29.12.2020

alexander osang: das leben der elena silber

viktor krasnow wird zu beginn des 20. jahrhunderts als revolutionär von den zaristischen garden hingerichtet. er hinterlässt seine frau und zwei töchter. die eine, jelena, heiratet später den deutschen ingenieur robert silber, der in die junge sowjetunion gekommen ist, um die produktion in der dortigen textilfabrik zu leiten. unter stalins herrschaft wird die politische lage schwierig: sie fliehen 1936 nach berlin und finden von dort zurück in roberts heimat schlesien. während des krieges ist robert – jetzt mitglied der nsdap – oft abwesend, in den nachkriegswirren verschwindet er ganz. jelena zieht nach berlin und muss ihre vier töchter alleine durchbringen. viele jahre später geht ihr enkel konstantin der familiengeschichte nach und fragt sich, ob sich alles so zugetragen hat, wie seine grossmutter es erzählt.
eine grosse familiensaga über ein jahrhundert tut sich beim lesen auf. realistisch und in sich stimmig ist die weitverzweigte geschichte leicht zu lesen. bestechend ist die immer wieder auftauchende fragestellung über vertrauen und misstrauen in all diesen wechselnden gesellschaftsordnungen. sie ist eine wichtige konstante in diesem spannend geschriebenen roman, der durchaus das zeug zu einem zeitdokument hat.

24.12.2020

alina bronsky: die schärfsten gerichte der tatarischen küche

rosalinda hat den eindruck, sie sei viel zu jung um schon grossmutter zu werden, und ihre tochter sulfia hält sie für völlig ungeeignet als mutter. aber die geburt ihrer enkelin ändert alles. die grossmütterlichen gefühle erwachen stark und rosalinda versucht alles, damit ihre familie zu glück und wohlstand kommt. mit ungebrochener energie und oft zweifelhaften mitteln verfolgt sie das ziel des wegzugs aus der zerfallenden sowjetunion nach deutschland, dem vermeintlichen land, wo milch und honig fliessen.
obgleich es der geschichte nicht an bösartigkeit und zynismus fehlt, findet sich darin im grund viel wahres über die menschlichen regungen in verzweifelten situationen. die dichte und rasante handlung ist politsch nicht immer ganz korrekt und dürfte auch frauenrechtlerinnen aufstöhnen lassen. aber der blick auf die lebenssituation russischer migrantinnen in deutschland ist nicht nur satire, sondern beleuchtet un­ge­schminkt wahrheiten, über die oft weggesehen wird.


19.12.2020

john irving: letzte nacht in twisted river

in einem holzfällercamp im norden new hampshires arbeitet dominic als koch. seine frau rosie ist vor vielen jahren ertrunken, als sein sohn daniel erst zwei jahre alt gewesen ist. jane, die geliebte des orts-sheriffs, ist als tellerwäscherin angestellt. mit dominic hat sie ein verhältnis, für daniel bedeutet sie etwas wie mutterersatz. eines nachts meint daniel, sein vater sei von einem bären angegriffen worden und erschlägt im dunkeln jane in einer fatalen verwechslung. vater und sohn bleibt nur die flucht, weil sie die vergeltung fürchten, zunächst nach boston, später nach kanada. doch der sheriff sinnt auch nach jahrzehnten noch auf rache.
die vielschichtige und abenteuerliche geschichte zieht sich über ein halbes jahrhundert und über drei generationen hin. es ist auch eine geschichte von alleinerziehenden vätern, deren liebe und sorge ihren söhnen gilt. trotz der vielen schauplätze, einer ausschweifenden handlungsführung und der vielen zeitlichen rückblenden bleibt der roman spannend und übersichtlich. beeindruckend sind die gut gezeichneten charaktere und die immer wieder unerwarteten wendungen der handlung. von den vielen verschiedenen personen hätte ich nach ihrem teilweise sang- und klanglosen verschwinden gerne mehr gewusst. schade auch, dass das rollenbild von mann und frau während dieser fünfzig jahre keine wirkliche entwicklung erfährt. aber insgesamt ist es einfach ein gutes und unterhaltendes buch, das auch eine politische botschaft zu vermitteln vermag.

10.12.2020

salim bachi: villa kahena

zu beginn des 20. jahrhunderts kommt der malteser louis bergagna nach kirtha, einer fiktiven algerischen stadt. mit unlauteren geschäften macht er ein vermögen und kauft viel land auf. von einer abenteuerlichen reise in die französische kolonie cayenne kommt er in begleitung von zwei männern zurück, die er dort als gefangene befreit hat und die fortan seine ergebenen bediensteten sind. mit ihnen zusammen baut er diese villa mit blick über die ganze stadt, lässt sich zum bürgermeister wählen und heiratet später eine junge französin. daneben hat er ein verhältnis mit einer araberin. mit beiden frauen hat er je eine tochter. in den 1960er-jahren tobt der kampf um algeriens unabhängigkeit, in dessen wirren bergagna ums leben kommt. nach seinem tod geht die villa in den besitz von hâmid kâïms vater über. während dreier nächte, die hâmid kâïm und seine geliebte sâmira in der schon länger leer stehenden villa kahena verbringen, erzählt er ihr die geschichte dieses hauses.
ein komplexer roman, der auf verschiedenen ebenen spielt, die alle irgendwie miteinander zusammen­hängen, und der vor dem hintergrund der kolonialisierung und befreiung algeriens handelt. eine stärke des textes sind die immer wieder nur mit wenigen sätzen beschriebenen nuancen der zwischenmenschlichen beziehungen. mit den bildhaften beschreibungen der lebensbedingungen der verschiedenen sozialen schichten wird das buch auch zu einem zeitdokument.

05.12.2020

joachim b. schmidt: kalmann

raufarhöfn ist ein aussterbendes dorf an der isländischen nordküste. hier lebt kalmann óðinsson, eine art dorforiginal. er ist der selbsternannte sheriff des dorfes und sorgt dafür, dass alles seine ordnung hat. sein grossvater brachte ihm alles über die jagd und den haifischfang bei, also alles, was man zum leben hier braucht. in der schule war er damals wie man heute sagen würde — eher leistungsschwach. das wohlgeordnete und beschauliche leben findet ein abruptes ende, als kalmann auf der jagd, kurz nach dem verschwinden des besitzers des einzigen hotels im dorf, auf eine grosse blutlache im schnee stösst. eine kommissarin aus reykjavik beginnt mit der untersuchung des falls und verhört kalmann, was ihn sehr nervös macht. eine ganze spezialeinheit der polizei fällt ins dorf ein und bringt viel unruhe mit. aber irgendwie schafft es kalmann nicht zuletzt dank seinem mut, aber auch seiner naivität und ehrlichkeit aus der ganzen sache beinahe als held herauszukommen.
eine phantastische handlung und die plastische beschreibung isländischen lebens, vor allem aber diese einzigartig facettenreiche und präzise annäherung an einen menschen, der trotz gewissen defiziten seinen platz in der gesellschaft gefunden hat, sind die grosse stärke dieses romans. mit der liebevollen und subtilen beschreibung von kalmanns emotionen, seiner wut, seiner sehnsüchte und unerfüllten wünsche, aber auch seiner abhängigkeiten und missgeschicke versteht der autor ihn würdevoll darzustellen. geschickt wird die ganze geschichte aus der perspektive des hauptprotagonisten erzählt und lässt einen so beim lesen immer auf dessen seite stehen. daneben kreuzen die teils kauzigen dorfbewohnerinnen und -bewohner auf unterschiedliche art und weise den weg kalmanns. trotz der immer präsenten kriminellen handlung, die ein kaum erwartetes ende findet, steht kalmann, sein leben und handeln im vordergrund. das buch ist ein weises und grosses lesevergnügen und setzt menschen, die etwas am rand stehen, ein denkmal.

01.12.2020

philippe djian: sirenen

nathan ist polizist und steht zwischen drei frauen. chris, seine ex-ehefrau ist in einer gruppe von globalisierungsgegnern aktiv, marie-jo ist seine arbeitskollegin und dann bahnt sich noch etwas mit paula an, einem gutbezahlten mannequin. als die tochter eines reichen industriellen umgebracht wird, erwartet nathans chef von ihm eine schnelle und zuverlässige aufklärung des mordes. die ermittlungen enden ebenso in einem fiasko wie seine beziehungsgeschichten. nathan steht zwischen allen fronten und merkt, so kann es nicht weitergehen: er muss sein leben in ordnung bringen. dies gelingt ihm aber bis zum schluss nicht wirklich
nach einem schwierigen und unübersichtlichen einstieg beginnt man sich in der handlung zurechtzufinden. das buch ist eine mischung aus gesellschaftskritik, krimi und völlig unerotischem erotikroman. eine dichte folge von bettgeschichten und wüste, teilweise gewalttätige sexszenen unterbrechen dauernd die ermittlungen, so dass man am schluss etwas ratlos auf der letzten seite ankommt.

23.11.2020

andreas maier: die familie

mutter, vater und drei kinder, von denen der autor das jüngste ist, haben sehr unterschiedliche vorstellungen vom leben und sehr verschiedene erwartungen und ziele, über die sie aber kaum reden. sie gehören zu den angesehenen familien im ort und leben auf einem grossen grundstück um das es erbstreitigkeiten gibt. auch liegt im dunkeln, wie dieses anwesen in ihren besitz kam.
was für eine treffende und ausgezeichnete beschreibung der verhältnisse in dieser familie in der nachkriegszeit. mit einer akribischen genauigkeit für stimmungen und unausgesprochene dinge lässt der autor die familiengeschichte auferstehen. und nicht zuletzt dreht es sich um die lange tabuisierte frage, wer welche rolle während der zeit des nationalsozialismus gespielt hat. leicht ist es zu lesen, dieses ernste und tiefgründige buch.

