluss eine ganz unerwartete wendung nimmt.
ein text voll von genauen beschreibungen: gemütsregungen und bilder, die uns allen bekannt sind. trotz der schwierigen handlungsanlage kommt die geschichte leicht daher und auch die beinahe unwahrscheinlichen ereignisse und fakten erscheinen weder zusammengesucht noch unmöglich. ein subtiles und philosophisches buch, dessen ende nicht nur überraschend sondern auch etwas abrupt ist.

20.09.2012

katharina zimmermann: die furgge

ende des 17. jahrhunderts wurden die täufer im emmental durch die gnädigen herren von bern verfolgt und vertrieben. die damaligen lebensumstände der landbevölkerung waren nicht einfach, das leben war kaum abgesichert, naturereignisse konnten die menschen genau so um ihre existenz bringen wie die unberechenbarkeit der vögte. hunger war allgegenwärtig, säuglings- und kindersterblichkeit waren ebenso alltäglich wie unfälle bei der arbeit.
anhand der lebensgeschichte der madleni schilt aufersteht dieses stück zeitgeschichte. uebergetreten zu den täufern verliert sie im verlauf ihres lebens ihren mann, die kinder, den hof und das vermögen, einfach alles, trotzdem bleibt sie standfest und hält an ihrem glauben fest. das ganze ist eingebettet in die rahmenhandlung von anna, einer musikerin, die dieser geschichte anlässlich eines aufenthaltes in der gegend nachgeht.
ein kurzweiliger und spannender geschichtsroman, der uns in diese dunkle zeit entführt. aber auch ein politisches buch, das uns aufzeigt, wie die regierung in bern die kirche zur unterjochung des landvolkes einsetzte und dessen ueberlaufen zu den täufern eine nur logische folge war. spannend von der ersten bis zur letzten seite und aktuell, wenn man die heutige zeit betrachtet, in der es so viele religiös bedingte konflikte gibt.

18.09.2012

alex capus: léon und louise

léon und louise lernen sich kurz vor ende des ersten weltkrieges kennen und verlieben sich. nur ganz kurz ist ihre gemeinsame zeit: unterwegs auf dem rückweg von ihrem ausflug an die französische atlantikküste, wo sie ihre erste gemeinsame nacht verbracht haben, geraten sie in einen fliegerangriff und verlieren sich. beide halten einander für tot. léon heiratet später eine andere frau und wird vater von fünf kindern. louise führt ein selbständiges leben alleine. 1928 treffen sie sich zufällig in der pariser metro wieder. erneut trennen sie sich und versprechen sich auch, sich gegenseitig nicht mehr zu suchen. der zweite weltkrieg bringt sie wieder weit auseinander. erst als louise 1945 aus afrika nach frankreich zurückkehrt treffen sie sich von da an wieder regelmässig. für die familie ist die frau, die an der beerdigung von léon unerwartet in der kirche erscheint eine unbekannte.
es ist eine liebevolle und schöne geschichte, die die spannung hält und auch in dieser schwierigen beziehungskonstruktion nie kitschig oder oberflächlich wird. eine wunderbare beschreibung der einzelnen charaktere, und dies nicht nur der hauptfiguren, bringt ebenso farbe und intensität in die geschichte, wie die zeitlich wechselnde, aber immer übersichtliche, handlungsführung. ein eigentlich schweres thema kommt so erstaunlich leicht geschrieben daher. schade dass es nach etwas über dreihundert seiten zu ende ist. gerne hätte ich noch weitergelesen.

06.09.2012

agota kristof: die analphabetin

es ist ein buch mit einem autobiografischen hintergrund. darin beschreibt die autorin die konfrontation mit französisch, der sprache ihrer neuen heimat nach ihrer flucht aus ungarn 1956. mit prägnanten und kurzen sätzen erfahren wir auf nur 75 seiten so viel wichtiges über die sprachliche situation der migrantin. während sie schon mit vier jahren lesen konnte und immer viel gelesen hatte, wurde sie plötzlich wieder – wie sie es beschreibt – zur analphabetin. zwar konnte sie nach einiger zeit die neue sprache sprechen und verstehen, lesen und schreiben musste sie diese aber später mühsam erlernen. zu einer begeisterten wörterbuchleserin sei sie geworden, schreibt sie.
ein kleines werk, das auf ein problem aufmerksam macht, das auch heute eine grosse aktualität hat.

22.08.2012

leena lehtholainen: ich war nie bei dir

auf einem familienausflug auf eine kleine insel, verschwindet rikku, der familienvater. er ist schwimmen gegangen und nicht mehr zurückgekehrt. unfall, selbstmord, mord... alles ist möglich. jaana und ihre beiden kinder bleiben zurück, während die polizei den vermissten erfolglos sucht. im verlauf der geschichte stellt jaana fest, wie wenig sie mit ihrem mann noch gemeinsam hatte und wie wenig sie einander noch verbunden waren, während die kinder den verlust des vaters kaum akzeptieren können. doch dann kommt ein unerwartetes ereignis, das das leben erneut verändert.
in form einer reportage mit zitierten tagebucheinträgen der beiden eltern und eigenen kommentaren erzählt die autorin eine ungewöhnliche geschichte. nicht nur die unterschiedliche betroffenheit der einzelnen familienmitglieder und deren bewältigungsstrategien, sondern auch die reaktionen des umfeldes werden ineinander verflochten dargestellt. gedankengänge, denen zu folgen nicht immer einfach ist, rückblenden in die gemeinsame geschichte und blicke auf die weiteren familenstrukturen ergänzen die handlung und zeigen vermeintliche schuld und unschuld an den geschehnissen. das buch bringt ein thema zur sprache, über das zu denken geschweige denn zu sprechen, sich viele nicht wagten.
die ungenaue abgrenzung von tagebuchzitaten und kommentaren lässt den text  machmal etwas unübersichtlich erscheinen, aber die geschichte vermag die spannung zu halten und ist trotz all der nicht immer einfachen finnischen namen gut zu lesen.

14.08.2012

abdel sellou: einfach freunde

die lebensgeschichte von abdel sellou berichtet viel von seiner jugend und seinem selbstverständnis als chancenloser sohn algerischer eltern in einem pariser banlieue. ein leben, das vielen jugendlichen in vielen grossen städten der welt gemeinsam ist. abdels leben nimmt dann aber einen ganz anderen verlauf. die begegnung mit dem tetraplegischen superreichen, der ihn als betreuer und pfleger anstellt, verändert alles; aus dem anstellungsverhältnis wird letztlich eine freundschaft. ein geschichte, die man für fast nicht möglich hält.
letzten sommer kam «les intouchables» in die kinos. der film, der diese geschichte aufgenommen hat, wurde zu einem der meistbesuchten des jahres, weckte viele emotionen und liess kaum jemanden unberührt. als ich im abspann gelesen hatte, dass die grundlage zu diesem film eine wahre geschichte ist, weckte dies meine neugier. eigentlich habe ich es mir zur gewohnheit gemacht keine bücher zu lesen, von denen ich bereits den film gesehen habe: zu sehr werden die eigenen bilder vom bereits gesehenen beeinflusst. diese biografie zeigt aber einen teil des lebens von abdel sellou, der im film nur wenig gestreift wird: viel von seiner jugend und einiges aus dem späteren leben, also dem teil, der nach dem filmende geschieht. philosophische betrachtungen und seine eigeneinschätzung sind zentrale elemente des buches. so gesehen ist es eine ergänzung dieser ganz ungewöhnlichen geschichte im film.