21.11.2020

sven regener: herr lehmann

frank lehmann lebt seit jahren in berlin kreuzberg, arbeitet in verschiedenen kneipen und führt ein bescheidenes leben ohne persönliche ambitionen. eigentlich ist er ganz zufrieden, kommt mit den widrigkeiten des alltags gut zurecht und hält alles etwas auf distanz, was seine eigene trägheit stören könnte. als er sich in katrin verliebt, bringt dies seinen bisherigen rhythmus durcheinander. auch der angekündigte besuch seiner eltern aus westdeutschland bringt schwierige tage. und es kommen noch mehr ereignisse, die das leben des herrn lehmann ziemlich aus der gewohnten bahn bringen.
der roman ist der erste teil einer trilogie und handelt von ein paar menschen, die in kreuzberg in ziemlich prekären verhältnissen leben. mit einer virtuosen schnodderigkeit wird hier vom alltag in westberlin kurz vor dem mauerfall berichtet. streckenweise amüsant zu lesen, lebt die geschichte vor allem von immer wieder neuen ereignissen, während die vorhergegangenen oft keinen wirklichen abschluss finden.

14.11.2020

siri hustvedt: damals

eine junge frau zieht aus minnesota nach new york, wo sie ein kleines appartement in einem etwas heruntergekommenen viertel bezieht. ihr ziel ist es, hier ihren ersten kriminalroman zu schreiben. zugleich ist sie – aus der provinz kommend – fasziniert vom leben in dieser pulsierenden metropole. zuhause hört sie durch die dünnen wände den überspannten und rätselhaften monologen ihrer nachbarin lucy zu und macht sich ein bild von ihr. eines nachts taucht lucy in einer bedrohlichen situation als retterin in ihrer wohnung auf. so lernen sich die beiden kennen und viele fragen beginnen sich zu klären.
das vielschichtige buch mit verschiedenen parallelen handlungssträngen erfordert viel konzentration. trotz deren grafisch unterschiedlicher darstellung bleibt es ein schwieriges lesen. wunderbare und stimmige kapitel wechseln mit eher schwierig zu verstehenden ab. der text der starken haupthandlung mit aspekten der frauenbefreiung, verliert sich später in spiritismus und hexenzauber. die ausschnitte aus dem entstehenden krimi bleiben eher blass. so mag der roman nicht immer die spannung zu halten, kommt manchmal etwas skurril daher und bleibt für mich einfach etwas unverständlich.

02.11.2020

josef haslinger: phi phi island

als familie haslinger zu ihren weihnachtsferien nach thailand aufbricht, ahnt niemand, was ihnen bevorsteht. keine zwei tage sind sie in ihrem hotel, bricht der tsunami über die küste herein und bringt tod und verwüstung. auch sie müssen um ihr leben rennen, werden aber von den fluten erwischt und weggespült. im ersten moment wissen weder die eltern noch die kinder über den verbleib der anderen. gross ist die erleichterung und das glücksgefühl, als sich alle – zwar verletzt – wiederfinden. in den ersten tagen danach sind die ueberlebenden aufs existenzielle reduziert, ein unvorstellbares grauen wird schnell sichtbar. erst langsam läuft hilfe an und eine heimreise wird nach tagen grosser ungewissheit möglich. im jahr darauf besuchen die eltern phi phi island erneut, um zu versuchen ihre erlebnisse aufzuarbeiten.
selten habe ich ein buch gelesen, das aus persönlicher betroffenheit entstanden ist und mit so grosser sachlichkeit über ein menschliches drama berichtet. die beschreibung ist eindrücklich, enorm packend und vermittelt auch so viele jahre danach mehr als alle damaligen fernsehbilder. die parallele führung der beiden ein jahr auseinanderliegender zeitebenen im text lässt die ereignisse zwischen unmittelbarkeit und etwas distanzierter betrachtung aufleben. bald 16 jahre nach dieser grossen naturkatastrophe ist dieser exemplarische bericht noch immer aktuell und zeigt nicht zuletzt auch auf, wie die davongekommenen für den rest ihres lebens etwas davon mit sich tragen.

30.10.2020

simone lappert: wurfschatten

die junge schauspielerin ada leidet unter einer angststörung, die ihr das alleinesein beinahe verunmöglicht und sie nachts kaum schlafen lässt. mit komplizierten ritualen versucht sie zur ruhe zu kommen. auch wirtschaftlich geht es ihr nicht besonders gut. wegen ihrer mietrückstände setzt ihr der vermieter seinen enkel als mitbewohner in ihre wohnung. was sie zunächst als eingriff in ihre privatsphäre und zumutung erlebt, entwickelt sich zu einer liebesgeschichte, die sie auch von ihren zwängen zu befreien beginnt.
schon allein die eindrückliche beschreibung dieser angststörung lohnt die lektüre dieses buches. mit wenigen worten erreicht die autorin eine beachtliche dichte in text und handlung. diese beinahe unwahrscheinliche geschichte kommt so wahrscheinlich und authentisch daher, dass sie einen völlig gefangen nimmt.

24.10.2020

gaito gasdanow: nächtliche wege

als russischer emigrant verdient sich der erzähler in den 1930-jahren sein geld als taxifahrer in paris. jede nacht ist er unterwegs, begegnet zuhältern, betrügern, prostituierten, alkoholikern, clochards und andern nachtaktiven menschen. er lernt deren schicksale näher kennen und wird vertrauter dreier frauen aus dem rotlichtmilieu.
mit seiner treffenden beschreibung zeichnet er ein nächtliches kaleidoskop der französischen hauptstadt jener zeit. armut und reichtum, freundschaft und einsamkeit, gewalt und gerechtigkeit, misstrauen und zugewandtheit sind die zentralen themen dieses nicht leicht zu lesenden textes. die erforderliche konzentration, um diesem zeitdokument zu folgen, lohnt sich aber sehr.

18.10.2020

julian barnes: die einzige geschichte

im tennisclub einer wohnsiedlung lernt der 19-jährige paul die dreissig jahre ältere susan kennen, was bald in eine liebesbeziehung mündet. susan ist verheiratet und hat schon zwei erwachsene töchter. für ihn ist sie die frau fürs leben, der seine erste grosse liebe gilt. nach einigen jahren verlässt susan ihren mann und zieht mit paul zusammen, aber ihr gemeinsames leben wird schwierig und ihre beziehung scheitert. für den immer noch jungen paul ist diese erste liebe prägend und bestimmt während des ganzen restlichen lebens sein verhältnis zu anderen frauen.
die eigentlich profane geschichte wird zur genialen grundlage eines psychogramms einer ungleichen partnerschaft. die präzise und treffend beschriebenen abgründe dieser liebe faszinieren ebenso, wie die tiefgründige auseinandersetzung, mit der paul gegen ende des buches sein leben und handeln reflektiert.

11.10.2020

ljudmila ulitzkaja: jakobsleiter

nach dem tod ihrer grossmutter marjussa erbt nora eine truhe, in der sie den reichen briefwechsel ihrer grosseltern und notizbücher ihres grossvaters jakow findet. schon früh musste das paar trennungen erleben, zunächst im ersten weltkrieg, als jakow in die armee eingezogen und später, als er wegen kritischer aeusserungen nach sibirien verbannt wurde. nora selbst erlebt als bühnenbildnerin und dramaturgin das ende der sowjetunion und führt eine unstete beziehung mit einem verheirateten regisseur. ihr erster mann, ein mathematiker zieht nach new york, wohin sie auch ihren gemeinsamen sohn jurik bringt, weil ihm die gefahr droht in die armee eingezogen und in den tschetschenienkrieg geschickt zu werden. später holt sie ihren inzwischen heroinabhängigen sohn zurück, um ihn in moskau therapieren zu lassen.
es ist nicht ganz einfach, diese weitläufige geschichte zu lesen, die sich auf das leben von zwei verschiedenen generationen konzentriert, die beide in zeiten eines grossen umbruchs leben. die grosseltern zur zeit der oktoberrevolution und den daraus folgenden veränderungen, nora zur zeit der perestroika. während die wiedergabe des briefwechsels oft etwas langfädig daher kommt, wirkt die handlung der aktuellen geschichte spannend, wenngleich sie sprachlich etwas oberflächlich und plakativ bleibt. der interessante geschichtliche hintergrund wird nur in zusammenhängen angedeutet und erfordert eine gewisse kenntnis der politischen ereignisse. nach langem durchhalten kann man sich aber auf einen gelungenen schluss freuen.

29.09.2020

saša stanišić: herkunft

während des jugoslawienkrieges kommt der autor als 14-jähriger mit seinen eltern auf der flucht nach deutschland. nichts ist mehr, wie es war. nach dem anfänglichen aufenthalt in einem flüchtlingsheim wohnt seine familie später in einem sozial eher schwachen viertel heidelbergs. der treff der jugendlichen unterschiedlichster herkunft ist eine tankstelle. hier findet er freunde. lange dauert die unsicherheit, ob seine familie in deutschland bleiben darf. zurückgeblieben in der alten heimat ist die grossmutter, die er später immer wieder besucht. seine reisen dahin führen ihn in sein herkunftsland, in dem ein krieg das selbstverständliche zusammenleben der menschen zu einem komplizierten konfliktfeld hat werden lassen.
selten habe ich ein so einzigartiges buch, voll von starken texten gelesen, die stimmungen, gefühlslagen und realitäten aus der sicht eines jugendlichen beschreiben, dessen leben eine totale wende nimmt. die autobiografisch geprägten kapitel geben unablässig eine neue sicht auf die vielgestaltigen probleme, die eine solche flucht nach sich zieht. konsequent ausschliesslich beschreibend und nie wertend gelingt es dem autor – ohne humor und zuversicht zu verlieren – einen kritischen blick auf das geschehen zu werfen. die auseinandersetzung mit seiner herkunft ist nicht nur sehr berührend, sondern hat etwas wegweisendes. und, wie er das buch zu ende führt, ist eine nicht ganz einfache, aber gelungene ueberraschung.

22.09.2020

andré aciman: damals in alexandria

in der ägyptischen stadt alexandria, wo vertreter aller religionen nebeneinander leben, verbringt der autor die kindheit in seiner jüdischen grossfamilie. aus dieser perspektive schreibt er über das leben in den 1950er jahren. als wohlhabende leute führen seine tanten und onkel ein leben mit bediensteten – im winter in der stadt, im sommer am meer – und nehmen am damaligen gesellschaftlichen leben teil, das sich an europäischen vorbildern orientiert. mit dem suezkrieg und der machtergreifung nassers ändert sich vieles, bis seine familie 1965 das land verlassen muss und nach italien übersiedelt.
dieses unterhaltsame und erfrischende buch vermittelt nicht nur ein stück familiengeschichte, sondern widerspiegelt auch das damalige leben in dieser nordafrikanischen stadt. fasziniert bin ich vor allem von der bildhaften darstellung der charaktere und den humorvollen, anekdotenhaften ereignissen, die einen immer wieder schmunzeln lassen. auch die komplexe und trotzdem leicht zu lesende sprache hinterlässt einen nachhaltigen eindruck.

15.09.2020

kent haruf: unsere seelen bei nacht

addie, eine 70-jährige witwe lebt in einer kleinstadt in colorado. zwei häuser weiter lebt der etwa gleichaltrige louis, der auch verwitwet ist. eines tages klingelt sie bei ihm und fragt ihn, ob er nicht hin und wieder bei ihr übernachten könne. nach einer kurzen bedenkzeit sagt louis zu. in der nacht nebeneinander liegend erzählen sie sich aus ihrem leben und werden freunde. aber das ganze bleibt nicht unbemerkt und gibt zu reden im ort.
ein text über freiheit, die man hat, wenn man sie sich nimmt. zwei erwachsene, ältere menschen, die nichts unrechtes tun, kommen trotzdem ins gerede. ein exemplarisches beispiel wie hypothesen und vermutungen zu falschen wahrheiten werden. das aktuelle und komplexe thema des selbstbestimmten alterns wird in dieser eigentlich braven geschichte treffend erarbeitet.

10.09.2020

robert seethaler: der letzte satz

gustav mahler, der schon zu lebzeiten berühmte komponist und dirigent, ist auf seiner letzten reise von amerika nach europa. an deck des schiffes blickt er hinaus auf den ozean, schaut auf sein leben zurück und erinnert sich an viele entscheidende oder berührende momente. nur der schiffsjunge, der für ihn sorgt und ihn bedient, ist sein zeitweiliger kurzer gesprächspartner, sonst bleibt er allein.
der autor setzt mahler ein ganz besonderes denkmal. in diesem wunderbaren buch beschreibt er subtil und gefühlvoll die gedanken und empfindungen eines mannes, der das ende seines lebens nahen sieht.

30.08.2020

joana osman: am boden des himmels

malek, ein junger palästinenser, hat die besondere fähigkeit, allein durch seine anwesenheit, menschen, die sich hassen, dazu zu bringen, sich gegenseitig in die augen zu sehen und in friedlicher absicht aufeinander zuzugehen. irgendwie ist es den israelischen sicherheitskräften unheimlich, sie wähnen einen verdeckten terroristen und bringen ihn ins gefängnis. aber für die menschen, denen er begegnet, ist er ein engel. so wird er zu einem mythos: der kampf um seine befreiung beginnt. die journalistin layla, selbst palästinenserin, will die wahrheit finden und schreibt eine reportage über diesen engel. gleichzeitig verliebt sie sich in einen israeli. da dies eigentlich nicht geht, kämpft sie lange gegen ihre gefühle.
es ist wie eine art märchenbuch mit wundern und nicht erklärbaren erscheinungen. weniger märchenhaft ist die schonungslose schilderung des wahnsinns des israelischen alltags und der jüdisch-palästinensischen konflikte. zwischen wunderbaren sonnenuntergängen am meer und bomben­anschlägen leben die menschen in permanenter spannung und unsicherheit. die autorin entwickelt in diesem umfeld eine geschichte, die etwas unwirkliches, aber auch etwas schönes und versöhnliches hat. der eigenartige aber gelungene roman hat eine tiefe friedensbotschaft.

23.08.2020

francesca melandri: alle, ausser mir

ilaria ist vierzig und lehrerin in einer staatlichen schule in rom. als sie eines tages nach hause kommt, sitzt ein junger flüchtling aus aethiopien vor ihrer wohnungstüre und behauptet, mit ihr verwandt zu sein. laut seinem ausweis ist sein name auch der name ihres vaters. nachdem sie ihn in ihrer wohnung aufgenommen hat, beginnt sie gemeinsam mit ihrem halbbruder atilio nachforschungen anzustellen. ihren vater können sie nicht mehr fragen, seine demenz lässt kaum erinnerungen zu. doch entdecken sie, dass ihr vater in den 1930er-jahren als militär im damaligen italienisch-ostafrika stationiert war. der blick auf eine weit verzweigte familie und auf die kolonialzeit italiens tut sich auf.
mit einer spannenden und breit angelegten familiengeschichte, die sich über mehrere generationen hinzieht, wird hier nicht nur ein stück neuerer italienischer geschichte, sondern auch der heutige umgang damit präsentiert. drastisch und schonungslos erfährt man von den gräueltaten der faschisten an der afrikanischen bevölkerung. auf kosten der detailgetreuen beschreibung kolonialen wirkens verliert der roman zeitweise etwas an spannung und fordert einem beim lesen einiges an geduld ab. geschickt wechselt die autorin zwischen realität und fiktion, zwischen der vergangenheit und der gegenwart und bringt einen immer wieder zurück ins aktuelle geschehen. verbandelungen innerhalb der familie, abhängigkeiten und klientelismus sind ebenso realistisch dargestellt wie die untergeordnete rolle der frauen bis zum heutigen tag. leider verliert die zentrale handlung zunnehmend an bedeutung und verkommt beinahe zum nebenschauplatz.

14.08.2020

christoph poschenrieder: das sandkorn

ein mann streut kleine portionen sand auf die strassen in berlin. dieses an sich harmlose verhalten ist während der kriegszeit verdächtig. so beginnt eine polizeiliche untersuchung und jacob tolmeyn wird einem kommissar vorgeführt, der ihn bald eines mordes verdächtigt. eigentlich lebt jacob aber in rom und arbeitet am königlich preussisch historischen institut, für das er in süditalien alte ruinen ausmisst und fotografiert. begleitet wird er von seinem assistenten beat und von letizia, die ihm die italienischen behörden als eine art ueberwachungsperson zur seite gestellt haben. letizia verfolgt aber ganz andere ziele. auf der gemeinsamen exkursion entwickelt sich eine komplizierte beziehungsgeschichte zwischen der frau und den zwei männern.
kaum beginnt man zu lesen, ist man schon tief in die stimmung des beginnenden 20. jahrhunderts eingetaucht. ein von regeln, autoritäten und tabus bestimmter alltag leitet das verhalten der menschen. wunderbar treffend und leicht beschreibt der autor die eifersüchte, animositäten und sehnsüchte der drei. jedes der im verlauf der geschichte auftauchende rätselhafte ereignis findet bis zum schluss seine auflösung.

08.08.2020

milena moser: land der söhne

sofia lebt in los angeles und wächst wohlbehütet bei zwei vätern auf: santi, dem sie irgendwie mehr zugetan ist, weil er der weniger strenge und lebenslustigere ist, und giovanni, der giò genannt wird, der eher intellektuelle und in sich gekehrte. giò ist der sohn von luigi, der als kind mit seiner mutter nach amerika ausgewandert ist. drei sehr unterschiedliche kindheits- und jugendjahre von luigi, giò und sofia sind das gerüst dieser etwas komplizierten familiengeschichte. während luigi, in einer internatsschule ist, in der aus jungen «richtige männer» werden sollen, wächst giò mehr oder weniger auf sich selbst gestellt in einer hippie-kommune auf, die sich auf dem land eines indianerstammes befindet. seine drogen konsumierende mutter überlässt ihn sich selbst. eines tages nimmt giò seine tochter auf eine reise an den ort mit, wo er aufgewachsen ist, weil er dort nicht nur seine mutter treffen, sondern auch ein erbe antreten will.
eine sehr eigenwillige geschichte, die etwas viele elemente in sich vereinigt. die gegenüberstellung der drei unterschiedlich verlaufenden jugendjahre mit der jeweils schwierigen suche nach orientierung ist das zentrale thema. soweit, so gut. aber es wird einfach zu viel in diesen text verpackt. so sind die zustände in der kommune etwas sehr überzeichnet und auch die andeutungen pädophilen verlangens des schulleiters dienen dem verlauf der geschichte nicht wirklich. die indianer spielen eine etwas eigenartige, zuweilen auch unwahrscheinliche rolle. das buch hinterlässt ein zwiespältiges gefühl, es liest sich zwar flüssig, aber bleibt trotz allen problemstellungen irgendwie an der oberfläche.