12.08.2012

jordi soler: das bärenfest

im spanischen bürgerkrieg verschwindet der grossonkel des autors auf der flucht über die pyrenäen nach frankreich, während seine familie ins exil nach mexiko auswandert und dem verschwundenen ein ehrendes andenken bewahrt, das mythen um ihn entstehen lässt und seine verehrung steigert. auf der suche nach seinen spuren entdeckt sein grossneffe ein ganz anderes bild des vermeintlich toten: aus dem einstigen musiker und familienmitglied ist in seinem ueberlebenskampf ein verrohter mensch geworden, der arme leute ausraubt und selbst seinen einstigen retter den verfolgern ausliefert. am ende steht der autor nach langen nachforschungen seinem noch lebenden grossonkel gegenüber.
in einer komplexen und bildreichen sprache geschrieben ist diese geschichte ausserordentlich fesselnd. was aus menschen unter extremen bedingen werden kann, was sie antreibt zu taten, die sie sich selbst zuvor nie hätten vorstellen können – das zentrale thema – wird hier eingebettet in eine sehr persönliche familiengeschichte und löst gerade deswegen mehr betroffenheit aus. trotz der ausgedehnten charaktervollen beschreibung von landschaft, menschen und gesellschaft vermag der roman die spannung zu halten und fördert schritt für schritt schreckliches zutage. ohne zu werten und zu kommentieren lässt uns der autor nicht nur an einem stück seiner familiengeschichte teilnehmen, sondern berichtet uns auch darüber, was in ihm selbst bei diesen entdeckungen vorgeht. das ende kommt abrupt und als lesender bleibt man einen moment etwas unzufrieden, aber nur, bis man entdeckt, dass es da gar nichts mehr zu sagen gibt, dass gerade dieses ende einen zum weiterdenken und zur auseinandersetzung mit dem stoff antreibt.

02.08.2012

angelika overath: flughafenfische


er arbeitet auf dem grossen flughafen und betreut das grosse meerwasseraquarium in der transithalle, sie ist eine um die welt reisende, erfolgreiche magazinfotografin, die hier umsteigt und im transit warten muss. die beiden treffen sich und beginnen ein vorsichtiges gespräch, nehmen unsicher kontakt zueinander auf und kommen sich näher. während der gleichen zeit denkt im raucherraum ein mann rauchend und trinkend über die trennung von seiner frau nach. zwei handlungsstränge, die gleichzeitig stattfinden und einander inhaltlich entgegenlaufen.
diese eigentlich spannende anlage der handlung lässt einiges erwarten. leider mäandert die autorin aber durch diese beiden geschichten, die sie sehr ungleichgewichtig nebeneinander stellt, so dass man sich bald zu fragen beginnt, ob sie überhaupt miteinander zu tun haben. gemeinsam ist ihnen eigentlich nur das durchsetztsein mit seitenlangen nebensächlichlichkeiten. genaue beschreibungen über das oeffnen und ausnehmen von austern, endlose anleitungen über das einrichten und unterhalten von meereswasseraquarien, seitenlange abhandlungen über die aufzucht von seepferdchen unterbrechen die an sich schon dünne handlung. man wird beim lesen den verdacht nicht los, dass uns die autorin ihr spezifisches wissen vermitteln – uns belehren – will. auch gelingt es ihr schlecht die stimmungen einzufangen und zu vermitteln. sätze wie: «sie sah auf die abflugtafel, die monumental über dem menschenhoch belebten bodenraum aufstieg» oder «der raum hatte einen beruhigend dröhnenden sound, ein umwälzendes schaufeln, ein gewaltiges strömen und brausen», tragen nicht wirklich zur lesefreude bei. endgültig vergeht die lust am lesen aber dann im neunten kapitel:« ...und heimlich beuge ich mich über fraktale. das wissen sie nicht. seltsame autodidaktische affinität zu diesen sich selbst organisierenden monstern, zu diesem auswuchern notwendiger freiheit und freier notwendigkeit die unendlichkeit sich selbst konstituierender figuren, in sich symmetrisch und unvorhergesehen wandelbar...».
vielleicht wäre es besser gewesen ein kochbuch, eine anleitung zum betrieb von meerwasseraquarien und ein buch über geometrische oder biochemische erkenntnisse zu schreiben, der rest der handlung zwischen den menschen hätte dann in einem kleinen fotoromanzo platz gefunden.

28.07.2012

lukas hartmann: räuberleben


würtemberg im 18. jahrhundert, räuberbanden verbreiten angst in der bevölkerung. auch hannikel, ein gefürchteter räuberhauptmann ist unterwegs mit seinen getreuen und seiner sippe, die zusammenhält und immer füreinander da ist. die not zwingt sie zu diebstahl und anderen gesetzlosigkeiten. der oberamtmann von sulz am neckar hat sich zum ziel gesetzt, diese gefürchteten individuen zu fangen und zu bestrafen. hannikel wird schliesslich in chur erwischt und eingesperrt, von einer würtembergischen delegation abgeholt und in sulz vor gericht gestellt. an hannikel und drei weiteren männern wird das todesurteil am galgen vollstreckt. während des prozesses kommt beim schreiber des oberamtmanns zunehmend mitleid mit dem halbwüchsigen sohn hannikels auf, was loyalitätsprobleme mit sich bringt.
ein faszinierender roman, der aus geschichtlichen tatsachen und erfundener handlung eine kompakte und in sich stimmende handlung ergibt. die vorkommenden figuren sind so treffend beschrieben und jede handelt auf ihre weise. ein bild der verschiedenen gesellschaftsschichten und deren abhängigkeiten. nichts ist zuviel, nichts fehlt in dieser spannenden und berührenden geschichte. während des lesens steht man automatisch auf der seite der schwachen.

13.07.2012

jessica durlacher: schriftsteller!


die mit einem erfolgreichen schriftsteller verheiratete autorin erlebt nach einem ersten erfolgreichen roman die schwierigkeit, ein neues buch in angriff zu nehmen. daneben unterrichtet sie junge leute an einem college im fach „kreatives schreiben“. die zusammensetzung der klasse und die daraus entstehende dynamik bringen sie an ihre grenzen. ueber einen mail-kontakt wird sie für ein interview in einer psychologiezeitschrift angefragt, das treffen findet aber – trotz eines extensiven mailverkehrs – nie statt und es stellt sich die frage, ob dies alles überhaupt real ist. und dann gibt es noch den erfolgreichen jungen autor, dessen rolle sich erst am ende der erzählung klar abzeichnet.
eine unterhaltsame erzählung mit vielen schauplätzen und etwas sehr komplexen handlungssträngen, die oft etwas konstruiert wirken. zwar ergibt alles einen sinn und es ist auch nicht so schwierig den ueberblick zu behalten, trotzdem bleibt ausser einem gefühl von offenen fragen wenig zurück. gut, dass die erzählung nicht allzu lang ist.