27.07.2020

jens steiner: mein leben als hoffnungsträger

philipp hat seine lehre abgebrochen und ist aus seiner wohngemeinschaft rausgeflogen. uwe, der leiter eines recyclinghofs wird auf ihn aufmerksam, als er ihn stanniolpapier von der strasse aufsammeln sieht. er stellt ihn als neuen mitarbeiter und hoffnungsträger an. die beiden anderen mitarbeiter, joão und alberto, verfolgen am arbeitsplatz mit ihren nebengeschäften andere ziele. als eines der nicht ganz legalen geschäfte joãos schief zu gehen beginnt, wird gemeinsam alles mobilisiert, um solidarisch ein fiasko abzuwenden.
die geschichte berichtet vom etwas schwierigen leben des jungen philipp und könnte damit fast als jugendroman durchgehen. neben menschlichen aspekten, findet – leider etwas zu wenig – eine kritisch-humoristische auseinandersetzung mit der wegwerfmentalität der heutigen gesellschaft statt.

24.07.2020

joël dicker: das verschwinden der stephanie mailer

die ganze geschichte handelt in einem kleinen ort ausserhalb von new york an der ostküste der usa. nachdem vor zwanzig jahren eine grauenhafte bluttat aufgeklärt schien, beginnt die journalistin stephanie mailer, diesem gewaltverbrechen erneut nachzuforschen. sie behauptet, die damaligen ermittler, zwei junge beamte der state police, hätten sich getäuscht. kurz darauf verschwindet die junge journalistin. die beiden polizisten, die damals den täter überführt hatten, beginnen den fall wieder aufzurollen. die örtliche polizei ist wenig begeistert davon, aber anna, eine neue kollegin vor ort arbeitet mit ihnen zusammen. neue und überraschende erkenntnisse und ein paar weitere morde führen zum wirklichen täter, der noch im ort lebt.
die vielfältige und verschlungene handlung geht weit über einen kriminalroman hinaus. während das verbrechen langsam aufklärt wird, blickt man auf das leben und die politischen machtverhältnisse in diesem städtchen und erfährt viel über die beziehungsabgründe, die sich hinter den fassaden der schmucken häuser mit akkurat gepflegten vorgärten verbergen. die treffende beschreibung der strukturellen probleme der örtlichen polizei könnte aktueller nicht sein. faszinierend ist auch die darstellung, wie die persönlichen lebenserfahrungen der menschen den verlauf der geschichte beeinflussen. erst ganz zum schluss führt der autor die indizien überraschend zusammen und schafft damit einen roman, der richtig süchtig macht und in einem zug gelesen werden will.

19.07.2020

romana ganzoni: tod in genua

die angehende opernsängerin nina und der mathematikstudent paul treffen sich zufällig an der universität. beide lesen sie gerade das gleiche buch. so kommen sie ins gespräch und ihre beziehung beginnt. er nimmt sie ein erstes mal mit nach genua zu seiner legendären tante matilde, die den beiden ihren segen zur heirat gibt. sieben jahre später fahren sie zur beerdigung von matilde, die wohlhabend und lange schon verwitwet, gestorben ist. während dieser tage stellen sich existenzielle fragen über pauls und ninas ungewollt kinderlos gebliebene beziehung.
um es gleich vorweg zu nehmen: das buch hat mich nicht erreicht. zu sehr stehen die haltung gegenüber sozial schwächeren menschen und die insignien von wohlstand und reichtum im vordergrund, als dass das zentrale thema der kinderlosigkeit dieses paares zum tragen käme. insgesamt eine etwas seltsam angelegte geschichte, die durch ortsbeschreibungen der stadt durchaus lust machen könnten nach genua zu reisen. die passagen über den g8-gipfel und die eingestürzte morandi-brücke wirken eher verloren.

15.07.2020

james baldwin: nach der flut das feuer

in form eines briefes an seinen neffen berichtet james baldwin von seinen eigenen erfahrungen und seinen erkenntnissen über das leben der schwarzen in den vereinigten staaten. zum ersten mal widerfährt ihm ein uebergriff weisser polizisten im zehnten lebensjahr, er sieht seine altersgenossen in drogen- und alkoholkonsum abstürzen und er findet zunächst über seinen glauben und die aktivitäten in der kirche halt. er braucht einen enormen willen, seinen weg zu gehen. hundert jahre nach der abschaffung der sklaverei ist die gesellschaft noch weit entfernt von der gleichberechtigung. er beschreibt, wie jedes schwarze kind bereits früh realisieren muss, wo sein platz sein wird und welchen einfluss dies auf das zukünftige leben haben kann.
dieser visionäre text ist bald 60 jahre alt und hat nichts von seiner aktualität verloren. james baldwin beschreibt nicht nur die immer noch massive benachteiligung der schwarzen sondern analysiert auch präzis und schonungslos die haltung und das denken der weissen. er entwirft aber keine anklage nach einem schwarz-weiss-schema, sondern zeigt auf, wie tief alle – weisse wie schwarze – in diesen mustern gefangen sind und kaum herausfinden. auch schlägt er einen bogen zur situation in europa, wo die einwanderung von menschen aus afrika später und unter anderen vorzeichen stattfindet. er versteht es, mögliche handlungsperspektiven aufzuzeigen und diesem buch damit eine versöhnliche note zu geben.

13.07.2020

jan lurvink: lichtung

der ich-erzähler ist musiker und komponist, der in einer wohngemeinschaft lebt. daneben nimmt er an einem wissenschaftlichen test in einem schlaflabor teil. bei seinem eben komponierten musikstück stellt er am ende fest, dass diese komposition genau so viele takte hat, wie claire jahre alt ist. in claire ist er verliebt, aber die geschichte mit ihr ist nicht einfach. nach einer gewissen zeit der nähe verlässt sie ihn wieder. er bleibt philosophierend zum thema orpheus und eurydike zurück.
dies ist ein sehr spezielles buch, dessen sinn und botschaft sich mir nicht ganz erschliesst. der text wechselt abrupt zwischen den verschiedenen handlungssträngen, die kaum etwas miteinander zu tun haben. die stärke des romans, der beim lesen hohe konzentration erfordert, ist eindeutig die schöne sprache voll von überraschenden wendungen.

08.07.2020

hansjörg schertenleib: das regenorchester

ein aus der schweiz nach irland ausgewanderter schriftsteller wird von seiner frau verlassen. zwei wochen später lernt er niamh kennen, eine alleinstehende frau, die ihm seine lebensgeschichte erzählt und ihn somit zu ihrem biografen macht. sie lässt das leben im damaligen irland auferstehen: ihre jugend in einer grossen, armen, katholischen familie auf dem land. um arbeit zu finden verlässt sie dann ihre heimat, begegnet ihrer grossen liebe, die sie wieder verliert und kehrt erst über dreissig jahre später zurück. an krebs erkrankt, schliesst sie mit ihrem leben ab. der schriftsteller bleibt mit den erinnerungen zurück.
die spannende und stark emotionale lebensgeschichte von niamh fasziniert vom ersten moment an. deswegen lohnt es sich, das buch zu lesen und lässt darüber hinwegsehen, dass das leben und die gedanken des schriftstellers eher stiller und zurückhaltender natur sind und wie keine kraft daneben zu haben scheinen. der roman zerfällt wie in zwei hälften, das ist irgendwie schade.

03.07.2020

nino haratischwili: das achte leben (für brilka)

zu beginn des 20. jahrhunderts kommt stasia zur welt, die tochter eines erfolgreichen georgischen schokoladefabrikanten. mit diesem ereignis beginnt eine bewegte und weitverzweigte familiengeschichte über sechs generationen, die von stasias urenkelin niza für ihre nichte brilka aufgeschrieben und erzählt wird. vor dem hintergrund des untergehenden zarenreiches, von siebzig jahren sowjetunion und dem freiheitskampf der georgier berichtet dieser episch breite roman über eine ursprünglich wohlhabende familie. wie ein roter faden zieht sich das leben der uralt werdenden stasia durch das ganze jahrhundert. jede generation kämpft mit neuen herausforderungen, doch das grundthema bleibt immer dasselbe: nicht standesgemässe liebesbeziehungen, der machterhalt und eine aus den konventionen ausbrechende jugend. doch die weisheit und toleranz der alternden frauen vermögen die sippe zusammenhalten.
auf diesen 1275 nicht nur spannenden sondern auch unterhaltsamen seiten ist kein satz zu viel. geschickt bettet die autorin diese familiensaga in die geschichtlichen ereignisse ein. wunderbar detailliert gezeichnete figuren und bildhafte beschreibungen von orten und landschaften lassen einen schnell in diese welt eintauchen. auch fasziniert die kluge erarbeitung der frauen- und männerrollen in einem sich nur langsam auflösenden patriarchat. treffend beschreibt sie die divergenz zwischen wunsch und realität, die menschen im oft ignoranten und korrupten system gefangen hält. in dem gegen schluss immer manifester werdenden sozialen gefälle der gesellschaft fragen sich die menschen, wohin sie in diesem zaghaft einsetzenden politischen frühling eigentlich gehören. ein spannendes und aufregendes buch, in dem man trotz der sich weit ausbreitenden erzählung und der verschiedenen beteiligten personen nie den ueberblick verliert und das erstaunlicherweise ganz ohne cliffhanger die spannung bis zum schluss hält.