12.07.2012

milena michiko flašar: ich nannte ihn krawatte


zwei männer treffen sich regelmässig auf einer parkbank. der jüngere ist ein sogenannter hikikomori, ein jugendlicher, der dem leistungsdruck der arbeitswelt und der gesellschaft ausweicht, indem er sich monatelang in sein zimmer zurückzieht. der aeltere hat seine stelle verloren, will es seiner frau aber nicht sagen und verlässt täglich sein haus, als ginge er zur arbeit. beide aussenseiter beginnen sich aus ihrem leben zu erzählen und so unterschiedlich sie sind, kommen sie sich näher und scheinen wieder etwas fuss zu fassen. eines tages erscheint der aeltere nicht mehr. der jüngere sucht sein haus auf, trifft dort seine frau, die eigentlich schon lange spürte oder wusste, was mit ihrem mann los war und erfährt, dass er sich umgebracht hat. der jüngere findet zur freude seiner eltern zurück ins leben.
ein philosophisches buch mit tiefgang, das sehr schön und spannend zu lesen ist. die beiden lebensgeschichten stehen für vieles, was jeder und jede von uns immer wieder in ansätzen spürt oder erlebt. die in japan handelnde geschichte könnte genau so gut in europa oder nordamerika angelegt sein. den mit dem japanischen leben nicht so vertrauten lesenden ist das angefügte glossar eine umfassende hilfe.

26.06.2012

olga grjasnowa: der russe ist einer, der birken liebt


als mädchen kommt masha mit ihren eltern als jüdische aussiedlerdeutsche aus aserbeidschan nach deutschland. hier schliesst sie schulen und studium erfolgreich ab und arbeitet auf ihr berufsziel hin. in elias hat sie schon früh ihre grosse liebe gefunden. elias aber stirbt an den folgen einer verletzung.
masha kehrt deutschland den rücken und geht nach israel zu einer tante aus ihrer weitläufigen verwandtschaft. eine komplizierte beziehung zu einer frau bestimmt weite teile ihres dortigen lebens und handelns, bis auch dies ein ende findet und masha im westjordanland auf ismael trifft, in dem sie elias wieder erkennt. immer in der fremde, immer unterwegs ist masha. in deutschland fremd als jüdisch-aserbeidschanische immigrantin, in israel fremd als deutsche, in palästina fremd als jüdin.
mit viel witz, genauer beobachtung und exakter beschreibung, mit ironie und tiefgründigkeit gelingt es der autorin nicht nur, uns dieses unruhige und rastlose leben näher zu bringen, sondern auch das umfeld, in dem es spielt. treffend wird ein milieu eingewanderter menschen in deutschland wiedergegeben. der alltag in israel und in palästina mit all den unlösbaren problemen – der hintergrund des zweiten teils des buches – ist eben so trefflich dargestellt. nicht immer ist die handlung kongruent, beim lesen bleiben etliche fragen offen. aber man schliesst masha ins herz, obwohl sie einem immer zu entgleiten droht.

10.06.2012

per petterson: ist schon in ordnung


als andur mit seiner mutter vom land in die stadt ziehen muss, wo sie sich in einem arbeiter-vorstadtquartier niederlassen, beginnt für ihn ein schwieriges leben. die neue schule bringt für ihn einige herausforderungen. nicht einfach ist es, freunde zu finden und sich in die klasse zu integrieren. um etwas geld zu verdienen, trägt er daneben morgens und abends zeitungen aus. als er im letzten schuljahr beschliesst, die schule zu verlassen, weil es mit dem nebenerwerb zu viel wird, erfährt er von seiner mutter, dass sie eine monatliche staatliche unterstützung erhält, damit er, als kind aus ärmeren verhältnissen das gymnasium besuchen kann. trotzdem entscheidet er sich, eine arbeit in der zeitungsdruckerei anzunehmen. auch dort muss er sich zwischen den raubeinigen arbeitern und druckern erst seinen platz verschaffen.
ein bemerkenswerter, schöner jugend- und sozialroman, der uns teilnehmen lässt am leben eines vorstadtjugendlichen, der in bescheidenen verhältnissen aufwächst. er weiss sich jedoch immer irgendwie zu helfen, findet immer wieder eine perspektive und gibt nicht auf. „ist schon in ordnung“, was immer auch auf ihn zukommt. die stimmungsvolle beschreibung des eher tristen umfeldes und der schwierigen beziehungen der jungen leute untereinander zeigt eine welt auf, die wir als erwachsene schon weitgehend vergessen haben. hier kommt sie uns wieder so nahe, als wäre es gestern gewesen.

07.06.2012

gerbrand bakker: der umweg


sie verschwindet aus amsterdam ohne vorankündigung und lässt ihren mann und ihre eltern im ungewissen zurück. in einem alten haus auf dem land in wales sucht sie zu vergessen was war und ein neues leben anzufangen. eines tages kommt ein junger mann daher, den sie zunächst für eine nacht in ihrem haus beherbergt. aber er bleibt. die beiden beginnen miteinander oder nebeneinander zu leben. die frau verfolgt ihren weg unbeirrbar bis zum ziel.
in einer knappen sprache mit vielen kurzen sätzen kommt diese geschiche daher. lediglich die beschreibung von landschaft und licht ist wirklich konkret. sonst wird kaum etwas in diesem buch wirklich genau vermittelt. vielmehr bleiben die menschen und deren beziehungen fast nur im bereich von andeutungen, die mögliche interpretationen beim lesen direkt herausfordern. ein stilles und – trotz des unschönen endes – schönes buch, das viele ganz unterschiedliche bilder entstehen lässt.

27.05.2012

carlos ruiz zafón: der schatten des windes


der schauplatz ist barcelona in der regierungszeit general francos. daniel, der zehnjährige sohn eines buchhändlers, findet im geheimnisumwobenen „friedhof der vergessenen bücher“ ein werk eines ihm unbekannten autoren. er beginnt zu lesen und ist so fasziniert von dessen spannendem inhalt, dass er sich auf die suche nach den spuren des geheimnisvollen autors macht. immer mehr zeigen sich parallelen zwischen den lebensläufen der beiden menschen, die eine generation trennt. eine fesselnde geschichte, die die persönlichen schicksale der zwei hauptprotagonisten im schatten des spanischen bürgerkrieges und der darauffolgenden zeit der diktatur erzählt.
es ist nicht ganz einfach immer den ueberblick zu behalten. die beiden sich gleichenden handlungsstränge aus den verschiedenen zeiten, mit vielen unterschiedlichen personen, die aehnliches und gleiches erleben, zwingen einen beim lesen aufmerksam zu sein. die enorme spannung macht es aber leicht dran zu bleiben und in die geschichte zu versinken. der schluss ist nicht nur unerwartet und überraschend, sondern auch sehr bewegend. einfach ein wunderbares buch!

13.05.2012

regina lampert: die schwabengängerin


regina lampert ist eines von mehreren kindern einer in bescheidenen verhältnissen lebenden familie im vorarlberg mitte des 19. jahrhunderts. um nicht so viele esser am tisch und ein zusätzliches einkommen zu haben werden jeden sommer viele kinder aus dem vorarlbergischen, aus graubünden und selbst aus dem südtirol nach schwaben zur arbeit geschickt. zu fuss machen sie sich auf den langen weg nach ravensburg, wo sie auf dem dienstbotenmarkt ihren neuen brotgeber finden. harte arbeit in haus und hof werden ende des sommers mit zwei garnituren kleidern, mit neuen schuhen und einem kleinen lohn bezahlt, den sie den eltern nach hause bringen. nicht alle hatten glück zu wohlmeinenden bauern zu kommen.
sechzig jahre später hat die autorin ihre erinnerungen aufgeschrieben und damit jene zeit aus ihrer sicht festgehalten. sie beschreibt ausserordentlich lebendig die damals gültigen werte, den einfluss der kirche, das brauchtum und die normen einer ländlichen gesellschaft. ein spannendes stück geschichtsunterricht, in dem nicht die noblen und reichen, die mächtigen und adeligen im vordergrund stehen, sondern jugendliche, die langsam erwachsen werden.

08.05.2012

amélie nothomb: attentat


epiphane ist hässlich, sehr hässlich sogar. er lernt die schöne schauspielerin ethel kennen und verliebt sich. auch sie wendet sich ihm zu; er hat den eindruck, sie nehme seine hässlichkeit gar nicht wahr. er wird zu ihrem besten freund, dem sie später auch erzählt, dass sie sich in xavier, einen ausserordentlich schönen mann, verliebt habe. epiphane leidet und nimmt ein angebot in japan an, in der hoffung die nötige distanz zu gewinnen. noch hat er ihr seine liebe nicht gestanden, denn in diesem zustand der unausgesprochenheit kann er von ihr träumen. zuletzt aber gesteht er ihr seine liebe und zerstört damit auch seine hoffnung: sie denkt nicht daran, ihn zu erhören.
mit drastischen beschreibungen der hässlichkeit von epiphane startet der roman, um nicht weniger drastisch utopisch weiter zu gehen. trotz der beinahe unmöglichen geschichte erkennt man das motiv: verliebtheit, sich zeit lassen mit dem liebesgeständnis, um die zeit der ungewissheit, der träume und hoffnungen möglichst lange zu erhalten.
hier treten trefflich beschriebene, schreckliche charaktere auf, deren nur allzu menschlichen gedanken auch uns bekannt sind.

01.05.2012

lukas hartmann: die frau im pelz


kaum erwachsen verlässt die adelbodner arzttochter in den 1930er-jahren die enge heimat, zunächst nach frankreich, dann nach deutschland. sie lernt einen nazifreundlichen studenten kennen, mit dem sie sich verlobt und wird von der gestapo als agentin für einen auftrag in paris angeworben. als solche entdeckt, wird sie zum tode verurteilt, später begnadigt. nach deutschland zurückgeflüchtet folgt die verhaftung als doppelagentin. sie kommt so ins konzentrationslager ravensbrück, wo sie dank ihrer intelligenz und ihrem ueberlebenswillen zur blockältesten aufsteigt und damit einfluss und macht über die anderen mitgefangenen erhält. nach kriegsende kommt sie für ihre taten im kz vor gericht. unterschiedliche, sich widersprechende zeugenaussagen verhindern nicht ihre verurteilung zum tod. der schweizerische konsul in hamburg, den sie um hilfe und beistand bittet, ist von ihrer persönlichkeit fasziniert. das trennen seiner privaten gefühle von seiner offiziellen aufgabe fällt ihm schwer.
ein historischer roman, der sich einer ganz besonderen person widmet. die eigenwillige, stolze, oft auch einsame frau kommt durch schlauheit und intelligenz immer wieder nach oben und weiss sich immer wieder den kopf aus der schlinge zu ziehen. ein stück neuerer zeitgeschichte wird auf gleichzeitig ernsthafte, anschauliche, spannende und gefühlvolle weise vermittelt. parallel sehen wir aus der optik der verurteilten und des konsuls auf das geschehen.
festgemacht an einem einzelschicksal werden die damaligen geschehnisse aus der anonymität der masse geholt. der autor verzichtet auf allzu detaillierte schilderungen von gräueltaten, trotzdem kommt die realität eindringlich daher und macht einen betroffen. bis zum schluss fällt es schwer, eine eigene meinung zur schuld oder unschuld der verurteilten zu finden.

17.04.2012

astrid rosenfeld: adams erbe

edward wird in einer von seiner grossmutter dominierten, etwas unruhigen und teilweise chaotischen jüdischen familie gross. immer wieder wird er damit konfrontiert, wie sehr er seinem grossonkel adam nicht nur äusserlich immer ähnlicher sehe, sondern auch seine art und sein wesen geerbt habe. das weckt seine neugier. wer war dieser bruder seines grossvaters, der einfach verschwunden ist und über den niemand in der familie wirklich spricht? nach dem tod der grossmutter entdeckt edward auf dem dachboden in der bibliothek seines grossvaters ein altes bisher ungeöffnetes paket, adressiert an eine anna guzlowski. beim oeffnen findet er darin einen stapel papiere: die von adam selbst aufgeschriebene recht abenteuerliche geschichte über seinen verbleib. das rätsel des damaligen spurlosen verschwindens klärt sich auf. und ganz zum schluss findet das paket auch den weg zu seiner ursprünglichen adressatin.
eine gleichzeitig tieftraurige und witzige geschichte, die das handeln und leben einzelner menschen in der zeit des dritten reiches und des zweiten weltkrieges beschreibt. eine geschichte ohne glückliches ende, die zeigt, wie weit jemand aus liebe gehen und was alles er auf sich nehmen kann.
faszinierend exakt sind die einzelnen figuren beschrieben, fesselnd ist die geniale handlungsführung. mit witz und ironie aber auch mit einer unerbittlichen ernsthaftigkeit wird das jüdische leben in verschiedenen facetten beschrieben. unter den nazis lernen wir menschen kennen, die verfolgten helfen, unmögliches möglich machen und sich selbst in gefahr bringen. und dann gibt es noch die polen, die zum widerstand gehören und beziehungen zum untergrund haben.
dieses so nahe zusammentreffen von so viel unmenschlichkeit und menschlichkeit macht das buch enorm ergreifend. die spannung nimmt von seite zu seite zu und im letzten drittel musste ich das buch ohne pause zu ende lesen.