25.06.2020

philipp tingler: schöne seelen

die ganze geschichte ist im milieu der «reichen und schönen» im heutigen zürich angelegt. millvina liegt auf dem sterbebett in einer schönheitsklinik, dieser letzte eingriff war zuviel. ihre tochter mildred nötigt ihren mann viktor mehr oder weniger dazu eine psychotherapie zu machen. viktor, der gar keine lust darauf hat, sondern sich lieber seinem hobby, der laienschauspielerei, zuwendet, gewinnt seinen freund oskar dafür: stellvertretend für ihn soll er die therapiestunden besuchen. doch es dauert nicht allzu lange und der zufall will, dass dieses konstrukt auffliegt: ein abend absoluter dramatik entwickelt sich.
der roman hat das zeug zu einer bitterbösen karikatur dieser gesellschaft der neureichen. teuerste attribute werden hier zur schau gestellt, exklusivste markenartikel sind die kulisse, gegenseitiger neid und unehrlichkeit beherrschen das feld. was zu beginn amüsant und kurzweilig daherkommt, verliert bald über weite strecken an komik und spannung, erst gegen schluss nimmt die handlung wieder fahrt auf. schliesslich macht aber die bestechend reiche und virtuose sprache das lesen zur freude und lässt die längen in den hintergrund treten.

15.06.2020

julian barnes: vom ende einer geschichte

als adrian neu in die klasse kommt, befreundet er sich schnell mit tony. nach abschluss der schulzeit bleiben sie in kontakt, bis ihre freundschaft ein plötzliches ende findet: tonys freundin veronica entscheidet sich für adrian. tonys leben verläuft klar und ruhig. er heiratet und wird vater, später lässt er sich scheiden und lebt alleine. alles scheint geregelt, bis er von einer anwaltskanzlei wegen einer erbschaft kontaktiert wird. damit erfährt er auch, dass das leben seines früheren freundes anders verlaufen ist, als er dachte und stellt vieles in frage, was er als jugendlicher gefühlt und gedacht hat.
die geschichte wendet sich dauernd in neue richtungen und überrascht immer wieder. trotz der komplizierten verhältnisse lässt der klare handlungsverlauf einen mühelos die uebersicht behalten, bis gegen das ende einiges zunächst unverständlich erscheint und sich erst ganz zum schluss auf den letzten seiten klärt. die vielen philosophischen gespräche und gedanken fügen sich bestens ein: sie machen das buch zu einem kleinen genuss.

11.06.2020

maurizio pinarello: das gedächtnis der steine

zunächst meint der journalist fernando, ein virus auf seinem computer zu haben. dann stellt es sich aber als ein e-mail von franco heraus. sie lebten damals mit ihren aus dem gleichen dorf stammenden eltern im gleichen haus. als illegales kind von saisonniers wurde franco versteckt und durfte die wohnung nicht verlassen. die rudimentäre botschaft macht fernando neugierig und er beginnt nachzuforschen. er reist nach italien ins heimatdorf der eltern. dort trifft er verschiedene verwandte, die ihm vom früheren leben und der emigration erzählen. francos leben scheint einen anderen, tragischen verlauf zu nehmen; er trifft ihn nicht.
wegen der mangelnden durchgehenden handlung lässt sich dieser roman nicht einfach lesen. der alltag der immigranten in der schweiz der 1960er jahre bleibt eher blass und oberflächlich ausgeführt. das wirklich schöne und starke an diesem buch sind die beschreibungen des lebens in norditalien im frühen 20. jahrhundert. beim lesen ist man an die bilder aus bertoluccis «novecento» erinnert. wegen eines fehlenden handlungsablauf ist es jedoch schwierig dem inhalt zu folgen. der einstieg in den roman bleibt isoliert und ohne abschliessende antwort. der schluss kommt wie eine eigene unabhängige geschichte daher.

07.06.2020

nihad siris: ali hassans intrige

fathi ist schriftsteller und darf nicht publizieren, weil er sich nicht zum werkzeug des regimes machen lassen will. seine freundin lama versteht und teilt diese haltung, während die opportunistische verwandtschaft vergeblich versucht ihn umzustimmen. als seine verwitwete mutter ihn um den segen zu ihrer zweiten hochzeit mit einem hohen funktionär des staates bittet, ist dies eine falle. auf eine hinterlistige art versucht die geheimpolizei ihn mit einem stellenangebot im machtapparat und anderen vergünstigungen zu korrumpieren. lama behält letztlich einen klaren kopf, warnt und rettet ihn.
mit einer einzigartigen präzision beschreibt der autor den alltag in einer totalitär regierten gesellschaft. er entlarvt damit das brutale und nur dem selbstzweck einer kleinen elite dienende system in einer faszinierenden detailliertheit. hitze und abkühlung, lärm und ruhe werden zu metaphern der beiden gegnerischen pole. beinahe liebevoll skizziert er die machthabenden in ihrer zerbrechlichen unsicherheit und ungeschminkt das gnadenlose vorgehen ihrer schergen. die studie über eine politische realität, die sich immer wieder in ländern zu etablieren weiss, ist ein eindrücklicher text, der das wesen des totalitarismus konzentriert darstellt.

04.06.2020

thomas müller: die todgeweihte

wenige jahre vor dem grossen erdbeben zu basel: die jüdische federhändlerin saphira, die bei ihrem vater wohnt, führt ein gutes und glückliches leben. ihr herz schlägt für den etwas scheuen tam, den sohn des bürgermeisters, der auch ihr sehr zugetan ist. tam bittet seinen draufgängerischen freund christian, seiner geliebten eine botschaft zu übermitteln, doch dieser verführt saphira. in diesen tagen bricht die pest aus. tams vater bringt durch intrigen das volk dazu den juden die schuld für die epidemie zuzuweisen: sie werden zusammengetrieben und bei lebendigem leib verbrannt. saphira wird im letzten moment durch tam gerettet. gemeinsam flüchten sie, um das versprechen, das saphira ihrem vater auf dem totenbett gegeben hat, zu erfüllen.
eine ziemlich abenteuerliche geschichte, die vieles über die mittelalterlichen lebensumstände berichtet. so stellt der leicht zu lesende roman einen ganz besonderen geschichtsunterricht dar. die dramatische handlung ist spannend bis zur letzten seite und gibt einen einblick in die lebensumstände jener zeit. religiöse elemente und ethische werte werden einer gewalttätigen und rauhen gesellschaft gegenübergestellt und fragen von schuld, sühne und vergebung werden zu zentralen elementen.

29.05.2020

vladimir sorokin: der schneesturm

in dolgoje, einem dorf tief in der russischen provinz, ist eine epidemie ausgebrochen. der landarzt garin muss dahin, um die menschen zu impfen, doch ein schneesturm kommt auf. nach einigem hin und her findet er kosma, einen kutscher, der ihn mit dem schneemobil dahin fahren soll. auf der reise ereignen sich einige komplikationen: sie kommen vom weg ab, die kufe des mobils bricht, schneewehen lassen den weg unsichtbar werden, aber immer wieder wendet es sich wieder so, dass sie weiterkommen oder auf menschen treffen, die ihnen helfen. ob sie ihr ziel wirklich erreichen, bleibt letztlich unbeantwortet. die handlung nimmt einen etwas unverständlichen und tragischen ausgang.
was wie ein roman von dostojewski oder tolstoi beginnt, entwickelt sich nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich in eine abwegige geschichte mit allerlei neuzeitlichen und abstrakten elementen. das klassische motiv der pflichterfüllung gegen alle naturgewalten wird hier irgendwie karikiert. diese lustig-traurige statire bleibt manchmal unverständlich, aber allein die schilderung von sturm und schnee lohnt, das buch zu lesen.

25.05.2020

james baldwin: von dieser welt

john wächst in harlem in einer streng religiösen familie auf. im gegensatz zu seinem halbbruder roy ist er ein eher sanfter, ruhiger und friedliebender junge. sein stiefvater ist prediger in einer kleinen schwarzen baptistischen bekennergemeinde und dementsprechend ist das leben stark von strengen aus der bibel abgeleiteten regeln geprägt. alles ist darauf ausgerichtet, tugendsam und ohne sünde zu leben um das ewige leben zu erreichen. aber beide, ursprünglich aus den südstaaten stammenden eltern tragen auch dunkle geheimnisse ihres früheren lebens mit sich. zwischen seinen eigenen gefühlen, den erwartungen seines stiefvaters und der liebe zu seinen eltern stehend spürt john, dass er ein anderes leben sucht. als roy eines tages von einer rauferei verletzt nach hause kommt, trifft john eine entscheidung, die seinem leben eine wendung gibt und man beginnt zu ahnen, wohin ihn seine zukunft führt.
die ungeschminkte und nichts beschönigende schilderung der sozialen verhältnisse und die bildhaft genaue vermittlung der religiosität und des damit verbundenen glaubens an ein besseres leben fügen sich zu einer bestechend genauen analyse. dieser autobiografisch geprägte roman aus den frühen 1950er jahren – in einer neuen uebersetzung erschienen – ist ein zeitdokument und hat nichts an seiner aktualität verloren. die hoffnung auf eine besseres leben hat sich auch heute noch für viele afroamerikaner nicht erfüllt.