12.04.2012

arno geiger: der alte könig in seinem exil

langsam, ganz langsam verliert der vater des autors den kontakt zu dieser welt und entwickelt eine demenzerkrankung. zunächst werden seine reaktionen von der familie als ein etwas seltsames verhalten eingeschätzt, dann wird aber langsam klar, worum es geht. die angehörigen teilen sich in die betreuung, später werden zusätzlich betreuerinnen eingestellt, auf die der vater sehr unterschiedlich reagiert.
ein sehr persönliches und offenes werk über die beziehung zwischen vater und sohn, die wegen der krankheit des vaters eine andere dimension erhält. liebevoll und einfühlsam, aber auch witzig und humorvoll werden ereignisse und begegnungen beschrieben. der sohn geht auf den vater zu, besucht ihn in seiner welt und lässt ihm seine wahrnehmungen indem er auf diese eingeht. nicht ein theoretischer oder wissenschaftlicher ansatz, sondern intuition und die persönliche beziehung sind erfolgreich. eine ausgezeichnet beobachtete und ebenso genau niedergeschriebene geschichte, die den vater die würde behalten lässt, die auf der letzten seite des buches noch nicht zu ende ist und die die weitere entwicklung – nicht ohne zuversicht – offen lässt.
für viele angehörige, die sich in einer solchen situation befinden, ein wichtiges buch, weil es einen nicht nur lehrt seinen gefühlen zu folgen, sondern auch die betreuung zu organisieren und selbst zeitweilig abstand zu nehmen, um das eigene leben weiterzuführen, ohne dabei ein schlechtes gewissen haben zu müssen. für mich schlicht etwas vom besten, was zu diesem thema je geschrieben wurde.

06.04.2012

jessica durlacher: der sohn

eigentlich eine ganz normale vierköpfige familie: mutter, vater, sohn und tochter leben in guten und wohlhabenden verhältnissen. doch bald passieren dinge, die das bisher stabile und vermeintlich sichere leben zu beeinflussen beginnen. die mutter wird beim joggen von einem mann beinahe vergewaltigt. der sohn meldet sich freiwillig zu den marines der us-armee. später wird die familie eines nachts von bewaffneten einbrechern heimgesucht. diese und andere vorerst isoliert dastehenden ereignisse haben alle mit der geschichte der jüdischen familie der mutter, deren grosseltern im konzentrationslager umgebracht worden waren, zu tun. in den während des zweiten weltkrieges besetzten niederlanden gab es kollaborateure, die versteckte juden und deren helfer denunzierten. die begegnung der nachkommen der damaligen täter und opfer führt zu unerwarteter selbstjustiz.
eine zunächst intime und sehr persönliche familiengeschichte, die sich immer mehr zu einem fesselnden krimi entwickelt. zu beginn ist das zentrale thema die grosse liebe und fürsorglichkeit der mutter für ihre kinder, die durch den für sie unverständlichen entscheid des sohnes zur armee zu gehen auf eine grosse probe gestellt wird. mit starken und berührenden worten beschreibt die autorin das auf und ab der gefühlslage der mutter, deren aengste und beinahe hingebungsvolle sorge um ihre kinder. ebenso anschaulich und authentisch beschreibt sie die zerstörung der sicherheit durch die einbrecher. das unvermögen, sich selbst und die familie zu schützen, hilflos den tätern ausgeliefert zu sein, hinterlässt ein ungeahntes gefühl der machtlosigkeit und verbreitet unrast. aber auch die sprachlosigkeit, die eine vergewaltigung auslöst, das unvermögen des opfers sich darüber zu äussern, die gefühle der scham und der schande und das daraus resultierende verschweigen auch gegenüber der polizei finden hier eine unvergleichlich genaue beschreibung.
selten habe ich einen roman gelesen, der diese schwierigen themen auf eine so eindringliche und phänomenale weise aufnimmt. eines der wenigen bücher, die ich nicht vor dem einschlafen lesen konnte, sondern nur in der sicherheit des tageslichtes.

01.04.2012

ulrich knellwolf: auftrag in tartu

als gastdozent an der theologischen fakultät in tartu trifft felix bruderer aus der schweiz nicht nur auf mehr oder weniger kritische kollegen, sondern auch auf viivi leim, die dekanatssekretärin, zu der er eine recht nahe beziehung entwickelt.
während seines aufenthaltes in estland steht die dozententätigkeit jedoch eher im hintergrund, seine vorlesungen finden in fast leeren hörsälen statt. viel mehr wird er verstrickt in tätigkeiten der russischen mafia und begegnet ehemaligen kgb-funktionären. beinahe alle figuren stehen zueinander in einer beziehung, einige von ihnen haben einen familiären bezug zur schweiz. zum schluss reist bruderer wieder nach hause und lässt viivi leim zurück.
auf verschiedenen zeitlichen ebenen wird man durch die geschichte geführt. nachkommen ausgewanderter schweizer, tschetschenische unabhängigkeitskämpfer, baltendeutsche barone, italienische adelige, preussische fürsten spielen grössere oder kleinere rollen, fiktive personen und historische persönlichkeiten begegnen sich. erst am ende löst sich alles auf und fügt sich zu einer abgeschlossenen und verständlichen geschichte. trotz der wiederholt etwas unklaren zusammenhänge und nicht abgeschlossenen handlungen gelingt es dem autor – dank der manchmal ans unwahrscheinliche grenzenden vorgänge – die spannung zu halten. die theologischen passagen fordern nicht-theologen immer wieder heraus, doch wer eine affinität zum baltikum hat, kommt voll auf die rechnung.
sehr hilfreich steht am schluss des buches das personenverzeichnis, das einen den ueberblick behalten lässt.

26.03.2012

andrea de carlo: sie und er

die geschichte beginnt im strömenden regen auf einer autobahnausfahrt vor milano. sie – clare – wartet mit ihrem freund stefano im auto vor dem rotlicht, er – daniel – fährt schon ziemlich angetrunken mit seinem alten jaguar cabriolet hinten auf sie auf. sie finden ihn halbwegs bewusstlos auf seinem fahrersitz. so begegnen sich die zwei hauptprotagonisten zum ersten mal. clare, die nach ein paar schwierigen und unordentlichen beziehungen bei stefano mit seinem wohlgeordneten leben sicherheit und halt zu finden scheint, wird durch diese begegnung emotional total aufgewühlt. daniel, vater von zwei kindern, nach gescheiterter ehe und mehreren eher lauen beziehungen zu frauen, geht es ebenso. sie suchen sich und treffen sich immer wieder. jede ihrer begegungen ist voll von unausgesprochenem und missverständnissen. nur langsam und auf vielen umwegen kommen sie sich trotzdem näher und scheinen sie sich zu erkennen. es bleibt letztlich offen, wie es ausgeht.
die handlung ist ziemlich verrückt, zeitweise etwas zusammengesucht und manchmal auch nicht ganz klar, aber über weite strecken spannend und aufregend. sie ist aber nur die plattform auf der der autor uns teilnehmen lässt an all den emotionen, gedanken, unsicherheiten und zweifeln einer liebe, die unter schwierigen bedingungen beginnt. von kapitel zu kapitel abwechselnd erfahren wir seine und ihre gedanken, wünsche, träume und vorstellungen, spüren so selbst, wie nah sie beieinander sind, wie sehr sie aeusserungen, verhalten, begegnungen und erscheinungen missdeuten und einfach nicht zueinander finden.
die ganze geschichte hat immer wieder witz und ironie, ist keineswegs larmoyant oder gar kitschig. abgesehen von ein paar längen im letzten drittel ist es ein buch, das einen kaum die lektüre unterbrechen lässt, vor allem weil es gefühlslagen und empfindungen beschreibt, die uns allen in irgend einer form auch bekannt sind.

19.03.2012

steven uhly: adams fuge

die mutter ist deutsche, der vater türke. die kinder wachsen anfänglich in deutschland auf. nach der trennung der eltern geht der vater zurück in die türkei und nimmt die vier kinder mit. adam wächst dort auf, geht zur schule, wird später in die türkische armee einberufen und tötet während eines einsatzes im osten des landes einen kurden: wie sich schnell herausstellt ein doppelagent. adam wird zu seiner sicherheit vom türkischen staat mit einem falschen deutschen pass zurück nach deutschland geschickt und erhält einen geheimdienstlichen auftrag.
zurück bei seiner mutter und seinen halbgeschwistern nimmt das schicksal seinen lauf. der versuch, seinen auftrag zu erledigen bringt ihn wiederholt in schwierigkeiten. immer wieder treten andere agenten und geheimdienstler unterschiedlichster provenienz auf, deren aufgaben und herkunft nicht immer genau zuzuordnen ist. immer wieder ist er auf der flucht quer durch deutschland, immer wieder bringt er jemanden um. zum schluss spitzt sich die geschichte zu. eine art befreiungsaktion für den vater, der als geisel genommen worden war, nimmt einen ungewissen ausgang. ist das alles wirklichkeit oder erwacht adam jetzt erst aus einem traum?
ein rasanter und spannender roman der sich permanent zwischen fiktion und realität hin und her bewegt. beim lesen ist es nie ganz klar, was ist wirklichkeit, was ist traum. der autor konfrontiert uns in dieser fugenartig komponierten geschichte mit allen clichés über das verhältnis der türken und deutschen zueinander, macht parallelen zu anderen schwierigen beziehungen zwischen ansässigen und zugewanderten, zwischen verschiedenen ethnien und völkern. die geschichte, so unwahrscheinlich sie daher kommt liest sich wie ein krimi. nur schwer lässt sich das buch weglegen um eine lesepause zu machen.

11.03.2012

arno camenisch: sez ner, hinter dem bahnhof, ustrinkata    (bündner trilogie)

sez ner entführt uns einen sommer lang ins leben auf der alp. klare hierarchische strukturen legen hier fest, was wessen aufgabe ist, wer wann wo zu sein und wer das sagen hat. aus der optik desjenigen, der am unteren ende der rangordnung steht ist die sicht darauf kritisch. nichts wird verklärt. rau und hart wird untereinander und mit den tieren umgegangen. der gleichmässig verlaufende alltag wird nur unterbrochen von ereignissen wie unwettern, verirrten touristen und der alpsegnung durch den pfarrer, in denen die kleine abgeschlossene gemeinschaft der vier aelpler den blicken anderer ausgesetzt wird. hinter dem bahnhof beginnt der rückblick auf eine kindheit im dorf, wo alle alle kennen und alles seine regeln hat. die freiräume der kinder sind gross, sie beobachten und kommentieren das geschehen der teilweise recht skurrilen figuren und ungewöhnlichen begebenheiten. die erinnerungen an eine unbeschwerte jugend steht in starkem gegensatz zu der stimmung in ustrinkata. der letzte abend im helvezia, dem wirtshaus im dorf. eine art endzeitstimmung, viel wird gebechert, unaufhörlich werden bier und wein aufgetischt und ebenso unaufhörlich wird zur zigarette gegriffen. man spürt förmlich die rauchschwaden in der wirtsstube hängen. ereignisse der vergangenheit auferstehen in den diskussionen. die dörfler aus der sicht der erwachsenen sehen etwas anders aus, als die aus der sicht der kinder. alle drei bücher lassen uns am leben in der survelva (bündner oberland) teilnehmen. eine gesellschaft, in der sich über jahrhunderte traditionen erhalten haben, in der die katholische kirche noch immer vieles prägt, eine gesellschaft in der gegenseitige verantwortung und fürsorge ebenso spürbar ist, wie die toleranz denen gegenüber, die nicht ganz so sind, wie die anderen. in einer fast collageartigen erzählweise führt uns arno camenisch in das leben seiner kindheit zurück. die sprache, immer wieder durchsetzt mit rätoromanischen und dialektwörtern, trifft genau, ist spannend und lässt einen teilhaben an bildern und geschichten, die uns sonst nicht so zugänglich erscheinen. alltag, der in ähnlicher form uns allen auch ausserhalb dieser fernen und in sich geschlossenen dorfgemeinschaft bekannt ist. schade, dass nur sez ner in beiden sprachen geschrieben ist. ich habe die rätoromanische version bei den beiden anderen büchern sehr vermisst. il roman sez ner meina nus duront ina stad ella veta dad alp. structuras hierarchicas e claras fixeschen cheu, tgei ch’ ei il pensum da mintgin, tgi che ha dad esser cura nua, e tgi che ha da cumandar. ord l'optica da quel che stat il pli giudem en quei uorden datti ina vesta critica. nuot vegn glorificau, diras e ruhas ein las relaziuns denter ils umens ed era enviers ils animals. il mintgadi varga ruasseivlamein e vegn mo interruts da differents schabetgs. ei dat urezis, turists vegnan giud via, igl augsegner vegn sin viseta per benedir l’alp leu nua ch’ils quatter umens ein exponi allas egliadas dils auters. „hinter dem bahnhof“ entscheiva cun in sguard anavos sin ina affonza el vitg. tuts enconuschan in l’auter e tut funcziunescha suenter las medemas reglas. las libertads dils affons ein grondas. els contemplan e commenteschan ils eveniments bizars e las circumstanzias nunusitadas. las regurdientschas vid ina giuventetgna senza quitaus stattan en in ferm cuntrast cun l’atmosfera en „ustrinkata“. la davosa sera el helvezia, l'ustria dil vitg. en quella atmosfera apocaliptica vegn buiu bia, senza fin vegn surviu vin e gervosa ed ei vegn fimau nuniterrutamein cigarettas. ins senta propi ils nibels da fem che pendan ell’ustria. ord las discussiuns neschan reminiscenzas dil vargau. las opticas dils carschi e quellas dils affons ein differentas. tut ils treis cudischs laian prender part dalla veta en surselva. ina societad che ha manteniu sias tradiziuns duront tschentaners, ina societad che stat sut l'influenza dalla baselgia catolica. la responsablad vicendeivala ed il provediment ein presents, sco era la toleranza enviers quels, ch'ein buc exact sco ils auters. en quels texts en moda da collage meina arno camenisch nus ella veta da sia affonza. il lungatg, ei adina puspei enrihius cun plaids romontschs e plaids da dialects svizzers. sias raquintaziuns ein spir tensiun, tuccan precis, e laian separticipar vid maletgs e raquens, ch'ein per ils lecturs d’ordeifer enconuschents ord il mintgadi e tuttina grev da vegnir vitier. a mi ha ei plaschiu ch’ il roman sez ner ei vegnius screts en dus lungatgs. las versiuns romontschas dils dus cudischs suandonts han muncau a mi.