22.05.2020

herta müller: atemschaukel

1944, nach der eroberung rumäniens durch die rote armee wird die dortige deutsche bevölkerung verhaftet und nach russland zu zwangsarbeit gebracht, so auch der 17-jährige leopold auberg. fünf jahre lager: schwerstarbeit unter härtesten bedingungen, ein alles beherrschender hunger und extreme klimatische bedingungen. «ich weiss, du kommst wieder», dieser satz, den seine grossmutter beim abschied sagte, hält leo am leben. nach fünf jahren ist die qual zu ende und er kann wieder heimkehren. doch zuhause ist nichts mehr wie früher. seine familie und er haben sich entfremdet, nichts von der alten gemeinsamkeit ist mehr da.
die autorin lässt leo von seinen erfahrungen erzählen. in kürzeren und längeren kapiteln berichtet er über seine geheimnisse als jugendlicher, über das lagerleben und die rückkehr. die chronologie tritt in den hintergrund zugunsten einer subtilen beschreibung von einzelnen erlebnissen, beobachtungen und begegnungen, die sich auf eine einzigartige weise zu einem gesamtbild fügen. leo kommt als anderer mensch zurück, seine familie und er finden nicht mehr zusammen. «seit der umarmung bei der heimkehr, seit acht monaten, hatte mich in diesem haus niemand mehr berührt», mit diesen worten ist beispielhaft alles gesagt.
dieses buch, das ganz anders ist als andere lagerberichte, enthält einen dichten und eindringlichen text, der beim lesen immer wieder gänsehaut und feuchte augen beschert.

16.05.2020

christoph keller: uebers meer

astèr und claude lernen sich in den 1980er-jahren während einer hausbesetzung in einer schweizer stadt kennen und sie verliebt sich in ihn. er ist ein eher flüchtiger geist und verlässt die anarchische gruppe bald. zwanzig jahre später lebt astèr in new york und reist nach djerba um dort claude wieder zu treffen. sie wartet vergeblich am hafen: er und sein segelboot bleiben aus. ein taxifahrer zeigt ihr in der zeit des wartens die insel und beinahe kommen sie bei einem attentat ums leben. durch die verletzung bleibt ein kleines metallteil in ihrem kopf, das ihr einige tage ihrer erinnerung raubt. zur gleichen zeit kommt ein afrikanischer flüchtling mit claudes boot auf lampedusa an und wird verdächtigt, den eigner umgebracht zu haben. aber alles hat sich ganz anders zugetragen, darüber gibt ein tondokument zeugnis.
der vielschichtige politische roman verknüpft verschiedene erzählstränge und menschliche schicksale geschickt miteinander. auch wenn einzelne teile etwas abenteuerlich daherkommen, fügt sich die geschichte zu einem überzeugenden ganzen. phasenweise verliert der autor sich etwas in details, was der spannung nicht förderlich ist. nicht alle figuren sind gleich überzeugend: der afrikaner touré und der taxifahrer tahar sind glaubwürdig und realistisch dargestellt, während die hauptprotagonistin astèr eher blass bleibt. insgesamt ein buch, das über die geschehnisse auf dem mittelmeer aus verschiedenen ganz besonderen perspektiven einzigartig und sehr berührend berichtet.

13.05.2020

alaa al-aswani: der jakubijân-bau

der schauplatz ist ein stattliches wohnhaus in kairo. in den grossen wohnungen leben gutsituierte leute. auf dem dach gibt es kleine kammern, die für die dienstboten vorgesehen sind. im verlauf der jahre ändern nicht nur die bewohner sondern auch die politischen bedingungen, die mehr und mehr machtmissbrauch, korruption und klientelwirtschaft mit sich bringen. die geschichten einiger menschen erzählen exemplarisch das leben in der kairoer altstadt. ein reicher abkömmling des adels, ein homosexueller chefredaktor einer zeitung, ein student, der sich radikalisiert und einem fundamentalen islam folgt, eine arme witwe und einige weitere personen sind die hauptprotagonisten.
der autor weiss in diesem spannenden roman eine gesellschaftskritische analyse zu präsentieren, die keinen moment langweilig oder wissenschaftlich trocken daher kommt. meisterhaft beschreibt er die einzelnen figuren, ihre gedanken und handlungen, aber auch die gegenseitigen abhängigkeiten über alle sozialen grenzen hinweg und zeichnet ein treffliches abbild des ägyptischen alltags im kleinen.

09.05.2020

thomas meyer: wolkenbruchs waghalsiges stelldichein mit der spionin

motti hat sich mit seiner jüdisch-orthodoxen familie überworfen, weil er sich mit einer schickse, einem nichtjüdischen mädchen, eingelassen hat. damit hat er auch sein zuhause verloren und lebt derzeit in einem hotel. es dauert nicht lange, da meldet sich ein vertreter der «verlorenen söhne israels», der ihn in seine organisation aufnimmt. was als selbsthilfegruppe daherkommt, entpuppt sich als zentrum der jüdischen weltverschwörung. als er später hulda kennenlernt und ihr verfällt, muss er erkennen, dass sie spionin einer verwegenen nazi-gruppe ist, die sich in eine alpenfestung in bayern zurückgezogen hat. beide organisationen haben die weltherrschaft zum ziel. doch dann reist mottis mutter auf der suche nach ihrem verlorenen sohn an und die geschichte nimmt eine weitere wendung.
das buch ist die fortsetzung der geschichte von wolkenbruchs «wunderlicher reise in die arme einer schickse». bis an die grenzen des erlaubten satirisch beschreibt der autor eine welt, die sich immer zwischen möglicher wahrheit und fiktion bewegt. spannung, amusement und absurdität halten sich in diesem leicht zu lesenden roman auf einzigartige weise die waage.

05.05.2020

philippe lançon: der fetzen

der bericht beginnt am vorabend eines ereignisses, das für ihn alles vollständig verändert. ein schöner abend mit einem theaterbesuch ist der letzte abschnitt seines bisherigen lebens. als er am nächsten morgen in der redaktionskonferenz von charlie hebdo in paris sitzt, dringen zwei terroristen in die räume ein und schiessen um sich. einige seiner kollegen sind sofort tot, einige überleben. philippe lançon bleibt schwerverletzt liegen und erlebt das grauen bei vollem bewusstsein. sein rechter unterkiefer ist durch einen schuss zerfetzt. was folgt ist ein monatelanger krankenhausaufenthalt mit unzähligen operationen. ein langwieriger genesungsprozess mit rückschlägen und fortschritten reduzieren ihn immer wieder auf schmerzen und leiden. in der kleinen geborgenen welt seines zimmers besuchen und unterstützen ihn seine freunde, hier beginnt er auch schon wieder zu arbeiten. aerztinnen, das pflegepersonal und die zu seiner bewachung abgestellten polizisten werden zu mehr als professionellen bezugspersonen. der anschlag hinterlässt nicht nur körperliche verletzungen, das ueberleben wird zeitweise lebensbedrohlich. auch in momenten der verzweiflung verliert er aber seinen lebensmut nicht und führt den kampf zurück ins leben, der ihn mit einigen unerwarteten schwierigkeiten konfrontiert.
mit einer enormen präzision beschreibt philippe lançon seine gefühle, befindlichkeit und beobachtungen während dieses langen spitalaufenthaltes und trotzdem kann man beim lesen sein unfassbares leiden nur erahnen. dazwischen leuchten immer wieder schöne momente guter begegnungen und fortschritte in der genesung auf. sein humor und sein zeitweise etwas sarkastischer blick auf die ihn umgebende und umsorgende welt lassen hoffen, dass er die herausforderung schafft. seine reflexion über abhängigkeit und macht als patient, über nähe und distanz zwischen ihm und dem personal werfen ein differenziertes licht auf dieses komplexe gefüge eines krankenhauses. letztlich sind es die menschlichen stärken einzelner, die ihm weiterhelfen, zurück zu sich zu finden und auch seine angst vor der entlassung zu bewältigen. dieses buch ist ein eindrückliches zeugnis davon, wie ein mensch eine existenzielle krise durchlebt und bewältigt.

28.04.2020

chanel cleeton: nächstes jahr in havanna

als ende der 1950er jahre fidel castro an die macht kommt, verlässt die reiche grossgrundbesitzerfamilie perez ihre heimat kuba. sie müssen alles zurücklassen und bauen in florida ein neues leben auf. elisa, die eine tochter, lässt ihren geheimgehaltenen geliebten zurück. als sie sechzig jahre später stirbt, hinterlässt sie den wunsch, ihre asche möge auf der heimatlichen insel beigesetzt werden. ihre enkelin marisol übernimmt diesen auftrag und reist so zum ersten mal ins herkunftsland ihrer vorfahren. dort trifft sie auf menschen, die ihre grossmutter früher gekannt haben. immer mehr erfährt sie über das leben damals und es beginnt sich ein familiengeheimnis aufzutun.
ein unterhaltsames buch, das die spannung vor allem mit viel handlung und emotion hält. die sich überstürzenden ereignisse und die zeitweise unwahrscheinlichen zufälle erscheinen beim fort­schreitenden lesen immer konstruierter. während die politischen vorgänge und veränderungen in kuba aus der sicht der wohlsituierten exilkubanerin etwas an der oberfläche bleiben, kommen die emotionalen und dramatischen momente voll zum tragen.

22.04.2020

daniel hope: familienstücke

der berühmte violonist hat seit langem das foto des hauses seiner urgrosseltern neben seinem schreibtisch. auf einer konzertreise nach berlin steckt er es mit der absicht ein, zu dieser adresse zu gehen, um sich den ort einmal anzusehen. dies ist der anfang seiner familiengeschichtlichen nach­forschungen. selbst in durban geboren und in london aufgewachsen findet er grosseltern und urgrosseltern in irland und deutschland. in der weitverzweigten verwandtschaft gibt es wohlhabende juden, die vor den nazis flüchten müssen, aber auch wehrmachtsangehörige, die karriere machen und mit hitler zu tische sitzen. in südafrika finden sich apartheidsgegner aber auch unterstützer dieses systems. sein irischer urgrossvater wandert wegen der grossen armut nach england aus, von wo er sich als soldat verdingt und so letztlich nach südafrika kommt. aus all dem zeichnet daniel hope zusammen mit der co-autorin susanne schädlich ein exemplarisches panorama von migration im 20. jahrhundert.
diese spannende und sehr persönliche geschichte, beschreibt viele seiner vorfahren mit ihren persönlichen stärken und schwächen. eine akribische suche nach zeugnissen und dokumenten hilft ihm, sich ein bild einiger seiner verstorbenen familienmitglieder zu machen. bei anderen ist er auf beschreibungen von noch lebenden verwandten oder auf vermutungen angewiesen. einen teil des buches widmet er auch seinen kindheits- und jugenderinnerungen, seinem aktuellen leben und seiner momentanen konzerttätigkeit. der vergangenheit stellt er so die gelebte gegenwart entgegen. ein interessantes buch – illustriert mit fotografien – in dem daniel hope auch viel von sich selbst preisgibt.