05.03.2012

charles lewinsky: gerron

kurz vor beginn des 20. jahrhunderts wird kurt gerron in eine zeit geboren, die ihn später zwei kriege erleben lässt. im ersten weltkrieg wird er an der front verwundet, später mit seinem angefangenen medizinstudium in einem lazarett eingesetzt. nach dem krieg wendet er sich seiner wirklichen leidenschaft, der schauspielerei, dem theater und dem film zu und wird damit berühmt. nach der machtergreifung der nationalsozialisten verlässt er – wegen seiner jüdischen abstammung – deutschland und kommt auf umwegen nach amsterdam. nach der besetzung der niederlande ist er auch da nicht mehr sicher, verpasst aber alle fluchtmöglichkeiten nach amerika und wird letztlich ins durchgangslager westerbork verbracht und von dort später zusammen mit seiner frau ins konzentrationslager theresienstadt transportiert. auf anordnung des dortigen lagerkommandanten soll er einen propagandafilm über das schöne leben in theresienstadt drehen. die verweigerung würde seinen tod bedeuten, die zustimmung könnte einigen leuten das leben retten.
dieser roman konfrontiert uns mit den schrecklichkeiten der kriege und der unterdrückung von menschen durch menschen. während wir den hauptprotagonisten durch das ganze buch begleiten, verändert sich seine gesellschaftliche stellung. seine gefühle, sein denken und handeln passen sich den umständen an, seine ethische grundhaltung und sein rechtsempfinden bleiben aber bis zum schluss unverändert. der autor lässt uns an den gedanken der figuren teilnehmen und führt uns so vor augen, warum jeder und jede in extremsituationen dinge zu tun bereit ist, die er oder sie zuvor niemals für möglich gehalten hätte. die sparsame beschreibung von körperlichen uebergriffen und strafen, richtet den blick des lesenden stark auf die psychische gewalt, die teilweise mit sehr wenigen, aber perfiden mitteln an häftlingen und unterdrückten ausgeübt wird.
das buch fusst auf historisch belegten ereignissen. der propagandafilm «theresienstadt, ein dokumentarfilm aus dem jüdischen siedlungsgebiet», von dem noch fragmente existieren, kann unter youtube angeschaut werden. «vieles in diesem roman ist erfunden...» steht im nachsatz, aber vieles hat sich wirklich auch so abgespielt. wir haben alle in den letzten jahrzehnten immer wieder über das dritte reich und den nationalsozialismus gelesen, gehört und gesehen: dieses buch lässt einen betroffen und bestürzt zurück.

11.02.2012

ascanio celestini: schwarzes schaf

nicola, seit 35 jahren in einer psychiatrischen klinik, erzählt von seinem leben dort und beschreibt nebenbei die erschreckenden zustände in dieser anstalt. es wird nie ganz klar, wer hier verrückt ist, wer irre und wer nicht. die entdeckung, dass die pillen gegen die angst nichts nützen, nie genützt haben, führt ihn zum schluss, dass angst gar keine krankheit sein kann. zuletzt verlässt er die anstalt und ist frei.
ein heftiges aber auf seine art auch schönes buch, das auf den etwas mehr als hundert seiten einen blick in die irrenhäuser italiens freigibt. nicht ganz einfach zu lesen. es erfordert viel konzentration, um in den sich wiederholenden ereignissen den ueberblick nicht zu verlieren. ein buch, in dem ich immer wieder zurückblättern musste um vorangegangene passagen erneut zu lesen.

04.02.2012

perihan mağden: ali und ramazan

ramazan hat im waisenhaus eine besondere stellung. er wird vom masslos in ihn verliebten direktor missbraucht und hat dadurch privilegien. als ali ins waisenhaus eintritt, wird aus der anfänglichen freundschaft zu ramazan liebe und sie werden ein unzertrennliches paar; keiner kann mehr ohne den anderen sein. erwachsen geworden müssen sie das waisenhaus verlassen und sehen einer ungewissen zukunft entgegen. der schöne ramazan verdient das geld für beide als stricher. ali leidet darunter und beginnt lösungsmittel zu schnüffeln um seine eifersucht zu ertränken. keiner kann ohne den anderen leben. das auf und ab ihrer liebesbeziehung nimmt immer drastischere formen an und führt in ein katastrophales ende.
eine harte und schonungslose geschichte, umso mehr als dass sie auf einer wahren begebenheit beruht. armut, unterdrückung und gesellschaftliche vorurteile bringen zwei liebenswerte und liebende junge männer an den abgrund ihres seins. der autorin ist es gelungen nur zu beschreiben und nicht zu kommentieren, was das buch so direkt macht und einen der wirklichen geschichte nicht ausweichen lässt. der wechsel zwischen den schönen beschreibungen der liebe der zwei und des schrecklichen alltages in dem sie sich bewegen, lässt einen beim lesen ein wechselbad der gefühle erleben. letzlich bleibt aber kein raum für hoffnung.
ohne den türkischen originaltext lesen zu können, bleibt das gefühl einer unzulänglichen uebersetzung zurück. zu sehr fehlt das ambiente istanbuls, zu sehr ist die umgangssprache der beiden einem deutschen grossstadt-slang nachempfunden.

03.02.2012

per olov enquist: der besuch des leibarztes

der als geisteskrank geltende christian Vll, könig von dänemark, war eigentlich ein schüchterner sensibler und kind gebliebener junger mann. mit 17 jahren wurde er mit seiner fünfzehnjährigen cousine verheiratet. er war weder am regieren noch an seiner ehe wirklich interessiert. am dänischen hof versammelte sich in der zweiten hälfte des 18. jahrhunderts eine sittlich verfallene gesellschaft. unmengen von beamten verwalteten den staat, die hierarchie bestand aus titeln und orden. der leibarzt des königs beginnt – im wissen und einvernehmen mit christian, um nicht zu sagen auf dessen wunsch – ein liebesverhältnis mit der königin und übernimmt auch immer mehr die verantwortung für die regierungsgeschäfte. ausgestattet mit allen vollmachten erlässt er von den französischen aufklärern beeinflusste dekrete und schafft die leibeigenschaft ab. aber seinen gegnern aus dem umfeld der königinwitwe – der stiefmutter des königs – passt das nicht und sie bringen den leibarzt letztlich aufs schafott und die königin ins exil.
eine spannende geschichte, die sich vor mehr als 200 jahren zugetragen hat, als historischer roman genial erzählt. vom anfang bis zum schluss, trotz der vielen figuren, deren persönlichkeiten faszinierend exakt gezeichnet sind, immer übersichtlich und anschaulich. die sprache manchmal sehr direkt und etwas derb, aber klar und unmissverständlich. der roman hält sich stark an die wirklichen historischen ereignisse und wirkt trotzdem keineswegs verstaubt, weil er den heute genau so aktuellen fragen von macht und intrige, bestechung und scheinheiligkeit nachgeht. beim lesen steht man immer auf der seite des königs, den man einfach mögen und gleichzeitig bedauern muss.