17.04.2020

angelika waldis: ich komme mit

zu beginn dreht sich lazys leben um elsie: der junge student ist verliebt und glücklich mit ihr. doch dann wird er schwer krank, die beziehung der beiden zerbricht. vom spitalaufenthalt wieder zuhause, trifft er auf vita, die alte frau aus dem oberen stockwerk. zunächst beginnt sie für den erschöpften lazy zu sorgen, lädt ihn zum essen ein und später nimmt sie ihn ganz in ihre wohnung auf. hier beginnt eine ausserordentliche freundschaft zwischen zwei menschen, die beide den tod in erreichbarer nähe wähnen. gemeinsam begeben sie sich auf eine reise zu einem ausgrabungsort in der türkei, der für lazy eine grosse bedeutung hat. mit letzter kraft kehren sie zurück. und nun beginnen sie ihre letzte reise zu planen, von der es keine rückkehr geben soll.
es braucht einen moment, bis der roman fahrt aufnimmt, dann aber wird er immer intensiver und berührender. die freundschaft zwischen den beiden hat viel farbe, humor und trauer, die immer wieder schnell und unmittelbar wechseln. ich war beim lesen so intensiv dabei, dass ich immer wieder plötzlich lachen musste oder es mir tränen in die augen trieb. den fragen um kranksein und sterben wird hier auf eine meisterhafte und unkonventionelle weise nachgegangen.

14.04.2020

christian de simoni: das rigilied

wer kennt es nicht, das rigilied? «vo luzärn gege wäggis zue..», das bekannte volkslied, ist die grundlage zu diesem kleinen buch. es beginnt wie eine historisch-wissenschaftliche arbeit über die entstehung dieses musikstücks, dessen weitergabe und verbreitung. immer mehr wird der text aber grotesker und immer mehr beginnt man beim lesen die persiflage auf solche arbeiten zu erkennen.
auch wenn der autor sich zeitweise weit vom thema entfernt und andere persönliche ereignisse einfliessen lässt, deren zusammenhang mit dem zentralen thema sich einem nicht erschliesst, ist es ein köstlich zu lesendes kleines werk. es lebt von der phantasie und der ausgeprägten beobachtungsgabe de simonis und dessen fähigkeit, diese wahrnehmungen treffend niederzuschreiben. eine richtige trouvaille!!

10.04.2020

florian illies: 1913


das jahr vor dem anfang des ersten weltkrieges ist ein ereignisreiches jahr des aufbruchs und des untergangs. maler wie picasso, braque und kandinsky finden neue ausdrucksformen, schönberg komponiert moderne zwölftonmusik, thomas mann veröffentlicht «tod in venedig», all dies kommt beim publikum sehr unterschiedlich an. verschiedene unglückliche beziehungen werden geführt, einige künstler verfallen dem morphin. kaiser wilhelm II weiht das völkerschlachtdenkmal in leipzig ein und tut sich schwer mit der konstitutionellen monarchie. auch hitler, trotzki und stalin treten bereits als junge männer in erscheinung. willy brandt und marika rökk werden geboren.
die vielen kurzen texte über menschen, deren kunst noch heute berühmt oder deren politisches wirken einen wesentlichen einfluss auf den weltlauf hatte, zeichnen ein bild jener zeit und geben die damalige stimmung wieder. spannend und interessant, leider aber etwas einseitig: frauen und einfache leute fehlen weitgehend, um das leben dieses jahres vollständig zu zeichnen.

06.04.2020

gusel jachina: wolgakinder

wir schreiben das jahr 1916. schauplatz ist das kleine von deutschen bewohnte dorf gnadental in der steppenlandschaft an der wolga. hier führt jakob bach als lehrer der dorfschule ein ärmliches, aber strukturiertes dasein. als er von jenseits des flusses von einem reichen bauern den auftrag erhält, dessen tochter klara zu unterrichten, verändert sich sein leben: die beiden verlieben sich ineinander und sie werden später mann und frau. als klara bei der geburt des ersten kindes stirbt, muss jakob bach in der abgeschiedenheit des hofes für das kleine mädchen sorgen. nachrichten über die veränderungen in gesellschaft und staat finden den weg nicht hierher, die zeit scheint stillzustehen. als ein paar jahre später eines nachts wassja, ein herumstreichender gassenjunge, ins haus einbricht und dann bei ihnen bleibt, beginnt die loslösung der tochter vom vater. durch die kollektivierung der erziehung in der jungen sowjetunion werden die kinder vom vater getrennt. er kann sie nicht aufhalten ihre eigenen wege zu gehen und den versprechungen der neuen gesellschaftsordnung zu folgen.
realistisch, märchenhaft und mystisch ist dieses buch, das sich vor dem hintergrund der gründung der sowjetrepublik der wolgadeutschen abspielt. es beleuchtet das leben von einfachen menschen in einem politischen umbruch, aber auch eine ganz spezielle liebes- und familiengeschichte. die beinahe sechshundert seiten sind nicht immer gleich spannend aber immer irgendwie unterhaltsam zu lesen. etwas aus dem zusammenhang fallen die auftritte stalins in verschiedenen kapiteln.

30.03.2020

roger monnerat: die schule der scham

joris arbeitet bei den vereinten nationen und hat in krisengebieten viel schreckliches gesehen. zwischen zwei einsätzen hält er zuhause unter anderem vorlesungen. das private leben ist eher schwierig und er lässt sich ziemlich glücklos mit verschiedenen frauen ein. während einer vorlesung wird er auf réjeanne, eine seiner studentinnen, aufmerksam. mit ihr beginnt er ein verhältnis, das beinahe ein katastrophales ende nimmt. er sucht hilfe bei seinem freund claude, einem ehemaligen geheimdienstoffizier. joris verschwindet aber und hinterlässt ein manuskript. claude geht den darin vorkommenden orten und personen nach und findet diese teilweise bestätigt.
die mischung aus aktueller schweizer geschichte und psychologischen abgründen eines alternden mannes, der den verlust seiner jugend und seiner kraft fürchtet, bietet die grundlage für diesen etwas kompliziert angelegten roman. während in der erste hälfte vor allem affären und nöte beschrieben werden, widmet sich die zweite hälfte dann dem leben und den geheimdienstlichen tätigkeiten von claude. eine schöne sprache, fundiertes wissen und ein reicher wortschatz zeichnen das buch aus. die nicht übersehbare politische botschaft und die zeitweise ans pornografische grenzenden texte wollen jedoch irgendwie nicht zusammenpassen.

26.03.2020

dror mishani: drei

es geht um drei frauen: die erste ist orna, geschieden; sie erzieht ihren sohn allein und findet auf einer kontaktplattform im internet einen mann mit dem sie sich trifft. die zweite ist emilia, kommt aus lettland und arbeitet in israel als pflegerin, bis nachum, für den sie da ist, stirbt. sie muss eine neue stelle suchen, kennt niemanden und bittet den sohn nachums um hilfe. die dritte ist ella, die eine familie mit drei kindern hat und an ihrer masterarbeit schreibt. um etwas ruhe zu finden, geht sie jeweils am vormittag in ein café. dort lernt sie einen mann kennen. dieser ist bei allen drei frauen der gleiche: gil, ein rechtsanwalt, der die sehnsucht nach liebe und geborgenheit zu erfüllen scheint.
der roman entwickelt sich zu einem krimi. einzigartig zeigt er nicht nur die seelenlage der protagonistinnen auf sondern auch ihre nöte. daneben gibt es einen einblick in den alltag israels. ein spannendes buch, das ein überraschendes ende findet.

23.03.2020

michael köhlmeier: bruder und schwester lenobel

als robert spurlos verschwindet, ist seine frau hanna alarmiert. sie ruft jetti, roberts schwester, an und bittet sie nach wien zu kommen. die beiden frauen haben eine schwierige beziehung. lange bleibt unklar, wo robert sich befindet, bis er sich bei jetti und seinem freund sebastian meldet, mit der bitte es nicht weiterzuerzählen. mit hanna ist das aushalten der situation schwierig und so entscheidet sich jetti wieder heim nach dublin zu reisen. dort warten zwei männer, zu denen sie zwei komplizierte beziehungen hat. hinter allen ereignissen tut sich die geschichte einer ungewöhnlichen familie auf.
viele unterschiedliche beziehungen zwischen sehr verschiedenen menschen dominieren diesen roman. mit einer detailverliebtheit und vielen amüsanten intermezzi führt uns der autor durch eine geschichte, in der er jedes kapitel einem anderen familienmitglied widmet. schwierige situationen und menschen mit unterschiedlichen lebenszielen stehen im vordergrund. irgendwie fehlt eine durchgehende handlung und trotzdem besticht das buch durch seine reiche und spannende sprache mit vielen sätzen, die trotz ihrer komplexität gut zu lesen sind. auch hinterlässt das offene und unbestimmte ende nicht den eindruck des unfertigen.

14.03.2020

rico tambornino: jakobs gestörtes verhältnis zum schnee

jakobs arbeitstag zieht sich oft bis weit in den abend hinein. dies ist der preis für karriere und aufstieg ins direktorium der bank. und dieses jahr ist es ihm nun aus beruflichen gründen nicht möglich, mit seiner frau marianne wie gewohnt in die winterferien zu fahren. auf seinen rat hin fährt marianne mit ihrer besten freundin zum skifahren. nachdem die beiden frauen an einem morgen zu einer skitour aufgebrochen sind, kehren sie abends nicht wie gewohnt ins hotel zurück. die suche nach ihnen bleibt erfolglos. jakob schwankt zwischen grosser verzweiflung, hoffnung und selbstvorwürfen. lange bleiben die beiden frauen vermisst, bis sich die ereignisse überstürzen.
vor dem hintergrund einer tragischen handlung besticht vor allem die treffende beschreibung der gefühlslage jakobs. ein ereignis, das ihn an den rand des existenziellen treibt, gefährdet sein ganzes sein. auch wenn die handlung manchmal etwas unwahrscheinlich daher kommt, findet der roman ein in sich stimmiges ende. trotz der vielen schweren und emotionalen momente ist er schön und leicht zu lesen.

10.03.2020

linard candreia: der alte russ

mit 17 jahren wandert peter balzer aus dem kleinen bündner dorf alvaneu bad aus. ein engadiner geschäftsfreund seines vaters nimmt den jungen mann mit nach odessa. dort macht er seine ausbildung zum zuckerbäcker und zieht später weiter nach moskau, wo er erfolgreich ein kaffeehaus betreibt. renommiert in der ganzen stadt hat er erlesene kundschaft und trifft sogar den zaren. mit karoline, einer russischen adeligen, hat er nur einen sohn, aber viel zu früh stirbt seine frau und er kehrt zurück in die heimat. dort beschäftigt der vielseitig interessierte sich unter anderem mit homöopathie, und wird im ganzen tal «der alte russ» genannt.
in einer reihe von kurzen kapiteln entfaltet sich ein kaleidoskop der lebensumstände der menschen in den einsamen bergtälern graubündens in der zeit des 19. jahrhunderts. darin eingebettet findet sich exemplarisch die geschichte des protagonisten. die schweiz ist in jener zeit ein auswanderungsland. kinder aus grossen familien sind gezwungen ihr brot im ausland zu verdienen. dieses buch beschreibt nicht nur eindrücklich und farbig die armut der bevölkerung und die emigration aus der schweiz, sondern auch den erfolg eines einzelnen, der dank seines muts und seiner begabung erfolgreich ist. diese faszinierende umsetzung einer geschichtlichen recherche zu einem lebendigen bericht lässt zudem ein bisschen sehnsucht nach dem schwarzen meer und dem alten russland aufkommen.

07.03.2020

anita shreve: stille über dem schnee

nach einem tragischen ereignis ist robert mit seiner tochter nicky vor zwei jahren aus new york in ein abgelegenes haus in new hampshire gezogen. der vater hat diese einsamkeit gesucht, für die tochter ist dies nicht so nicht einfach. an einem nachmittag machen sie einen gemeinsamen spaziergang durch den tiefverschneiten wald. plötzlich vernehmen sie ein wimmern und finden ein ausgesetztes neugeborenes. sie bringen das kind ins spital und retten ihm damit das leben. als einige tage später die mutter des kindes vor ihrer haustüre steht, reagieren vater und tochter sehr unterschiedlich. aber diese begegnung hilft ihnen letztlich, besser über ihr eigenes familienschicksal hinweg zu kommen.
faszinierende detailbeschreibungen des amerikanischen landlebens zaubern beim lesen bilder hervor, in die man richtig eintauchen kann. die 12-jährige nicky erscheint manchmal etwas altklug und das verhältnis zwischen vater und tochter ist nicht immer ganz nachvollziehbar. ein tiefgründiges und trotz der tragischen vorgeschichte schön zu lesendes buch, das zeigt, wie zerbrechlich das leben sein kann.

28.02.2020

elisabeth plessen: die unerwünschte

sie sind adelig und grossgrundbesitzer, aber das 20. jahrhundert bringt viele veränderungen und damit auch den untergang der alten werte. ernst august, der patriarch, ist der letzte seiner art. die für ihn wichtige männliche erbfolge erleidet durch den tod zweier söhne im zweiten weltkrieg eine empfindliche einbusse. die hälfte seiner güter geht an stefanie, seine tochter, die auf ihren wirklich geliebten mann verzichtet und nach dem willen der familie standesgemäss heiratet. die eher unglückliche bewirtschaftung der güter trägt zu deren niedergang ebenso bei wie der zerfall der familienstrukturen. die meisten der nächsten generation verabschieden sich endgültig aus den althergebrachten traditionen und zwängen und beginnen ihr eigenes, selbstbestimmtes leben zu führen.
das buch gibt einen kritischen rückblick auf die damaligen verhältnisse und die entwicklungen bis heute. mit der grosseltern- und elterngeneration verschwinden nicht nur regeln und gewohnheiten, sondern auch der besitz und das vermögen werden weniger. die jungen tragen noch die namen und titel, mit denen sie sehr unterschiedlich umgehen. das ignorieren der veränderungen treibt die alten in eine von ihnen unverstandene isolation. die autorin – selbst nachfahrin einer solchen familie – schafft mit ihrem analytisch beobachtenden rückblick einen einzigartigen einblick in verhältnisse, die die meisten nur vom hörensagen kennen.

19.02.2020

max annas: finsterwalde

deutschland in vielleicht nicht allzu ferner zukunft: der osten ist immer mehr entvölkert, einzelne städte werden ganz geräumt und zu lagern umfunktioniert. menschen mit migrationshintergrund werden aus ihren wohnungen geholt und – nach ethnischen kriterien sortiert – dort untergebracht, wo sie warten, bis ein anderes land sie aufnimmt. finsterwalde ist das lager, in das die schwarzen eingewiesen werden. darunter auch marie mit ihren kindern, die bisher als aerztin in berlin gearbeitet hat. als sie erfährt, dass noch drei kleine kinder in berlin zurückgeblieben sein sollen, beschliesst sie, diese zu retten.
eine apokalyptische geschichte, die einen das fürchten lernen kann. ein totalitäres system beginnt mit ethnischer säuberung. menschen verlieren alles und werden wertlos. staatliche gewalt wird legitimiert und nichts ist mehr sicher. während die hintergründe und umstände durch ihre beschreibung ein plastisches, wirklichkeitsnahes und sehr unheimliches bild abgeben, ist die handlung selbst etwas dünn und konstruiert. trotz der «harten kost» als denkanstoss und warnung lesenswert.

11.02.2020

jessica durlacher: das gewissen

als edna während einer vorlesung ihren mitstudenten samuel sieht, verliebt sie sich unsterblich in ihn. er ist schön, rätselhaft und scheint ihr unnahbar. doch sie lernen sich kennen und beginnen eine, zunächst noch fragile und sehr ungleichgewichtige beziehung, die sich nach verschiedenen turbulenzen zu stabilisieren beginnt. während edna ihre beruflichen ziele verfolgt, ist samuel als verunsicherter junger mann immer auf der suche nach dem sinn seines lebens. während eines beruflichen aufenthaltes in südfrankreich, begegnet edna felix, den sie aus der studienzeit kennt, und steht plötzlich zwischen zwei männern. die entscheidung wird ihr letztlich auf tragische weise abgenommen.
was stoff für einen kitschigen liebesroman hergeben würde, wird hier zu einer faszinierenden geschichte über das gefühlsleben einer jungen frau, die im zustand ihrer verliebtheit vor allem von projektionen geleitet wird. die entzauberung ihres objekts folgt unweigerlich. mit viel psychologie, selbstreflexion und humor lässt die autorin ihre protagonistin auftreten. auch wenn das buch nicht über die ganze strecke tiefgang und spannung zu halten vermag, unterhaltsam ist es zweifellos.

08.02.2020

dževad karahasan: sara und serafina

dieser roman handelt in den 1990er-jahren während des jugoslawienkrieges. sara ist lehrerin und lebt mit ihrer erwachsenen tochter antonija im sarajevo. die stadt ist durch einen belagerungsring de facto abgeriegelt, nur ein geheimer tunnel unter dem flughafen stellt die einzige verbindung zur aussenwelt dar. saras schwester andjelina -- schon lange in zagreb verheiratet -- will für die beiden die passage organisieren. sara denkt nicht daran wegzugehen, ihre tochter hingegen schon. die vorbereitungen sind kompliziert und letztlich scheitert antonijas reise. sara ist so verzweifelt, dass sie sich das leben nehmen will, indem sie über eine strassenkreuzung läuft, wo heckenschützen auf alles schiessen, was sich bewegt.
dieser text blickt hinter die schlagzeilen, die kriege machen, hinein in die welt von menschen, die nichts anderes wollen als friedlich zusammenzuleben. aber selbst einfachste dinge werden kompliziert, persönliche beziehungen werden wichtig und die bisher völlig unwichtige ethnische oder religiöse zugehörigkeit beginnt über tod und leben zu entscheiden. dieses höchst philosophische buch, in dem es dem autor gelingt, anhand einer beispiellos normalen geschichte zu zeigen, wie alle werte und sicherheiten verloren gehen oder sich ins gegenteil drehen, lässt einen betroffen zurück.