27.01.2012

pascal mercier: nachtzug nach lissabon

zufällig trifft raimund gregorius, der lehrer für alte sprachen, auf dem arbeitsweg eine portugiesin, die sich – wie es ihm scheint – von der brücke stürzen will. das verändert sein leben, er verlässt das gymnasium, seinen arbeitsplatz, für kollegen und schüler plötzlich und ohne erklärung und lässt sein bisher wohlgeordnetes leben hinter sich. in der sehnsucht, die das wort „português“ in ihm auslöst, stösst er in einer buchhandlung auf ein philosophisches buch des portugiesischen arztes amadeo inácio de almeida prado. er fährt mit dem nachtzug nach lissabon und geht den spuren des autors nach, trifft auf wegbegleiter, freunde, verwandte, die ihm langsam das leben dieses mannes erschliessen. nach seiner endgültigen rückkehr, fünf wochen später, ist vieles anders.
ein nicht ganz einfach zu lesendes buch. der stetige wechsel zwischen der weitgehend spannenden handlung und den philosophischen betrachtungen des amadeo prado in seinem buch und seinem nachlass von briefen fordert beim lesen aufmerksamkeit und zeit. die handlung kommt streckenweise etwas utopisch und unwahrscheinlich daher. bei seinen nachforschungen trifft er immer gerade auf die richtigen leute, die ihn ohne grossen widerstand, ohne grosse zweifel in ihre häuser und wohnungen einlassen und ihm von ihren erinnerungen berichten, ihm dokumente überlassen und sich ihm gegenüber öffnen, auf eine art, die fremden gegenüber nicht unbedingt die regel ist. auch lernt er mit beinahe atemberaubender geschwindigkeit portugiesisch, eine weitere, eher störende unwahrscheinlichkeit. ein wenig portugiesisch zu verstehen hingegen, macht das lesen leichter, nicht alles ist verständlich übersetzt. das ende des buches lässt alles offen und das erscheint gut so.
nicht nur der schauplatz – portugal, den meisten ein wenig vertrautes land, das sehnsucht und fernweh auslöst – ist gut gewählt, der autor, ein philosophieprofessor, schafft es auch auf eine besondere art, philosophisches zu vermitteln. schon alleine das essay „solidão furiosa – wütende einsamkeit“ lohnt, das ganze buch nicht nur zu lesen, sondern auch zu haben.

15.01.2012

göran tunström: der mondtrinker

nachdem die mutter kurz nach der geburt bei einem vulkanausbruch spurlos verschwunden ist, fällt dem vater die aufgabe der alleinigen erziehung zu. ernsthaft und verantwortungsvoll umsorgt er seinen sohn, lässt ihm eine einzigartige erziehung angedeihen, während er selbst – als nachrichtensprecher und damit öffentliche person – ein nicht immer einfaches leben führt. sein sohn verlässt ihn als student und kehrt nach jahrelanger trennung erst viel später zurück ins dorf.
sein rückblick auf kindheit und jugend und die beziehung zum vater kommt in unterschiedlich langen texten daher. es ist nicht ganz einfach sich in diese collageartige abfolge von erinnerungen einzulesen. die zeitlichen sprünge und die wechselnden orte der handlung haben etwas abruptes. die einzelnen sequenzen beschreiben dichte und emotional schöne momente, die zunächst etwas isoliert da stehen. erst gegen den schluss, als die verhältnisse sich ändern, der vater abhängig und bedürftig wird, erschliesst sich die geschichte dem leser, der leserin vollständig.
nicht ein buch, dass sich als schöner roman einfach von vorne nach hinten lesen lässt. ein schönes buch, das viel konzentration und ruhe zum lesen braucht.

08.01.2012

jonas jonasson: der hundertjährige, der aus dem fenster stieg und verschwand

was haben stalin, truman und mao tse tung gemeinsam? jeder sass schon einmal mit dem hundertjährigen zu tisch. dies ist nur ein detail dieser phantasievoll erzählten geschichte, in der die unwahrscheinlichkeiten sich die hand reichen und sich zu einem spannenden fiktiven roman finden.
an seinem hundertsten geburtstag flüchtet allan karlson – beneidenswert rüstig und geistig vital – aus dem fenster seines zimmers im altersheim, um der für ihn ausgerichteten feier zu entgehen. am busbahnhof passt er kurz auf den koffer eines anderen reisenden auf, schon kommt sein bus und da er auf der flucht ist, gilt es keine zeit zu verlieren, also nimmt er den koffer mit. darin befinden sich, wie sich später herausstellt, 50 millionen kronen in banknoten, was der flucht- und verfolgungsgeschichte einen ganz anderen schub gibt. nicht nur polizei und sozialbehörden sondern auch die drogenmafia sind nun hinter ihm her.
neben der aktuellen handlung, geben andere kapitel dazwischen einen detaillierten rückblick auf des hundertjährigen leben, in dem er rund um den globus immer wieder in aussergewöhnliche situationen gerät. dies kommt genau so utopisch daher.
ein buch, das von der ersten bis zur letzten seite spannend und lustig ist. die brillant in reale geschichtliche ereignisse eingebettete fiktion ist nie kitschig und geht gerecht mit allen darin vorkommenden personen um. ihre unwahrscheinlichkeit kommt extrem real daher.

02.01.2012

christoph keller: alamor drei tage

als ehefrau des direktors einer schweizerischen firma, lebt barbara kaltbrunner nun in lima. sie hat zwei kinder, eine hausangestellte, einen chauffeur und verbringt ein offensichtlich relativ langweiliges leben in einem der besser situierten quartiere der peruanischen hauptstadt. empfänge, repräsentationspflichten und cocktailpartys liegen der ehemaligen schuhverkäuferin nicht; launisch und unberechenbar wird ihre stimmungslage. nur der gegenüber wohnende general – ein minister der gegenwärtigen regierung – weckt ihr fortdauerndes und beständiges interesse. ein putsch spült die regierung weg und enthebt damit auch den general seiner funktion. die etwas abenteuerliche geschichte über das dreitägige verschwinden barbaras lässt offen, ob sie wirklich mit dem general nach alamor unterwegs oder sonst abgetaucht war.
die ganze geschichte wird von einem vom sohn beauftragten chronisten erzählt. alte dokumente und die aussagen der ehemaligen bediensteten lassen nicht nur ein bild über das leben der señora entstehen sondern beschreiben auch die verhältnisse und den alltag der späten sechziger jahre in lima.
ein faszinierendes buch, das sich mit der sozialen ungerechtigkeit und der politischen realität perus von einer unerwarteten seite nähert. eine bestechend schöne sprache zeichnet den roman ganz besonders aus.